Gastbeitrag: Weshalb die Kirche und nicht das Rote Kreuz?
Simone Krüsi ist aus der Kirche ausgetreten. Das gesparte Geld geht jetzt an andere Organisationen. Ein Gastbeitrag der Freidenker Schweiz.
Das Wichtigste in Kürze
- Simone Krüsi ist Leiterin Kommunikation bei den Freidenkenden Schweiz.
- Auf Nau.ch spricht sie sich für eine konsequentere Trennung von Staat und Kirche aus.
- So entstünde ein fairer Wettbewerb und mehr Gleichberechtigung
Ich bin definitiv keine Kampfatheistin. Lange war ich sogar eher eine «Taufscheinchristin». So bezeichne ich - liebevoll, ich schwör’s! - jene Menschen, die (noch) nicht aus der Kirche ausgetreten sind, sich mit ihr aber nicht mehr sehr verbunden fühlen.
Die vielleicht das letzte Mal an einer Beerdigung in einem Gotteshaus sassen. Oder bei einer Taufe. Die allabendlich eher nicht beten. Und die vermutlich auch nicht in einer Kirche heirateten, sollten sie sich je vermählen.
Weshalb treten sie eigentlich nicht aus?
Es sind wohl die gesellschaftlichen Leistungen, welche viele davon abhalten, der Kirche gänzlich den Rücken zu kehren. «Die Kirche macht ja auch viel Gutes», das höre ich oft. Und ja, es stimmt sicher, dass die Kirche auch viel Gutes tut.
Aber darum geht es mir gar nicht. (Auch nicht um das weniger Gute.) Ganz unabhängig von diesem Guten wünschte ich mir, dass die Kirchen sich in erster Linie über Mitgliederbeiträge finanzieren - und nicht mittels staatlicher Gelder. So wie Sportvereine oder Umweltverbände dies schon seit jeher tun.
Denn, Hand aufs Herz: Es gäbe so viele andere Organisationen, die diese sozialen Leistungen, welche heute die Kirche übernimmt, genauso gut erfüllen könnten - wenn sie die Mittel dazu hätten.
Wettbewerb und Gleichberechtigung
In meiner idealen Welt würde der Kanton alle Leistungen, die er nicht selber erbringen kann, ausschreiben. Und alle Glaubensgemeinschaften (nicht nur christliche!) könnten sich gleichauf mit anderen privaten Organisationen darum bewerben: um die Übernahme solcher Aufgaben und entsprechende staatliche Mittel. Was dann entstünde, wäre ein fairer Wettbewerb. Und eben: Gleichberechtigung.
Ein weiterer Vorteil: Der Staat würde dazu gebracht, darüber nachzudenken, welche Leistungen er überhaupt erbracht haben möchte. Aktuell erhalten die Kirchen das Geld meist einfach so und quasi bedingungslos. Und es geht ja nicht um wenig: Mit fast einer halben Milliarde Franken werden die reformierte und die römisch-katholische Kirche jährlich unterstützt. Durch direkte Beiträge vom Staat, durch eine Tranche der Unternehmenssteuer.
Konsequentere Trennung von Staat und Kirche ist überfällig
Das gängige System trägt der gesellschaftlichen Entwicklung seit Jahrzehnten keine Rechnung. Die Zahl der Konfessionsfreien steigt konstant - mittlerweile sind 30% der Schweizer Bevölkerung ohne Religionszugehörigkeit. Und die erwähnten «religiös Distanzierten» sind da noch nicht mitgezählt. Sie machen einen erstaunlich hohen Prozentsatz aus.
So bejahen gemäss einer aktuellen Datenerhebung des Bundesamtes für Statistik nur 51% der Mitglieder der katholischen Kirche die Frage, ob sie an einen einzigen Gott glauben. Bei den Protestant:innen sind's gar nur 40 Prozent.
Eine konsequentere Trennung von Staat und Kirchen wäre zeitgemäss bis überfällig. Und sie bedeutete nicht zuletzt auch mehr Freiheit für die Kirchen selbst: Religiöse Gemeinschaften könnten ihre Weltanschauung nach der Trennung ungehindert von staatlichen Bindungen vertreten. Jede Gruppe hat das Recht, Stellung zu gesellschaftlichen und zu religiösen Fragen zu beziehen. Solche Stellungnahmen setzen aus meiner Sicht aber die Unabhängigkeit vom Staat voraus.
Ich selbst habe mich eines Tages von meinem Taufscheinchristinnen-Dasein verabschiedet und bin ausgetreten. Meine ehemalige Kirchensteuer geht nun an andere Organisationen.
Und auch wenn ich an die Verteilung der staatlichen Mittel denke, so frage ich mich: Weshalb eigentlich die reformierte Kirche und nicht das Rote Kreuz? Weshalb die katholische Kirche und nicht die Winterhilfe? Ja, weshalb eigentlich?