Tierwohl: Margen-Wahnsinn bei Label-Produkten?

Sentience Politics
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Bern,

Wenn Essen nach höheren Standards produziert wird, gibt man mehr dafür aus. Doch nicht die ganze Marge landet beim Produzenten, schreibt Sentience Politics.

coop poulet
Eine Kundin steht vor dem Kühlregal mit Fleischprodukten. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der höhere Standard eines Produkts soll mit einem höheren Preis entlohnt werden.
  • Aber viele Detailhändler weigern sich aktiv, ihre Margen öffentlich zu kommunizieren.
  • Nicht die ganze Marge landet beim Produzenten, schreibt Sentience Politics im Gastbeitrag.

Wir alle haben Vorstellungen davon, was gutes Essen ausmacht. Neben dem Geschmack spielen für viele Menschen auch Herkunft und Produktionsweise eines Lebensmittels eine bedeutende Rolle. Der steigende Absatz von Label-Produkten macht denn auch deutlich: Immer mehr Menschen sind bereit, mehr für Essen auszugeben, wenn es nach höheren Standards produziert wird.

Mit dem höheren Preis, den wir bezahlen, wollen wir auch Landwirte unterstützen, die mehr Aufwand auf sich nehmen, da sie beispielsweise biologisch Getreide anbauen oder Schweinen, Kühen und Hühnern ein schöneres Leben ermöglichen. Doch profitieren die Landwirte und Landwirtinnen am Ende des Tages überhaupt von den höheren Lebensmittelpreisen, oder landet das Geld anderswo?

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Die Hühnermast sorgt immer wieder für Schlagzeilen. - Keystone

Diese Frage ist in der Schweiz schwierig zu beantworten. Leider ist das System nicht transparent genug, um den Preis eines Lebensmittels in der Produktionskette zurückzuverfolgen und auf die einzelnen Beteiligten zu verteilen. Allen voran die beiden Detailhandelsriesen Migros und Coop weigern sich aktiv, ihre Margen öffentlich zu kommunizieren.

Schaden Coop und Migros dem Tierwohl?

Erst kürzlich wurden die Detailhändler abermals unter politischem Druck dazu aufgefordert, für mehr Preistransparenz zu sorgen. Doch die Forderung stösst weiterhin auf taube Ohren. Würde mehr Durchblick bei den Preisen der Label-Produkte Coop und Migros in ein schlechtes Licht rücken?

Der Schweizer Tierschutz STS und die Branchenorganisation Metzgertreuhand haben sich vergangenes Jahr zusammengetan und Fleischpreise auf eigene Faust analysiert. Das Ergebnis war eindeutig: An den Label-Produkten verdienen primär die Detailhändler und nicht die Landwirtinnen und Landwirte.

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Kühe essen Futtermittel in einem Kuhstall. (Symbolbild) - Keystone

Speziell bei Tierprodukten ergibt sich eine zusätzliche Problematik. Laut dem Schweizer Tierschutz STS ist der Preisaufschlag, den Coop und Migros auf konventionelles Fleisch setzen, deutlich tiefer als beim Bioäquivalent. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Detailhandel mit den übermässig hohen Label- und Biopreisen so aktiv den Konsum von «Billigfleisch» querfinanziert. Die Preise für konventionelle Produkte werden absichtlich tief gehalten. Die Folge? Unnötig teures Biofleisch an der Ladentheke und Landwirtinnen und Landwirte, die keine faire Entlöhnung für ihre Arbeit erhalten.

Dies zeigt sich zum Beispiel beim Schinken: Für tierfreundliche Bioqualität bezahlen Kundinnen und Kunden knapp 28 Franken mehr pro Kilogramm im Vergleich zum Schinken aus konventioneller Produktion. Die Landwirtinnen und Landwirte sehen für ein Kilo Biofleisch aber lediglich ein Plus von 2 Franken beim Absatzpreis. Kein Wunder, möchten Migros und Coop nicht weiter darüber Auskunft geben, wo die 26 Franken Differenz landen.

Wieso können sich Migros und Coop das erlauben?

Die beiden Detailhändler dominieren den Schweizer Lebensmittelmarkt. Gemeinsam verfügen sie über einen geschätzten Marktanteil von 80 %. Das bringt sie in eine enorme Machtposition, mit welcher sie ihre Zulieferer unter Druck setzen können. Eine Untersuchung im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur Preisentstehung von Schweizer Brot im Vergleich mit Deutschland illustriert, wie sich diese Marktmacht auf unser Portemonnaie auswirkt.

Hierzulande kostet ein Kilogramm Brot durchschnittlich 6 Franken – das ist das Doppelte des deutschen Preises. Den Anteil der landwirtschaftlichen Produktion kann man bei der Schweizer Preisgestaltung allerdings quasi vernachlässigen. Die Studie hat aufgezeigt, dass Schweizer Brot selbst dann noch deutlich teurer wäre als Deutsches, wenn die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte ihr Getreide gratis an die Mühlen abgeben würden.

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Verschiedene Fleischprodukte in einem Schweizer Supermarkt. - Keystone

Von den 6 Franken, die wir im Laden bezahlen, kommen nämlich aktuell nur 41 Rappen bei den Landwirtinnen und Landwirten an. Die Mehrkosten entstehen also bei den Bäckereien und im Detailhandel. Dies ist natürlich einerseits auf höhere Löhne und Infrastrukturkosten zurückzuführen. Die Autoren der Studie haben aber auch festgestellt, dass die Gewinnmarge im Schweizer Detailhandel mit 6 Prozent deutlich höher ausfällt als jene in Deutschland. Der Grund? In Deutschland ist der Wettbewerb grösser, was kaum Margen zulässt.

Und der Zollschutz?

Könnte es nicht sein, dass der hohe Zollschutz des Schweizer Agrarmarktes für die teureren Lebensmittel zuständig ist? Die Studie des Seco widerlegt dies. Die Schweizer Agrarpolitik und die kleinbetrieblichen Strukturen führen zwar zu Mehrkosten. Der Hauptanteil der hohen Schweizer Preise wird aber klar in der Verarbeitung und beim Detailhandel aufgeschlagen. Die Marktkonzentration rund um Migros und Coop macht es möglich.

Was nun?

Aus Tierwohlsicht ist es keine Lösung, Label-Tierprodukten den Rücken zu kehren. Denn darunter leiden vor allem die Tiere, nicht der Detailhandel. Es ist also durchaus sinnvoll, weiterhin vermehrt die Bioproduktion zu unterstützen oder den Konsum von Tierprodukten im Allgemeinen zu reduzieren.

Gleichzeitig braucht es zusätzlichen politischen Druck aus der Bevölkerung, der dafür sorgt, dass Preistransparenz im Detailhandel zukünftig kein Wunschtraum mehr ist, sondern fester Bestandteil der Realität. Das müssen wir fordern. Denn als Konsumierende verdienen wir es zu wissen, in wessen Portemonnaie unser Geld schlussendlich landet.

Zum Autor: Silvano Lieger ist Geschäftsleiter von Sentience Politics.

Silvano Lieger.
Silvano Lieger, Geschäftsleiter Sentience Politics. - zVg

Sentience Politics trägt die Interessen nicht menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Die Organisation möchte durch institutionelle Veränderungen dafür sorgen, dass auch das Leid nicht menschlicher Tiere möglichst effektiv minimiert wird. Dafür arbeitet Sentience Politics insbesondere mit den direktdemokratischen Mitteln, die uns in der Schweiz zur Verfügung stehen – namentlich Initiativen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.

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