Migros: Fleischersatzprodukte stehen im Fleischregal
Die Migros platziert als Test Fleischersatzprodukte im Fleischregal. Könnte so die Abkehr vom Fleischkonsum beschleunigt werden? Ein Sentience-Politics-Beitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Migros platziert als Test pflanzliche Fleischersatzprodukte im Fleischregal.
- Dies könnte die Abkehr vom exzessiven Fleischkonsum beschleunigen.
- Ein Sentience-Politics-Gastbeitrag.
Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten reduzieren bewusst ihren Konsum von Tierprodukten oder möchten dies in Zukunft vermehrt tun.
Neben dem Tierwohl spielen für diese Entwicklung vor allem ein wachsendes Umweltbewusstsein und Gesundheitsüberlegungen eine treibende Rolle.
Auf dem Markt widerspiegelt sich diese Entwicklung in einer regelrechten Explosion des Angebots pflanzenbasierter Alternativen zu Burgern, Milch, Käse und Co. über die letzten Jahre.
Zukunftsprognosen gehen davon aus, dass bis 2035 zwischen 11 und 22 Prozent unseres Proteinbedarfs durch pflanzliche und kultivierte Fleisch- und Milchproduktealternativen gedeckt wird.
Doch der Weg bis dahin ist noch lang. In der Schweiz bezeichneten sich 2020 lediglich rund fünf Prozent der Bevölkerung als Vegetarier oder Veganer.
Es überrascht deshalb nicht, dass Anbieter pflanzlicher Fleisch- und Milchprodukte sich nicht länger auf diese Zielgruppe beschränken. Ganz im Gegenteil ist das erklärte Ziel, die breite Masse für ihre Produkte zu begeistern.
Die Konsumierenden da erreichen, wo sie sind
Traditionellerweise wird pflanzliches Fleisch von den Retailern in einem eigenen Regal platziert, wo sich auch andere vegetarische und vegane Produkte wie Tofu oder Falafel finden.
Was für das vegetarische/vegane Publikum praktisch ist, kann dazu führen, dass andere Personen kaum mit den pflanzlichen Alternativen in Kontakt kommen.
Die Omnivorin, die auf dem Heimweg von der Arbeit Poulet-Geschnetzeltes für das abendliche Curry einkauft, hat die pflanzliche Alternative vor dem Fleischregal eben nicht direkt vor Augen.
Die Verhaltensökonomie spricht in Situationen, in denen Menschen durch geschickte Gestaltung der Entscheidungssituation in Richtung einer erwünschten Verhaltensweise «gestupst» werden, von «nudging».
Wenn die Migros also pflanzliches Fleisch neben traditionellem Poulet platziert und mit einem Schild auf die pflanzliche Alternative hinweist, macht sie es unserer Omnivorin vor dem Fleischregal besonders leicht, auf das Tierprodukt zu verzichten und etwas Neues auszuprobieren.
Anders gesagt: Die Platzierung im Fleischregal hat das Potenzial, Konsumentinnen und Konsumenten zu erreichen, die von sich aus nicht ans Vegi-Regal gehen würden.
Erste Erfahrungen aus den USA scheinen zu bestätigen, dass durch die Platzierung im Fleischregal ein erweitertes Kundensegment für pflanzliches Fleisch gewonnen werden kann.
Vision Proteinregal
Aber was ist mit jenen Personen, die echtes Fleisch grundsätzlich meiden wollen? Werden diese durch eine Neuplatzierung ihrer Lieblingsprodukte im Fleischregal nicht abgeschreckt?
Bestimmt ist die Platzierung von Ersatzprodukten beim tierischen Fleisch für Vegetarier und Veganer zumindest gewöhnungsbedürftig. Als Übergangslösung bietet sich deshalb eine Doppelplatzierung von pflanzlichem Fleisch im Fleisch- und im Vegi-Regal an.
Im Endeffekt erfüllen pflanzliches und tierbasiertes Fleisch dieselbe Funktion: Sie dienen als hochwertige Proteinquelle für die menschliche Ernährung.
Mittelfristig macht es deshalb Sinn, auf ein Proteinregal hinzuarbeiten, in dem Tierprodukte und pflanzliches Protein als gleichberechtigte Optionen an ein und derselben Stelle im Laden zu finden sind.
Die Konsumentinnen und Konsumenten können sich dann direkt an Ort und Stelle z. B. zwischen pflanzlichem Geschnetzelten und dem konventionellen Äquivalent entscheiden. Je mehr Konsumentinnen und Konsumenten – zumindest ab und zu – zur pflanzlichen Alternative greifen, desto besser ist das für Tierwohl und Umwelt.
Wirkung in der Masse
Damit der Fleischkonsum in der Schweiz auf ein nachhaltiges Mass ohne Massentierhaltung sinken kann, braucht es die breite Masse der Konsumierenden.
Der Nutzen einer 20-prozentigen Reduktion des Fleischkonsums von 80 Prozent der Bevölkerung ist für Tierwohl und Umwelt deutlich höher, als wenn sich noch ein zusätzlicher kleiner Prozentsatz der Bevölkerung für eine rein vegane oder vegetarische Ernährung entscheidet.
Natürlich sind andere Faktoren wie Preis und Geschmack für den Kaufentscheid mindestens genauso relevant wie die Regalplatzierung.
Dennoch hat die Platzierung im Fleisch- und zukünftig im Proteinregal das Potenzial, mehr Menschen dazu zu motivieren, ab und an zur pflanzlichen Alternative zu greifen.
Mit der Durchführung und Auswertung von Tests kann die Migros anhand konkreter Daten herausfinden, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist und wie der notwendige Wandel hin zu einer nachhaltigeren Ernährung weiter gefördert werden kann.
Dieser Schritt ist sehr zu begrüssen. Der Migros bietet sich damit die Chance zu beweisen, dass es ihr mit ihren Nachhaltigkeits- und Tierwohlversprechen ernst ist.
Zum Autor: Silvano Lieger ist Geschäftsleiter von Sentience Politics.
Sentience Politics trägt die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Die Organisation möchte durch institutionelle Veränderungen dafür sorgen, dass auch das Leid nicht-menschlicher Tiere möglichst effektiv minimiert wird. Dafür arbeitet Sentience Politics insbesondere mit den direktdemokratischen Mitteln, die uns in der Schweiz zur Verfügung stehen – namentlich Initiativen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.