Holocaust-Gedenktag: Gastbeitrag vom Israelitischen Gemeindebund
Am Internationalen Gedenktag, dem Jahrestag der Befreiung des NS-Lagers Auschwitz am 27. Januar 1945, wird an die Opfer des Holocaust erinnert.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Erinnern kann ein erneutes Aufflammen von Nazi-Ideologien verhindern.
- Erinnern braucht Dialog und Begegnung, um nachhaltig Wirkung zu erzielen.
Heute, genau vor 78 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit. Mit jedem Jahr, das vergeht, rücken die schrecklichen Ereignisse des Holocaust, der Shoah, weiter in die Ferne.
Zudem werden die Zeitzeuginnen und -zeugen, die von ihren Schicksalen erzählen können, weniger. Es dauert nicht mehr lange, bis niemand mehr unter uns sein wird, der direkt von den schrecklichen Ereignissen berichten kann.
Erinnerung ist eine gesellschaftliche Verantwortung
Mehr denn je müssen wir die Erinnerung wachhalten. Wir müssen jenen gedenken, die während der Shoah den gewaltsamen Tod fanden. Wir müssen aber auch jenen gedenken, die überlebt haben und die durch ihre pure Existenz und ihr Weiterleben die Niederlage der Vernichtungsideologen unterstrichen haben.
Die Shoah ist dabei kein «jüdisches Anliegen». Die Shoah, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen gehen uns alle an. Die Vernichtungsmaschinerie der Nazis machte weder vor Landesgrenzen, Nationalitäten, Hautfarben noch vor Religion halt. Wir alle müssen uns darüber im Klaren sein, dass nur durch das Wachhalten der Geschehnisse und das Erinnern an die Erfahrungen ein erneutes Aufkommen solcher Ideologien verhindert, frühzeitig erkannt und bekämpft werden kann.
Ein Schweizer Memorial soll an die Opfer der Shoah erinnern
Deshalb setzt sich auch der Israelitische Gemeindebund SIG, der Dachverband jüdischer Gemeinden in der Schweiz, für die Errichtung eines Erinnerungsortes ein. Bei diesem Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus geht es um das Erinnern an die Vergangenheit, die Vermittlung von Wissen und die Vernetzung von Akteuren. Dabei ist es zentral, junge Menschen anzusprechen und sie mit Geschichte und mit Geschichten, die die Schweiz während der Zeit des Nationalsozialismus betreffen, zu konfrontieren. Menschen sollen dazu befähigt werden, Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung zu erkennen und sich diesen entgegenzustellen.
Das Memorial ist eine von mehreren wichtigen Initiativen in der Schweiz, die sich mit der Erinnerung an die Shoah befassen. Alle diese Initiativen sind wertvoll und wichtig. Sie zeigen aber auch alle, dass eine reine akademische Auseinandersetzung mit dem Thema zu kurz greift, vor allem wenn junge Menschen erreicht und Lehren aus der Vergangenheit in eigenes Verhalten übersetzt werden sollen.
Mit Begegnungen und im Dialog Verständnis aufbauen
Der Weg, den der SIG seit nunmehr über zwanzig Jahren zum Beispiel mit dem Projekt «Likrat» erfolgreich verfolgt, bestätigt, dass ein wichtiger Schlüssel in der Begegnung und im direkten Gespräch zu finden ist. Junge Jüdinnen und Juden besuchen, treffen und sprechen mit Schülerinnen und Schülern. Ziel ist es, im Dialog gegenseitiges Verständnis zu schaffen, aufzuklären und damit Vorurteile und Stereotype abzubauen.
Erinnerung muss mit den Mitteln Erfahrung, Dialog und Begegnung einhergehen, um nachhaltig Wirkung zu erzielen. Darum sind auch ein Memorial oder ein «Likrat»-Projekt zwar wichtige Puzzlestücke, aber keine abschliessende Lösung. Dafür braucht es zusätzlich uns alle, unseren eigenen Effort, gemeinsam zu erinnern, zu lernen und in den Dialog zu treten. Es braucht uns alle, um Intoleranz, Ausgrenzung und Hass entschieden die Stirn zu bieten.
Zum Autor: Jonathan Kreutner ist Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, dem Dachverband jüdischer Gemeinden in der Schweiz.