Gewalt

Gastbeitrag: So waren die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen»

Vom 25. November bis 10. Dezember fanden «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt. Lena Allenspach & Barbara Keller sprechen im Gastbeitrag mit der Organisatorin.

Anna-Béatrice Schmaltz, Programmverantwortliche Prävention geschlechtsspezifische Gewalt und Kampagnenleiterin, cfd - die feministische Friedensorganisation. - cfd / Nathalie Jufer

Das Wichtigste in Kürze

  • Anna-Béatrice Schmaltz, Projektleiterin von «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» erzählt.
  • Im Gespräch mit Lena Allenspach und Barbara Keller spricht sie über diesjährige Ausgabe.
  • Lena Allenspach und Barbara Keller sind SP-Stadträtinnen in Bern.

Seit 2018 finden in der Schweiz jedes Jahr die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt. 16 Aktionstage, um gegen Gewalt an Frauen zu sensibilisieren.

Initiiert wurde das Projekt in der Deutschweiz sowie Lichtenstein von der feministischen Friedensorganisation cfd. Gemeinsam mit Anna-Béatrice Schmaltz, Projektleiterin dieser Kampagne beim cfd, ziehen wir Bilanz der diesjährigen Aktionsreihe. Ein Gespräch.

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Anna-Béatrice Schmaltz. - Keystone

Du organisierst jedes Jahr die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» in der Schweiz, kannst du uns etwas über deine Arbeit erzählen?

Die 16 Aktionstage sind eine Präventions- und Sensibilisierungskampagne – sie findet jedes Jahr zwischen dem 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und dem 10. Dezember, dem Internationalen Menschenrechtstag, statt. Die Daten verdeutlichen, dass Gewalt an Frauen eine Menschenrechtsverletzung ist.

Gemeinsam mit über 200 beteiligten Organisationen haben wir dieses Jahr in der Deutschschweiz, in einzelnen Regionen der Romandie und in Liechtenstein mehr als 150 Veranstaltungen und Aktionen durchgeführt. Das waren Diskussionsrunden, Lesungen, Strassenaktionen, Filmfestivals, Vorträge, orange Beleuchtungen und vieles mehr. So machen wir in verschiedenen Formen und breit sichtbar auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam.

Denn nur wenn wir über Gewalt sprechen, können wir Gewalt verhindern. Meine Aufgaben sind, das gemeinsame Fokusthema, das Programm, den Auftritt, die thematischen Inhalte und die Beiträge der beteiligten Organisationen zu koordinieren und beispielsweise auch die Medienarbeit auf nationaler Ebene zu machen.

Was war das Thema der diesjährigen Reihe?

Die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» legen den Fokus jedes Jahr auf einen anderen Aspekt oder eine andere Form von geschlechtsspezifischer Gewalt. Dieses Jahr haben wir sexualisierte Gewalt beleuchtet.

Diese Gewaltform ist in der Schweiz stark verbreitet, sie passiert alltäglich. Jede zweite Frau ist, laut einer Studie von gfs.bern, davon betroffen.

Wir sprechen bewusst von sexualisierter und nicht von sexueller Gewalt. Damit zeigen wir auf, dass es sich um sexualisiert instrumentalisierte Gewalt handelt. Es geht darum, mit sexualisierten Mitteln Macht und Gewalt auszuüben, es hat nichts mit Sexualität zu tun hat.

Warum ist diese Kampagne wichtig oder anders gefragt, was kann diese Kampagne deiner Meinung nach bewirken?

Unser Ziel ist, dass Gewalt verhindert wird, bevor sie entsteht. Wir bewirken, dass über Gewalt gesprochen wird. Mit den 16 Aktionstagen regen wir einen feministischen Diskurs zur Verhinderung von Gewalt an.

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Rund 100 Aktivist*innen setzen an der Lancierungsaktion zu den «16 Tagen gegen Gewalt an Frauen» ein starkes Zeichen gegen sexualisierte Gewalt am Bahnhofplatz in Bern am 25. November 2021. - cfd / Nathalie Jufer

Es ist auch wichtig, dass Betroffene von Gewalt wissen, dass sie keine Mitschuld tragen und sich Unterstützung holen dürfen. Wer Gewalt erfahren hat, kann sich an eine Opferberatungsstelle wenden.

Wenn das Thema breit diskutiert wird, tragen wir dazu bei, dass sich politisch etwas verändert. Aktuell steht zum Beispiel die Revision des Sexualstrafrechts bevor.

Uns ist wichtig, dass im Sexualstrafrecht künftig das Konsensprinzip verankert ist. Das bedeutet: Wenn bei sexuellen Kontakten der Konsens fehlt, handelt es sich um Gewalt. Das muss sich im Sexualstrafrecht widerspiegeln.

