Felix Brun: Peter von Matt sieht Debatten als Pfeiler der Demokratie
Der Germanist Peter von Matt feiert heute Montag Geburtstag. Der Europa-Wissenschaftler Felix Brun analysiert eines seiner Werke.
Das Wichtigste in Kürze
- Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
- In diesem Artikel befasst er sich mit dem Germanisten Peter von Matt.
Der Mensch ist das lebenslange Studienobjekt des Germanisten Peter von Matt, der an diesem 20. Mai seinen 82 Geburtstag feiert. Der Mensch kann böse sein, aber er ist auch fähig zur Liebe und zur Versöhnung.
Als Peter von Matt, wie man es von ihm gewohnt ist, beim Wilhelm Tell von Schiller genauer hinter die Kulissen blickt, entdeckt er einen Tell, den man so vorher noch nicht gekannt hatte: Einen Tell eigentlich, der mit den wichtigsten Errungenschaften der Schweiz nicht viel gemein hat.
Für den Zürcher Germanisten Peter von Matt ist die Literatur ein Hilfsmittel dazu, den Menschen als Mensch kennenzulernen. Vielfältig sind die literarischen Figuren, mal grundböse, mal eitel, mal ehrgeizig, mal liebend.
In dieser vielfältigen Welt der Literatur gibt es daher unendlich viele Konflikte und wo sich alles gegen alles stellen kann, wo der Bauer gegen den König, die Frau gegen den Mann, der Zwerg gegen Drachenkönige Krieg führen kann, da lernt man ihn kennen, den Menschen. Literatur ist in den Worten Peter von Matts ein «Spiel», das der Erkenntnis des Menschen dient.
Wo die Konflikte zahllos sind, da kann es eine einzige Wahrheit nicht geben. Der streitende Mensch streitet immer auch um eine mögliche Wahrheit. Das ist nicht schlimm, im Gegenteil, es definiert gerade den Menschen als ein würdevolles Wesen: Der Mensch hat eine eigene Meinung, er ist nicht gleichgeschaltet, er darf diese Meinung auch äussern, dadurch erlangt er Würde, Menschenwürde.
Wird diskutiert, manifestiert sich Demokratie
Durch die Möglichkeit der Meinungsvielfalt entsteht für Peter von Matt ein kostbares Gut, etwas worauf auch die Schweiz stolz sein kann: Die moderne Demokratie. Wird diskutiert, manifestiert sich Demokratie.
Das Gegenteil zur Diskussion, zur Versöhnung, zum Kompromiss, ja zur Liebe ist die Gewalt. Die Gewalt ist die einfachste aller Lösungen, oder um es in den Worten von Matts zu sagen, «man war in Probleme verstrickt, sie sind gelöst. Man hat sich mit Fragen herumgeschlagen, sie sind beantwortet.» Wir wissen es alle: Gewalt ist tödlich.
Es ist dieser Gegensatz von Liebe und Gewalt, der Peter von Matt in seiner Analyse des Schillerschen Wilhelm Tell so wunderbar herausarbeitet. Für ihn ist Tell ein Wilder, «ein Waldmensch, der keinen braucht, der sich selbst genug ist, der alles kann», ein «Einzelgänger, mehr noch: Er ist ein vorpolitischer Mensch», ein «Nichtrepublikaner».
Dieser Eigenbrötler, der sich auch nicht zu schade ist, auf den eigenen Sohn zu schiessen, dieser vorpolitische Mensch soll also ein Vorbild für die Schweiz sein? Für Peter von Matt gehört Tell nicht zu den «tatsächlichen politischen Leistungen der Schweiz».
Es gibt andere Leistungen, die sich herausheben aus der europäischen Geschichte der Gewalt, von Matt nennt etwa «die Kunst des politischen Kompromisses, die verhinderte Machtballung bei Einzelpolitikern und die überproportionale Förderung der Minderheiten».
Nicht der gewalttätige und einsame Wilhelm Tell ist demnach für Peter von Matt die grosse Leistung Friedrich Schillers, sondern der Schwur auf dem Rütli: «Mich persönlich interessiert die Inszenierung der Menschenrechte am meisten. Das war das Gebot der Stunde. In der Rütliszene der Gestus: Wir holen die ewigen Gesetze vom Himmel herunter, im Sinne einer Berufung auf das Naturrecht.»
Wilhelm Tell aus Französischer Revolution und europäischen Humanismus
Das ist grossartig. Den Wilhelm Tell – er stammt übrigens aus Dänemark, auch das verrät uns von Matt einmal – des deutschen Autors Schiller als ein Produkt der Französischen Revolution, des europäischen Humanismus verstehen zu können, das kann nur dem «Europäer» Peter von Matt gelingen.
Europäer, dies sei hier noch kurz erwähnt, ist von Matt natürlich über die Literatur geworden: Für ihn ist die europäische Literatur ein grenzüberschreitender «Raum der Inspiration».
Die Literaten Europas, «die schaffenden Geister», kommunizieren miteinander, haben schon immer miteinander kommuniziert, sie überschreiten Grenzen und lassen ihre Helden dieselben Grenzen überschreiten. «Don Quijote reitet über alle Grenzen» heisst das dann bei Peter von Matt.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Herr von Matt!
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«Sprechen wir über Europa»
Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.