Nicole Ruggle (FDP) über die freie Meinungsbildung
Kürzlich hat die «NZZ» einen langjährigen Kolumnisten entlassen. Nicole Ruggle (FDP) plädiert im Gastbeitrag für eine freie Meinungsbildung.
Das Wichtigste in Kürze
- Nicole Ruggle (FDP) plädiert für eine freie Meinungsbildung.
- Gesellschaftsprobleme lösen sich nicht einfach, wenn man unbeliebte Meinungen verbietet.
- Erst vor kurzem entliess die «NZZ» einen Kolumnisten.
Die NZZ hat vor kurzem einen beliebten langjährigen Kolumnisten vor die Tür gesetzt. Der Aufschrei auf sämtlichen Seiten war gross; das Spekulieren über das «Warum» mindestens genauso. Ob sich die «Alte Tante» damit selbst einen Gefallen getan hat, sei dahingestellt.
Der Preis für eine freie Gesellschaft ist hoch. Er errechnet sich im Vertrauen, das man anderen Menschen entgegenbringt (und damit ist keineswegs blinde Autoritätshörigkeit gemeint) und der Mündigkeit, die man dem jeweiligen Gegenüber zugesteht. Auch - und besonders dann - wenn dieser Jemand anderer Meinung ist.
Die Kolumne vom 01. September 2020 war nun auch die letzte, wie mir die @NZZ soeben mitteilte. Das ist schade, aber ich bin dankbar für fast sechs Jahre Kolumnistentätigkeit bei einer Zeitung, die für eine Grosszügigkeit im Denken steht. https://t.co/KnZ0Atul6D
— Milosz Matuschek (@m_matuschek) September 8, 2020
Die Urteilsfähigkeit von uns allen sollte ausgeprägt genug sein, uns selbst auch kontroverse und unbequeme Meinungen zumuten zu können. Dies in der Annahme, dass erwachsene Menschen im Stande sind, zwischen Fakten, Fake News und Verschwörungstheorien differenzieren zu können; ohne die Hilfe von eifrigen privaten oder staatlichen Zensurbeamten.
Leider entfernen wir uns immer mehr von diesem Grundsatz. Unsere Gesellschaft schlittert mehr und mehr in eine hypersensible, infantile Rechthabereivereinigung ab, in der alles und jeder, der die eigene Meinung nicht teilt, niedergeschrien, ausgeschlossen, angegriffen, verklagt, bedroht oder beschimpft wird. Offline wie online.
Man muss die Meinung politisch Andersdenkender nicht teilen, aber man muss sie dulden und aushalten können. Mündigen Erwachsenen, die in ihrer politischen Meinung sattelfest sind, muss meinungsdivergierender Widerspruch zugemutet werden können.
Bankrotterklärung an unsere Zivilgesellschaft
Wenn wir es nicht mehr schaffen, uns mit Andersdenkenden an einen Tisch zu setzen und vernunft- und faktenbasiert zu argumentieren, dann ist das eine intellektuelle Bankrotterklärung an unsere Zivilgesellschaft.
Meinungspluralismus ist wichtiger denn je; der Meinungskorridor dessen, was gesagt und gedacht werden darf, wird enger und enger. Dahinter steht der unreife und undurchdachte Wunsch, die unschönen Seiten einer Gesellschaft mittels Sprechverbote ganz einfach auflösen zu können.
Diskurs unter den Teppich schieben
Gesellschaftliche Problematiken lösen sich aber nicht einfach in Luft auf, indem man unliebsame Meinungen verbietet, zensiert oder niederschreit; man kehrt den Diskurs darüber lediglich unter den Teppich.
Oder: Noch viel schlimmer – man überlässt die Deutungshoheit über kritische Ansichten und heikle Themen gleich ganz den Anderen. Die Anderen, das sind: Verschwörungstheoretiker, Querköpfe, Hochstapler. Im Klartext: Denjenigen, vor denen man den Diskurs eigentlich schützen wollte. Well done.