Liebe Schweizer Bevölkerung
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Liebe Schweizer Bevölkerung
Uns Linken wirft man ja immer mal wieder fehlende Liebe zum Vaterland vor. Naja, das ist – abgesehen davon, dass ich die Schweiz lieber Mutterland nenne – nicht wahr.
Ich bin vielleicht kein Hurra-Patriot oder Nationalist, sondern fühle eher diese tiefe Liebe zur Heimat. Jetzt fragen Sie sich sicher, was denn da der Unterschied ist.
Patrioten haben ein verklärtes Bild der Heimat. In der Schweiz hat das viel mit dem Tellen-Mythos, wackeren Eidgenossen und Alpenpanoramen zu tun. Mit viel Pathos wird «Freiheit» gerufen und sich in die Brust geworfen. Alles sehr nett, wenn man übersieht, dass sich die «Eidgenossen» über Jahrhunderte gegenseitig abgeschlachtet haben, oder als Reisige für fremde Mächte in bezahlte Kriege zogen.
Mit dem modernen Schweizer Bundesstaat von 1848 hat das wenig zu tun. Viele der patriotischen Mythen sind übrigens nicht 1291 entstanden, sondern wurden gezielt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs als geistige Landesverteidigung formuliert und verbreitet, damit eine so heterogene Gesellschaft wie die Schweiz einen gemeinsamen, patriotischen Nenner findet. Patriotismus hat oft nicht viel mit der echten, real existierenden Schweiz und ihren Institutionen zu tun.
Nationalisten hingegen streichen vor allem heraus, wie überlegen die eigene Nation allen anderen ist. Sie leben ein Gefühl von Ausgrenzung und Isolation, von Egoismus und Chauvinismus, stehen stramm unter einer Fahne. Nationalisten lieben die Überlegenheit, nicht die Nation. Die eigene Nation ist die beste. Man kennt das von Fussballclubs, nur richtet es da weniger Schaden an. Nationalismus geht immer Hand in Hand mit Militarismus - und war immerhin die treibende Kraft hinter zwei Weltkriegen.
Einen zusätzlichen Vorwurf des fehlenden Stolzes auf die Schweiz bekomme ich persönlich auch noch wegen meines Namens zu hören. Dabei ist es völlig egal, dass ich die Familie meiner Mutter bis zur Schlacht von Sempach (auf der Seite der Habsburger, sorry) zurückverfolgen kann. Es geht darum, dass Leute meinen, SchweizerIn sein bedeute irgendwas Ethnisches. Dem ist nicht so. Die Schweiz war schon immer eine Willensnation, eine Sammlung von Prinzipien, die die Werte unseres Landes ausmachen, und für die man sich verpflichtet. Lustigerweise scheinen gerade diejenigen, die sich selbst «Patrioten» nennen, oft genau diese Prinzipien nicht wirklich zu schätzen. Gerade Rechtsnationale haben in den letzten Jahren kein gutes Haar an unseren nationalen Institutionen gelassen.
Heimatliebe
Heimatliebe ist weder die kitschige, patriotische Verbrämung der eigenen Geschichte noch eine von Minderwertigkeitskomplexen beladene Überhöhung der eigenen Nation.
Um etwas lieben zu können, muss man es kennen. Man muss sich der Stärken und Schwächen des Geliebten bewusst sein. Ich liebe die Schweiz für ihre Vielseitigkeit, für ihre Fähigkeit, die unterschiedlichsten Menschen - mit vier Landessprachen und diversen Dialekten und Mentalitäten - zu einer Gemeinschaft zu schweissen. Ich liebe die Schweiz für ihre knurrige Kleinbürgerlichkeit, die schon die Leute aus dem nächsten Städtchen als Fremde anschaut, aber grantig wird, wenn jemand anderes es wagt, die Schweiz zu kritisieren. Ich liebe die Schweiz für das Nebeneinander von ländlichem Turnverein und urbaner Club-Landschaft. Für den ewigen Streit um Tradition und Progression. Ich liebe die Schweiz für ihre Hochschulen und ihr bodenständiges Lehrstellensystem.
Ich liebe unsere direkte Demokratie und den Konsens, der immer nach langem Gestreite und Gekeife dann erreicht ist, wenn alle gleich unzufrieden mit der Lösung sind. Ich liebe die kulturelle Kraft unseres Landes, die es immer schafft, neue Einflüsse schon nach einer Generation zu assimilieren und zu integrieren. Von den italienischen Gastarbeitern über die tschechischen und vietnamesischen Flüchtlinge bis zu den Menschen, die vor dem Jugoslawien-Krieg bei uns Zuflucht fanden und jetzt Teil unserer Schweiz sind.
Wäre es mir nicht schon länger bewusst gewesen, wie sehr ich meine Heimat liebe, in der Corona-Krise wären die Gründe dafür wieder scharf und deutlich sichtbar geworden.
Ich hätte in keinem anderen Land diese Pandemie erleben wollen. Nicht nur, dass unsere Gesellschaft und unsere Institutionen und Infrastruktur gut genug organisiert sind, um mit einer solchen Bedrohung fertig zu werden. Nein, in erster Linie darum, weil wir uns als Gemeinschaft angesichts einer Bedrohung für kurze Zeit über unsere kleinen Streitereien hinweggesetzt und gemeinsam an Lösungen gearbeitet haben.
Die Schweiz ist kein Stück Land innerhalb eher zufälliger Grenzen. Die Schweiz ist eine Idee der Zusammengehörigkeit und der Werte, eine Gemeinschaft von Menschen, die sich miteinander um das Zusammenleben kümmern, der Schweizer Staat ist keine ominöse Macht, sondern der organisierte Ausdruck der demokratischen Zivilgesellschaft. Und SchweizerIn ist man als Teil dieser Gemeinschaft, und nicht wegen Flaggen, Hurra-Patriotismus oder ethnischer Herkunft.
Ich wünsche euch ein schönes 1. August-Fest.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.