EU und USA werden abhängiger von China – und die Schweiz?
Ein neuer Bericht zeigt: Der Westen wird wirtschaftlich immer abhängiger von China. Experten ordnen die Lage ein und erklären, wie man damit umgehen sollte.
Das Wichtigste in Kürze
- EU und USA sind wirtschaftlich stärker auf China angewiesen als vor rund 20 Jahren.
- In der Schweiz sieht es etwas anders aus – man geht ohnehin liberaler mit dem Thema um.
- China kann die Abhängigkeit vom Westen derweil reduzieren, weil das Know-how zunimmt.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und dem Westen sind ein viel diskutiertes Thema. Für die einen überwiegen die Vorteile, die der Handel beiden Seiten bringt. Andere befürchten eine Abhängigkeit, die negative Folgen haben könnte.
Neue Zahlen des Mercator Institute for China Studies (Merics) zeigen nun: Die Abhängigkeit des Westens von China hat in den letzten gut 20 Jahren tatsächlich massiv zugenommen. Derweil hat die Abhängigkeit Chinas von Gütern aus dem Westen abgenommen.
Ungleichgewicht zwischen Westen und China
Für die Frage, ob eine Abhängigkeit vorliegt, sind beim Merics drei Kriterien ausschlaggebend. Erstens, wenn bei einem Produkt die Importe doppelt so hoch sind wie die Exporte. Zweitens, wenn ein Anbieter für 30 Prozent der Importe verantwortlich ist. Und drittens, wenn es weltweit sehr wenige Anbieter gibt.
Merics-Experte François Chimits spricht in diesem Zusammenhang von einer «zunehmenden Asymmetrie». Diese Entwicklung betrifft sowohl die EU als auch die USA.
Wichtig hierbei: In der Studie wird die EU als gesamte Einheit betrachtet – es wird also nicht zwischen den Mitgliedstaaten unterschieden.
Konkret war die EU 2022 in 421 Produktkategorien von China abhängig. Das sind rund dreimal so viel wie 22 Jahre zuvor. Bei den USA sind es für 2022 sogar 532 Abhängigkeiten – das sind fast viermal mehr als 2000.
Derweil konnte China seine Abhängigkeiten von 116 auf 57 (USA), beziehungsweise von 235 auf 120 (EU), Produktkategorien reduzieren.
Weitere in der Studie genannte Zahlen lassen einen ähnlichen Schluss zu: Die Ungleichheit in der wirtschaftlichen Beziehung scheint zu wachsen. Für Autor Chimits ist klar, dass insbesondere die EU jetzt handeln muss.
Die Schweiz ist in der Studie nicht explizit enthalten. Wie sieht es also bei uns aus? Experten schätzen die Lage gegenüber Nau.ch ein.
So steht es um die Abhängigkeit der Schweiz von China
Politikwissenschaftler Ralph Weber von der Universität Basel sagt zunächst: «Der Schweizer Handel mit China ist in den letzten 25 Jahren deutlich und stetig angestiegen.»
Die Warenexporte in die Volksrepublik haben demnach stärker zugenommen als diejenigen in den Euroraum oder in die USA. Wie abhängig die Schweiz aber tatsächlich von China sei, sei schwierig zu beziffern.
Je nach politischer Haltung werde das Argument der Abhängigkeit unterschiedlich verwendet, sagt Weber. Einige sagen fatalistisch, dass man abhängig sei und entsprechend die Beziehungen aufrechterhalten müsse. Andere sagen eher alarmistisch, dass man jetzt noch Gegensteuer geben könne, beziehungsweise müsse.
Auch je nach Branche gebe es Unterschiede, sagt Weber. «Insgesamt kann man sagen, dass die Schweiz in gewissen Bereichen und auch als Teil Europas abhängiger vom Handel mit China geworden ist.»
Ariane Knüsel, Historikerin an der Universität Freiburg, verweist auf eine Studie der ETH-Konjunkturforschungsstelle aus dem Jahr 2023. Sie zeigt: Viele Schweizer Unternehmen sind abhängig von chinesischen Importen, so die China-Expertin. «Aber gemäss eigenen Angaben nur etwa ein Fünftel mittel bis stark. Besonders in der Elektroindustrie und in der Pharma- und Chemiebranche.»
