Gastbeitrag André Lanz, Rubigen: «Plötzlich Präsident»
André Lanz kandidiert für den Gemeinderat Rubigen. In seinem Gastbeitrag ruft er dazu auf, sich zu getrauen und sich für solche Ämter zu melden.
«Gemeinderatskandidat» - eine eigenartige Vorstellung. Bei den anstehenden Wahlen vom 29. November 2020 stehe ich auf der gemeinsamen Liste von BDP und Freien Wählern Rubigen. Wahlchancen rechne ich mir eigentlich keine aus. Es braucht doch recht viele Stimmen.
Und dennoch überfällt mich hin und wieder der Gedanke: Und wenn ich – entgegen aller Wahrscheinlichkeit – doch gewählt würde? Könnte ich das? Wäre ich die richtige Person für diese Aufgabe? Wäre ich nicht heillos überfordert?
Warum ich mir solche Gedanken mache? Na ja, ich bin doch eher eine stille, in sich gekehrte, introvertierte Persönlichkeit. Bei solchen Typen kommen ganz automatisch immer zuerst folgende Fragen auf: Kann ich das? Nein! Traue ich mir das zu? Nein! Soll ich es bleiben lassen? Ja!
Vom Kassier zum Präsidenten der Ortspartei
Vor über zwanzig Jahren sind wir nach Rubigen gezogen. Es dauert nur wenige Monate und ich bin Kassier des Kindergartenvereins. Mit einem kaufmännischen Hintergrund ist man in der Regel bald einmal Kassier oder Sekretär eines Vereins. Mitarbeit in einem kleinen, übersichtlichen Vorstand? Kein Problem, ich sage zu.
Kurz darauf: Die Rubiger Parteien suchen Kandidaten für die Geschäftsprüfungskommission. Meiner Ehefrau gegenüber äussere ich, dass mich dieses Amt eigentlich interessieren würde. Aber mich bei einer Partei melden? Nein! Niemals! Was würden die bloss von mir denken!
Über irgendwelche verschlungenen Pfade gelangt meine Aussage zu den Freien Wählern Rubigen. Und schon bin ich Mitglied der kleinen Ortspartei und Kandidat für die GPK – und werde zu meiner grossen Überraschung gewählt. Und noch zweimal wiedergewählt.
Ich bin doch etwas stolz, dass Rubigerinnen und Rubiger mir das Vertrauen schenken. Wenig später bin ich im Vorstand der Freien Wähler, später folgt die Anfrage, das Präsidentenamt zu übernehmen.
Die Mitarbeit im Vorstand gefällt mir. Ein gutes, familiäres Team, ich kann mich etwas im Hintergrund halten. Aber Präsident? Ich? Vor andere Leute stehen? Sitzungen oder die Hauptversammlung leiten? Nein, niemals! Kassier oder Sekretär wären absolut kein Problem. Aber die Partei leiten? Es kommt anders: plötzlich bin ich doch Präsident.
Vor Teenager stehen? Lieber nicht!
Jahre später: Die D-Junioren des FC Rubigen, in deren Mannschaft unser Ältester spielt, stehen plötzlich ohne Trainer da.
Vom ersten Schreiben des Vorstandes fühle ich mich nicht angesprochen. Erst beim zweiten – einem dringenden Appell – mache ich mir Gedanken. Es wäre doch schade, wenn die Mannschaft aufgelöst werden müsste. Ich habe ja schliesslich auch mal Fussball gespielt. Aber nein, doch eher nicht. Vor Teenager stehen? Verantwortung übernehmen? Nicht mein Ding. Und melde mich trotzdem.
Die Resultate der Mannschaft lassen zu wünschen übrig: Resultate wie 19 : 2 oder 14 : 0 sind an der Tagesordnung. Das war’s dann wohl mit meiner Trainerkarriere bei YB, Bayern oder Juventus … Aber das Erstaunliche ist: die Jungs lassen sich nicht entmutigen, sondern kommen wieder ins Training.
«Die Traumrolle für Päpu»
Ein bekannter Jodlerclub in Münsingen sucht Spielerinnen und Spieler für seine Theatergruppe. Ich weiss noch genau, was ich meinem Schwiegervater zur Antwort gab, als er mich telefonisch anfragte: «Toni, Du kennst mich jetzt gut 25 Jahre. Kannst Du Dir vorstellen, dass ich das schaffe? Theaterspielen? Ausgerechnet ich? Jemand, der nicht gerne vor Leute steht?»
Dort würde ich an den Unterhaltungsabenden vor einer sehr grossen Menge Leute stehen – und das im grellen Scheinwerferlicht. Ich bespreche das Ganze – mehr oder weniger ausführlich – mit meiner Frau und unserer jüngeren Tochter. Keine zehn Minuten später sage ich zu.
Ich kann meine Traumrolle spielen: Gusti, ein armer Knecht – nicht der hellste, etwas naiv, mit einem Sprachfehler. Unsere Kinder drücken es so aus: «Die Traumrolle für Päpu, da braucht er sich nicht gross zu verstellen …»
Und wissen Sie was? Es gefällt mir. Wer hätte gedacht, dass ich mal auf einer Bühne stehen würde? Und noch weitere Male. Einziger Wermutstropfen: aus Hollywood habe ich bis heute nichts gehört. Na ja, selber schuld, wenn sie so ein Talent einfach übergehen können!
Melden Sie sich und schauen Sie, was passiert
Nach zwölf Jahren in der Geschäftsprüfungskommission ist Schluss. Ich melde mich für die Kommission Bildung, Jugend und Sport – die frühere Schulkommission. Seit gut vier Jahren bin ich dort Mitglied. Als «Klassengötti» betreue ich drei Klassen.
Ich begleite sie mal auf eine Schulreise oder einen Ausflug, binde gefühlte 100 Paar Schlittschuhe in der Eisbahn Worb, unterstütze die Kleinen beim Werken und gebe ihnen Tipps beim Sägen, Bohren und Hämmern.
Ich kann das nicht! Das ist nicht mein Ding! Das schaffe ich nie! Andere können das viel besser! Ich lasse es lieber bleiben! Erst beim Durchlesen staune ich darüber, was ein stiller, introvertierter Typ doch zustande bringen kann. Eines kommt nach dem andern, ich bin nie überfordert mit zu vielen Aufgaben gleichzeitig. Es macht Freude. Gut, nicht immer – manchmal ist es mühsam, zeitaufwändig oder auch mal entmutigend.
Vielleicht möchten auch Sie sich eigentlich irgendwo betätigen: der Damenturnverein sucht eine Präsidentin, der Männerchor Sänger oder einen Dirigenten, der Fussballclub dringend Schiedsrichter und Trainer, meine Partei eine Kassierin.
Sie trauen sich nicht? Kann ich absolut nachvollziehen! Aber ich möchte Sie trotzdem ermutigen. Melden Sie sich einfach mal – und schauen, was daraus wird.
Zur Person
André Lanz ist seit 33 Jahren verheiratet mit Susanne Lanz-Banz. Er hat vier erwachsene Kinder und drei Enkel. Er wohnt in Rubigen und ist Buchhalter in einem Alters- und Pflegeheim