Die Zeiten von Küche, Kinder, Kirche sind vorbei!
Die Frauenrechtlerin und Freidenkerin Louise Stebler war eine der ersten Frauen im Grossen Rat von Basel-Stadt, schreibt Simone Krüsi. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Simone Krüsi ist Leiterin Kommunikation der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS).
- Auf Nau.ch erinnert sie sich an die verstorbene Freidenkerin Louise Stebler.
- Stebler hat die Zeit ihres Lebens für Frauenrechte gekämpft.
Als mein kleiner Sohn vor einigen Tagen mein Abstimmungscouvert in den Briefkasten warf, durchfuhr mich ein Gedanke. Wie viele Frauen hatten wohl vor 1971, wenn sie ohnehin grad einkaufen gingen, die Stimmzettel ihres Mannes zur Post gebracht – ohne dass darauf ihre Meinung stand?
Zugegeben, die Briefwahl wurde erst später eingeführt. Aber das Bild wollte mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil es kurz auf den Kopf stellte, mit welcher Selbstverständlichkeit ich bislang abgestimmt hatte. Wie hatten sich Frauen gefühlt, für die politische Mitbestimmung noch alles andere als selbstverständlich war? Was macht es mit einem, wenn die eigene Stimme nicht zählt?
Ich erinnerte mich an Louise Stebler und hätte sie in diesem Moment gerne danach gefragt. Louise, die Freidenkerin und Frauenrechtlerin durch und durch. Sie hatte noch erlebt, wie es war, von der politischen Teilhabe einfach ausgeschlossen zu sein. Und sie hatte erlebt, wie es war, dabei zu sein - als Frau der ersten Stunde im Basler Grossen Rat. Sie hatte gekämpft dafür.
Das Jubiläum, an das dieses Jahr erinnert wird, hat die 93-Jährige nicht mehr feiern können. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Ich habe Louise nur wenige Monate vor ihrem Tod getroffen. Dabei hat mir sie mir aus ihrem bewegten Leben erzählt; auch davon, wie ihre Religionsfreiheit ebendieses prägte. Und dass sie im Alter zwar kürzer trete - aber ans Sterben überhaupt nicht denke:
Louise Stebler erzählt aus ihrem Leben
«Ich habe auch keine Angst vor dem Tod. Wieso auch? Es ist dann ja ohnehin vorbei. Ich war schon immer ein positiver Charakter. Negatives vergesse ich schnell.
Religion war in meiner Familie nie ein grosses Thema. Meine Eltern waren kurz vor ihrer Hochzeit aus der Kirche ausgetreten. Ich erinnere mich, wie meine Mutter, als sie mich an meinem ersten Schultag begleitete, streng zur Lehrerin sagte: ‹Den Religionsunterricht besucht meine Tochter aber nicht!› Die Lehrerin hatte gelacht: ‹Umso besser, ich habe gerne ein paar Kinder, die mir beim Aufräumen helfen.›
Mein Vater war auch Freidenker. Er war Optiker und hat mithilfe seines Fernglases Dias vom Universum gemacht. Die zeigte er dann an Vorträgen. Er sagte immer: ‹Wenn die Menschen wüssten, wie es im Weltall ausschaut, dann glaubten sie nicht an den Herrgott.›
«Bin sehr politisch aufgewachsen»
Das Optikergeschäft von meinem Vater übernahm ich später mit meinem Mann. Ich hatte zwar die Matura gemacht, aber zur Uni hatte ich keine Beziehung. Niemand aus meiner Familie hatte studiert.
Ich bin sehr politisch aufgewachsen, meine Eltern waren beide in der Kommunistischen Partei. Während des Zweiten Weltkrieges hatten wir oft politische Flüchtlinge aus Deutschland bei uns, illegal. Man half sich von Partei zu Partei. Von der offiziellen Schweiz war keine grosse Hilfe zu erwarten. Mein belesener Vater redete oft tief bis in die Nacht mit den Versteckten. Und ich, damals elf, lauschte mit grossen Ohren.
1968 bin ich mit 13 anderen Frauen in den Grossen Rat gewählt worden, für die PdA. Basel-Stadt war ja der erste Kanton in der Deutschschweiz, der das Frauenstimmrecht eingeführt hatte. Wenn im Rat Frauenthemen anstanden, trafen wir Frauen uns eine halbe Stunde früher und einigten uns. Das war nie schwierig.
Einmal, als ich mich für die erste Kindertagesstätte stark machte, bekam ich flammende Unterstützung von Marianne Mall von der Liberaldemokratischen Bürgerpartei. ‹Die Zeiten von Küche, Kinder, Kirche sind vorbei!›, rief sie. Die Männer sind fast vom Sessel gefallen. Sie staunten – und schwiegen.»
Zurück in der Gegenwart – zu erreichen gibt's noch viel
Wie froh bin ich, gehören Kindertagesstätten heute nicht nur in Basel, sondern auch in ländlichen Regionen zum ganz normalen Erscheinungsbild. Und wie dankbar bin ich Louise, die sich so energisch für das politische Mitwirkungsrecht der Frauen eingesetzt hat. Louise und all jenen Menschen, die sich auch weiterhin gegen strukturelle Diskriminierung stark machen. Denn obwohl sich seit 1971 vieles verbessert hat: zu erreichen gibt’s hier, das wissen wir, auch in den kommenden 50 Jahren noch viel.