Vegane Gehirnwäsche an der Schule? Nein, es geht um Mitgefühl
Kinder haben ein natürliches Mitgefühl für Tiere und möchten nicht, dass diese leiden. Das sollte laut Kolumnistin Mirjam Walser in der Schule gefördert werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Kinder haben in der Regel ein natürliches, stark ausgeprägtes Mitgefühl für Tiere.
- Kolumnistin Mirjam Walser findet, man müsste dieses Mitgefühl stärker fördern.
- Denn so wäre ein anderes Zusammenleben mit Tier und Umwelt möglich.
Ein Regenwürmli wird aus Versehen gequetscht oder ein Schnäggli hat sich auf eine viel befahrene Strasse verirrt – Eltern wissen, was dann passiert: Das Kind weint um den verletzten Wurm, und die Schnecke muss sofort gerettet und auf die sichere Wiese gebracht werden.
Wie Kinder mit Tieren umgehen, ist rührend: Sie fühlen mit, wenn diese leiden, und schliessen sie sofort ins Herz. Kein Wunder, dass sie jeden vorbeilaufenden Hund oder jede Katze das Fell kraulen wollen.
Besonders beeindruckend sind Begegnungen mit Tieren, die sie im Alltag nicht so oft sehen. Es müssen keine exotischen Tiere wie Elefanten oder Affen sein – Kinder sind überglücklich, wenn sie einem Kalb über die Nase streicheln oder einem Schwein den Rücken kraulen dürfen.
Von Natur aus empfinden Kinder Mitgefühl für Tiere, egal ob Hund, Katze, Schwein oder Regenwurm. Erst mit der Zeit lernen sie, dass dieses Mitgefühl nicht für alle Tiere gilt…
Kinder wollen keine Tiere essen
Den Kindern wird von ihrem Umfeld vorgelebt, dass Mitgefühl dort aufhört, wo das Schnitzel anfängt. Das Leid von Tieren, die wir essen – Kuh, Huhn, Schwein und Co. – wird zur Seite geschoben. Nur so können wir, ohne nachzudenken, ein Stück Fleisch geniessen.
Studien zeigen jedoch, dass die meisten Kinder gar keine Tiere essen wollen. Kinder unter sieben Jahren verstehen oft nicht, dass Fleisch, Eier und Milchprodukte von Tieren stammen. Fragt man ein Kind, ob es das Schwein, das es gerade gestreichelt hat, als Cervelat essen möchte, wird es ablehnen – vielleicht sogar weinen.
Eine andere Studie zeigt, dass Kinder, anders als Erwachsene, das Leben von Hunden und Schweinen fast genauso wertvoll finden wie das von Menschen. Kinder machen also weniger Unterschiede zwischen den Lebewesen.
Erst in der Jugend wird diese Trennung stärker und das Mitgefühl mit Tieren «verlernt». Auf dem Speiseplan stehen dann Kebab, Hamburger und Pizza mit Salami. Dass für ihr Lieblingsessen Tiere sterben müssen, spielt dann oft keine Rolle mehr. Auch der einst so schmerzlich beweinte Regenwurm und die Schnecke sind längst vergessen.
Ab einem gewissen Alter lernen sie also, Mitgefühl auf bestimmte Tiere zu beschränken. Das ist kein bewusster Prozess, sondern wird vom Umfeld beeinflusst. Wenn alle anderen in der Familie Tiere essen, wird es auch für das Kind normal.
Sie könnten aber ebenso gut das Gegenteil lernen: das Tier hinter dem Schnitzel auf dem Teller zu sehen und sich an das Mitgefühl zu erinnern, das sie einst fühlten, als sie den Bauch des Schweins auf dem Bauernhof kraulten.
Sie könnten lernen, dass Fleisch nicht lebensnotwendig ist. Und dass ein Zusammenleben mit Tieren auch anders möglich ist.
Mitgefühl hautnah erleben
Erlebbar wird das auf einem Lebenshof, wie zum Beispiel dem «Hof Narr» im Kanton Zürich. Dort leben Tiere, die früher als Nutztiere gehalten wurden. Auf dem Hof dürfen sie einfach Tiere sein und ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen.
Kinder können dort entdecken, wie verschmust Schweine sind, wie viel Platz Hühner eigentlich brauchen, um glücklich zu sein, und dass sogar Esel Trauer empfinden.
Die Kinder erfahren hier die Geschichte der Tiere und warum das Leben auf dem Bauernhof für sie weniger gut war als nun auf dem Lebenshof. Man muss Kindern keine Schockbilder aus engen Ställen und dem Schlachthof zeigen, um Mitgefühl zu wecken und Tierleid verständlich zu machen. Viel wichtiger sind altersgerechte Informationen sowie direkte Begegnungen mit Tieren.
Auch das Klassenzimmer eignet sich, um diese Themen zu behandeln. Dabei geht es nicht darum, die Kinder dazu zu zwingen, nur noch Sojawürstli statt Cervelat zu essen. Das Ziel ist vielmehr, ein respektvolles Zusammenleben mit der Natur und den Mitlebewesen kennenzulernen.
Wie die Kinder das in ihren Alltag umsetzen möchten, entscheiden sie selbst, gemeinsam mit den Eltern.
Vegane Kinder, nein danke?
Wer nun Angst hat, dass sein Kind nach einem Besuch auf einem Lebenshof oder dem Ethikunterricht aus Mitgefühl für Tiere vegan wird, darf sich fragen: Warum wäre es schlecht, wenn das Kind Tiere so sehr mag, dass es diese nicht mehr essen möchte? Es liebt halt Hühner und Kühe genauso wie den Hund oder die Katze – und möchte daher weder das eine noch das andere verspeisen.
Die Stiftung «Das Tier + Wir», die auch Tierethikunterricht für Schulen anbietet, schreibt auf ihrer Webseite: «Wer früh lernt, den Tieren mit Respekt und Mitgefühl zu begegnen, wird es auch leicht haben, Rücksicht auf seine Mitmenschen zu nehmen.»
Klingt doch eigentlich gut, oder?
Zur Person: Mirjam Walser (38) schreibt auf Nau.ch regelmässig zum Thema Veganismus und Tierrechte. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School ist sie Expertin für veganes Unternehmertum und vegane Innovationen.