Was könnte das Thema für die nächste Kampagne sein?

Das Fokusthema legen wir immer Anfang Jahr gemeinsam mit den Organisationen, die sich an der Kampagne beteiligen, fest. Geschlechtsspezifische Gewalt ist leider sehr breit. Es gibt mehrere Themen, die unbedingt noch näher beleuchtet werden müssen.

Uns ist auch immer wichtig, dass wir die strukturelle Dimension von geschlechtsspezifischer Gewalt beleuchten. Das heisst, dass wir beispielsweise die fehlende Gleichstellung zwischen den Geschlechtern und den Sexismus in unserer Gesellschaft als Nährboden für Gewalt zur Sprache bringen.

Elementar ist auch, dass wir Mehrfachdiskriminierungen ansprechen, weil eine Frau mit Behinderung, eine geflüchtete Frau oder eine trans Frau nochmals zusätzliche Formen von Gewalt erleben. Das muss in der Prävention und Sensibilisierung mitberücksichtigt werden.

Was hast du aus diesen 16 Tagen mitgenommen?

Der gemeinsame Einsatz für eine gewaltfreie und gleichgestellte Gesellschaft und die Solidarität untereinander ist für mich immer wieder beeindruckend und bestärkend. Die diesjährigen Aktionstage haben gezeigt, dass wir viel mehr über sexualisierte Gewalt sprechen müssen und vor allem, dass wir auf feministische Weise über Gewalt sprechen müssen.

Das heisst, wir müssen Betroffene ernst nehmen, ihnen glauben und sie unterstützen. Viel zu oft wird den Betroffenen eine Mitschuld an der Gewalt gegeben, indem etwa gesagt wird, sie hätten die Gewalt durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung provoziert. Diese Täter-Opfer-Umkehr muss aufhören, kein Verhalten rechtfertigt Gewalt.

Sexualisierte Gewalt beginnt im Kleinen mit stereotypen Rollenvorstellungen und sexistischen Einstellungen. Diese äussern sich dann zum Beispiel in sexistischen Witzen, Bemerkungen über den Körper oder in anderen Grenzverletzungen. Das passiert sehr alltäglich und wird meist als «normal» angesehen. Wir müssen alle begreifen, dass das bereits sexualisierte Gewalt ist.

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Auch die Autorin Lena Allenspach (links) war an den Aktionstagen «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» mit dabei. - zVg

Was braucht es für eine gleichgestellte Zukunft?

Gleichstellung und Gewaltprävention hängen eng zusammen. Gleichstellung führt dazu, dass das Machtgefälle geringer ist und es deswegen weniger geschlechtsspezifische Gewalt gibt.

Bis zur Gleichstellung haben wir aber noch einen langen Weg vor uns. Wir müssen stereotype und sexistische Rollenbilder benennen und aufbrechen. Care-Arbeit muss fair aufgeteilt werden. Und Menschen ausserhalb der binären Geschlechtervorstellung müssen unbedingt anerkannt werden – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Wichtig ist auch, dass gleichzeitig weitere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit abgebaut werden. Für eine gewaltfreie und gleichgestellte Gesellschaft müssen wir unbedingt die sogenannte Istanbul-Konvention umsetzen. Das ist ein Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt.

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Zwei Frauen küssen sich unter einer Regebogenflagge (Symbolbild). - epa

Sie ist seit 2018 in der Schweiz in Kraft. Die Umsetzung geht jedoch nur langsam voran. Die Konvention beinhaltet breite umfassende Massnahmen gegen Gewalt: Prävention, Schutz, Unterstützung, Beratung, Täterarbeit, Strafrecht und genügend finanzielle Mittel. Es ist auf jeden Fall eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, Gewalt zu verhindern und die Gleichstellung voranzutreiben.

Was erhoffst du dir für eine feministische Zukunft?

Der Einsatz für eine feministische Zukunft prägt meinen ganzen Aktivismus und meine Arbeit für die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Kurz gesagt erhoffe ich mir, dass wir alle gleichgestellt, gewalt- und diskriminierungsfrei leben können und uns solidarisch gegenseitig und unserer Umwelt Sorge tragen.

Zu den Autorinnen:

Barbara Keller ist SP-Stadträtin, Co-Präsidentin SP Bern Ost, Geschäftsleitungsmitglied der SP Frauen Schweiz und Campaignerin bei der Unia Schweiz

Lena Allenspach ist SP-Stadträtin, Co-Präsidentin der SP Stadt Bern, Leiterin Kommunikation a.i. bei syndicom und Politologin.

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Lena Allenspach und Barbara Keller. - zVg

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