«Gefängnis, Anstalt oder Tod»
Unser Kolumnist liefert für einmal keinen politischen Furor, sondern erzählt eine persönliche Geschichte über Heroin, Tod und Genesung.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Immer mal wieder werde ich hier in den Kommentaren mehr oder weniger freundlich auf meine Vergangenheit als Drogensüchtiger angesprochen. Jetzt, mitten im Sommerloch, dachte ich, ich erzähle meine Geschichte - wenigstens eine Kurzversion davon.
Ich stamme aus einer dysfunktionalen Familie, und die meiste Zeit in meiner Kindheit trug meine ältere Schwester die Verantwortung für mich und die Familie. Ich war sicher ein eher rebellisches Kind und hatte immer Schwierigkeiten mit der Welt der Erwachsenen. Trotz guter Noten wechselte ich oft die Schule, brachte die meisten meiner LehrerInnen zur Weissglut und schwänzte oft, um mir etwas Freiraum zu stehlen.
Mit Vierzehn kam ich das erste Mal mit Drogen in Kontakt. Ich kiffte mit einem Freund und hab mir darauf die Seele aus dem Leib gekotzt. Trotzdem faszinierte mich die Idee, meine Gefühle und mein Befinden mit Alkohol oder Drogen beeinflussen zu können. Ich probierte gleich alles aus, was sich erreichen liess. Aber weder Grass, LSD, noch Speed oder Kokain konnten das Loch stopfen oder die Verlorenheit verschwinden lassen.
Mit Achtzehn fand ich dann meinen Weg an den Platzspitz und kam zum ersten Mal mit Heroin in Kontakt. Ab diesem Tag war die Suche zu Ende. Viele, die heroinabhängig werden, durchlaufen einen langen Prozess, in dem die Sucht immer stärker wird. Bei mir war das nicht so. Ich war vom ersten Augenblick an in der Falle.
Ich könnte jetzt hier einige schaurige Geschichten vom Platzspitz oder vom Letten erzählen, aber die meisten kennen das bereits aus den Medien. Zudem ist die Sucht eine eher langweilige Angelegenheit: Man steht auf, rennt hinter den Drogen her, geht zu Bett und wiederholt das Tag für Tag. Dazwischen sterben Menschen, man geht vielleicht für einige Zeit ins Gefängnis, und dann beginnt das ganze wieder von Anfang an.
Was ich vielleicht erzählen kann: In den folgenden 15 Jahren hab ich wohl ziemlich jeden Menschen in meinem Umfeld verletzt, war ein Spitzenklasse-Arschloch und habe sowohl meine Psyche wie auch meine Seele kaputt gemacht. Süchtige zerstören in erster Linie sich selbst. Heroin ist nicht wegen der körperlichen Schäden so gefährlich, sondern wegen dem, was es im Kopf und Herzen anstellt.
Während meine Freunde wie die Fliegen starben – von den 12 Leuten aus meiner damaligen Klicke leben noch zwei, inklusive mir – hatte ich unheimliches Glück. Während 15 Jahren Heroinsucht habe ich mir nicht eine Krankheit eingefangen, konnte mich immer einigermassen über Wasser halten und hatte immer Menschen, die mir halfen.
Ich hatte das Glück, dass ich so lange überlebt hab, bis ich wirklich die Schnauze voll hatte, bis ich so kaputt war, dass ich wirklich aufhören wollte.
Irgendwann ging ich in den Entzug. Es braucht mehrere Anläufe, bis ich wirklich alles aus meinem Körper hatte. Methadon, Heroin, Kokain, Benzodiazepine, Barbiturate, Alkohol ... Ich wusste nicht viel, aber ich wusste, wenn ich wieder Drogen nehmen würde, warteten Gefängnis, Anstalt oder Tod ...
Ich entschied mich für eine stationäre Therapie. Und das war der harteste Teil meines ganzen bisherigen Lebens.
Wenn man nach 15 Jahren Sucht eines Morgens aufwacht und sich sein Leben anschauen muss, und dabei feststellt, dass man ein zerbrochenes, kaputtes Arschloch ist, und man keine Möglichkeit mehr hat, vor dieser Erkenntnis in die Drogen zu flüchten, kann einen das zerbrechen.
Aber auch hier hatte ich Glück. Ich fand neue Freunde, die mir halfen, mein Leben und meine Persönlichkeit von Grund auf neu zu gestalten. Zuerst musste ich lernen, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Das heisst, ich konnte nicht mehr den Eltern, der Gesellschaft, dem Chef, der Partnerin die Schuld an allem geben, was mir passierte. Ich musste erkennen, dass meine Handlungen Konsequenzen für mich und andere haben.
Ein zweiter Schritt bestand darin, wieder Teil einer Gemeinschaft zu werden, und Empathie für andere Menschen zu entwickeln. Und zum Schluss musste ich in dieser Gesellschaft Verantwortung für Schwächere übernehmen. Natürlich hätte ich das nie alleine geschafft. Ohne staatliche Hilfe, ohne private Hilfe, ohne viele gute Menschen, wär ich jetzt wohl tot. So aber hatte ich die seltene Gelegenheit, mein Leben und meine Persönlichkeit neu zu bilden, und bewusst darauf zu achten, dass ich kein Arschloch mehr wurde.
Viele Leute fragen mich, ob ich meinen Weg bereue. Und das ist eine schwierige Frage. Ich kann ja mein Leben nicht gegen ein anderes tauschen, und ich mag die Person, die ich inzwischen bin, recht gut. Ich habe die Angst verloren. Wenn ich unter Druck komme, oder in schwierige Situationen komme, kann ich nur zurückschauen, und die schlimmsten Sachen, die mir heute drohen, sind noch immer eher lächerlich im Vergleich zu den Krisen und Schmerzen, die ich hinter mir hab.
Wenn ich mir dann andere Menschen anschaue, die nie die Chance hatten, sich selbst zu reflektieren und ihr Leben neu aufzubauen, die noch immer in ihrer Egozentrik - auch ohne Sucht - gefangen sind, bin ich auch ein wenig dankbar für die Chance, die ich bekommen habe. Ich lebe jetzt seit 18 Jahren ohne bewusstseinsverändernde Substanzen inklusive Alkohol, nur mit Tabak und Kaffee. Und ich bin jeden Tag dankbar, dass ich am Leben bin und dass sich dieses Leben gut anfühlt.
Also, wenn jemand mir das nächste Mal vorwirft, ich sei ja nur «ein Ex-Junkie», dann werde ich wieder lächeln, oder vielleicht eine passende Antwort geben. Ich würde meinen Lebensweg niemandem empfehlen, da er für die meisten tödlich endet. Aber es ist nun mal mein Leben, und es hat mich hierhergeführt. In eine Gegenwart, in der ich glücklich, angstfrei, verantwortungsbewusst und sozial leben kann.
Wer noch eine andere Version lesen will, findet auf der Webseite «Briefe an einen Süchtigen» mehr Details.