Man habe das Problem aber erkannt, so Knüsel. «Diese Abhängigkeit von China wird in verschiedenen Branchen und auch in der Politik bereits seit Jahren diskutiert.»
Schweiz hat «kleinere Abhängigkeit» als Deutschland
Interessant ist auch der Vergleich zwischen der Schweiz und anderen westlichen Ländern. China ist beispielsweise für Deutschland der wichtigste Handelspartner, für die Schweiz aber nur die Nummer drei. «Wir haben also eine kleinere Abhängigkeit», so die Historikerin.
Schweizer Handelspartner Nummer eins sind die USA. Probleme könne es für die Schweiz deshalb bei Spannungen zwischen den Amerikanern und den Chinesen geben, so Knüsel. «Wir haben das Problem, dass die USA den Handel der Schweiz mit der Volksrepublik China beeinflussen kann.»
Denn die Schweiz ist im Umgang mit China eigentlich deutlich liberaler als die USA oder die EU. «Zwischen den USA und China gibt es seit Jahren geopolitische und wirtschaftliche Spannungen und Sanktionen. Auch die EU hat im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Uiguren seit 2021 Sanktionen eingeführt und vor einer Woche Strafzölle für chinesische Elektroautos ermöglicht.» Die Schweiz hat dagegen bisher keine solchen Massnahmen ergriffen.
Für Knüsel ist die Schweiz in dieser Hinsicht eine Art «Sonderfall». Für Peking sei man ein «verlässlicherer Partner». Allerdings hätten auch einzelne EU-Staaten gute Beziehungen zu China. «Deshalb würde ich persönlich die Schweiz nicht als Sonderfall im Westen oder in Europa darstellen», so die Expertin weiter.
China könnte zunehmende Abhängigkeit politisch ausnutzen
Bleibt die Frage, inwiefern eine Abhängigkeit der Wirtschaft von China überhaupt ein Problem ist.
Laut Knüsel verfolgt China das Ziel, High-Tech-Produkte im eigenen Land produzieren zu können. Dafür hat man 2015 das Programm «Made in China 2025» ins Leben gerufen. «Die Schweiz, die EU und die USA sind für China in diesem Programm primär als Quelle der Technologie und des Know-hows wichtig.»
Die Mittel und Wege, um zu diesen Informationen zu kommen, sind vielfältig. Investitionen und Übernahmen, aber auch mithilfe von Forschungsprojekten oder Spionage könne China hier Fortschritte erzielen.
Letztlich sei die Volksrepublik dann weniger auf ausländische Technologie angewiesen. «Das erklärt, weshalb Chinas Abhängigkeit von westlichen Ländern tendenziell abgenommen hat», sagt Knüsel.
Auch in der Schweiz nehme deshalb die Besorgnis zu. Knüsel sagt: «Seit Jahren häuft sich Kritik an chinesischen Investitionen in der Schweiz oder an wissenschaftlichen Projekten von militärischer Bedeutung mit chinesischen Forschenden.» Dazu komme die steigende Angst vor Spionage oder das Interesse an besseren Beziehungen mit Taiwan.
Weber hält fest: «Eine zunehmende Abhängigkeit ist für die betroffenen Sektoren und bei einem genügend ausgeprägten gesamtwirtschaftlichen Effekt natürlich ein grosses Problem.» China setze wirtschaftliche Aspekte immer wieder für politischen Druck ein.
Abhängigkeiten verringern ist schwierig
Klar ist: Die Verringerung von bestehenden Abhängigkeiten sei in einer globalisierten Wirtschaft schwierig. Versuche vonseiten der EU würden unterschiedlich gelingen, sagt Weber. Es gebe nämlich auch einfach «politische Schaufenstereffekte».
Beispielsweise, wenn man zwar Produkte nicht direkt aus China importiert, aber dafür aus Drittländern, die ihrerseits aus China importieren.
Man könnte also zusammenfassen, dass auch die Schweiz sicherlich gewisse Abhängigkeiten hat. Schon nur die Feststellung, wie abhängig man genau ist und ob das überhaupt ein Problem wäre, ist allerdings umstritten. Die Frage, ob und in welcher Form man in dieser Hinsicht reagieren sollte, sowieso.