Felix Brun: Denis de Rougemont und die Hoffnung auf ein neues Europa
Europa-Wissenschaftler Felix Brun analysiert Denis de Rougemonts Weg zum Personalismus: Einzigartig, aber zum Miteinander verpflichtet.
Das Wichtigste in Kürze
- Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
- In diesem Artikel befasst er sich mit dem Intellektuellen Denis de Rougemont.
«Libre et responsable», so ist der Mensch, wie ihn der Westschweizer Intellektuelle Denis de Rougemont ins Zentrum stellt. Als er an seinem 40. Geburtstag, in der Mitte seines Lebens, in Genf ein Referat zur Zukunft Europas hält, weiss er noch nicht, wie sehr dieses Referat schliesslich sein Leben verändern wird.
Es markiert einen Neubeginn, für de Rougemont, aber auch für viele der illustren Gäste. Dass sie Verantwortung übernehmen für das, was geschehen ist, und sich so für die Zukunft befähigen, das verlangt er natürlich nicht nur von ihnen, sondern auch von sich selbst.
Aufgewachsen im kleinen Dorf Couvet im Neuenburger Jura, erfährt Denis de Rougemont schon früh die Vielfalt der menschlichen Existenz. Der Vater ist Pfarrer und prägt den Jungen durch seinen «klassischen, fast schon puritanischen Geist». Die Mutter entstammt einer wohlhabenden Familie und vererbt ihm «die Erdverbundenheit, die Romantik und die Kreativität».
Schon in seiner frühen Jugend entdeckt de Rougemont das Schreiben. Anfänglich schwülstig und überladen, entwickelt er immer mehr seinen bekannten, fesselnden Stil.
Denis de Rougemont und der Personalismus
Nach seinem Studium in Genf geht de Rougemont nach Paris, wo er zusammen mit Alexandre Marc den Personalismus begründen wird: Nicht Individuum und nicht Kollektiv ist der Mensch, nein, er ist eine sich von allen anderen Menschen unterscheidende Person, frei einerseits, aber auch verantwortlich gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber sich selbst.
Ist der Mensch eine Person mit einer ihm eigenen Berufung, wird das Zusammenleben allerdings komplex und schwierig. Die Akzeptanz aber dieser Komplexität führt zu Frieden, ist de Rougemont überzeugt: «Der einzige Weg, heute zu einem dauernden Frieden zu gelangen, ist die Erneuerung einer Welt [...] auf Basis der Diversität der Personen und ihrer Berufungen.»
Eine klare Ansage, doch ist sie auch umsetzbar? Kann der Mensch auf alles antworten, was ihn beschäftigt, was ihn gefährdet, was ihn verletzt oder tötet?
Bald treten auch in de Rougemonts Leben Schwierigkeiten auf: In Europa zieht der Zweite Weltkrieg auf. Am 14. Juni 1940 nehmen die Deutschen Paris ein und de Rougemont fühlt sich als Offizier in der Schweizer Armee gezwungen, Stellung zu beziehen.
Rougemont während des Zweiten Weltkriegs
Die Siege der Deutschen seien nichts wert, schreibt er in einem Artikel in der Gazette de Lausanne, man könne nicht mit Panzern die Gaben der Seele besiegen. Das ist gefährlich. Zu gefährlich, wie sich bald herausstellen wird.
De Rougemont wird für seinen Artikel von General Guisan persönlich zu einer Gefängnisstrafe von 15 Tagen bei Brot und Wasser im Gefängnis von Saint Maurice verurteilt. Er muss diese Strafe zwar nicht absitzen, aber für den Generalstab der Schweizer Armee bleibt Denis de Rougemont fortan ein rotes Tuch. Man organisiert ihm eine Vortragsreihe in die USA, die er dann auch tatsächlich mitsamt seiner Familie antritt.
Aus der Vortragsreihe werden sechs Jahre, die de Rougemont und seine Familie in den USA verbringen. De Rougemont verliebt sich während Zeit Hals über Kopf in Consuelo de Saint-Éxupery. Das Exil belastet ihn, er fühlt sich einsam, was auch auf die schwierige familiäre Situation zurückzuführen ist.
Das materialistisch-hedonistische New York setzt ihm zu. «Das Vergnügen ist hier nichts anderes als Leere. Nichts anzuschauen ausser diese Mauer mit ihren feuchten Steinen. Nichts, das lebt, nichts, dem man länger lauschen könnte, nichts, das sich bewegt. Nichts zu empfinden.»
Als de Rougemont nach dem Weltkrieg nach Genf zurückkehrt und am 8. September 1946, seinem vierzigsten Geburtstag, an den Rencontres Internationales eine aufsehenerregende Rede halten wird, versöhnt er sich in diesem Moment auch mit seinem schwierigen Leben. Es ist, als ob die 40 Jahre Denken nun endlich in aktives Handeln überführt würden.
Eine Befreiung ist das. Er findet eine neue Aufgabe und damit auch ungeahnte neue Kräfte. Er wird wahrgenommen, und er selbst nimmt eine Veränderung wahr: Europa kann bewegt werden, von unten, weil die Führer oben tot sind. Ein föderalistisches Europa kann Realität werden!
*****
«Sprechen wir über Europa»
Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.