Grüne Aktivistin Vera Becker: «Feminismus wird oft missverstanden»
Vera Becker ist Co-Präsidentin der Jungen Grünen Aargau und kandidiert für den Grossen Rat. Mit Nau.ch spricht sie über ihren Alltag und ihre Ambitionen.
Nau.ch: Sie bezeichnen sich als hauptberufliche Aktivistin. Wie sieht dieser Berufsalltag aus?
Vera Becker: Ich bin zum einen Klimaaktivistin und zum anderen Co-Präsidentin der jungen Grünen im Aargau. In meiner Agenda diese Woche stehen zum Beispiel Parteisitzungen, Wahlkampfaktionen, die Planung und Durchführung des Klimastreiks oder auch Interviews und Pressearbeit.
Ich arbeite noch in zwei Nebenjobs und beginne im September ein Studium.
Aktivistin zu sein, ist jedoch das, was mich antreibt und woran ich abends zuletzt denke.
Nau.ch: Was motiviert Sie zum Aktivismus?
Vera Becker: Die Klimakrise beschäftigt mich täglich. Sie ist ein grosser Antrieb.
Mich beschäftigen aber auch andere Probleme, zum Beispiel im Asylbereich. Asylbewerber im Aargau werden aus Kostengründen die Zähne gezogen. Das sind Zustände, die ich ändern möchte.
Neben dem Klimastreik und der Asylpolitik sind feministische Themen mein grösster Fokus.
Nau.ch: Feminismus ist für viele ein Reizwort. Wie gehen Sie damit um?
Vera Becker: Der Feminismus 2020 ist nicht ausgrenzend oder abwertend. Das wird oft missverstanden.
Feminismus ist auch für die Männer da. Dass ein Mann mehr arbeiten und die ganze finanzielle Verantwortung tragen muss für seine Familie, ist nicht im Sinne des Feminismus. Im Gegenteil. Das Ziel ist, dass wir gleichberechtigt sind oder zumindest jeder selbst entscheiden kann.
Deswegen sind Themen wie Vaterschaftsurlaub, Lohngleichheit und Betreuungsmöglichkeiten ja so wichtig!
Es erstaunt mich manchmal, wie viele Menschen ein falsches Bild von Feminismus haben. Selbst erfahrene Politiker und Politikerinnen äussern sich zu feministischen Themen, als hätten sie noch nie ein Buch dazu gelesen.
Nau.ch: In der Politik, aber auch auf Social Media, kann der Umgangston aggressiv oder beleidigend sein. Ist das nicht auch abschreckend?
Vera Becker: Die Aktivistinnen und Aktivisten des Klimastreiks haben intern eine faire und offene Diskussionskultur etabliert.
Jeder darf sich äussern, jeder darf ausreden. Es hat nicht die Person Recht, die am lautesten ist.
In diesem Umfeld besprechen wir auch Angriffe oder diskriminierende Kommentare. Wir unterstützen einander, um mit Kritik umgehen zu können oder die Mechanismen dahinter zu durchschauen.
Viel Kritik – gerade an der Klimajugend – ist nicht konstruktiv. Davon dürfen wir uns nicht abschrecken lassen.
Nau.ch: Was ist ein Beispiel einer solchen Kritik?
Vera Becker: Wenn ich fordere, dass die Politik Rahmenbedingungen setzt für Flugreisen, werde ich kritisiert. «Was ist mit dir, du bist doch auch schon geflogen?» ist so ein Beispiel. Wir nennen diese Art der Kritik «Whataboutism» (zu Deutsch: «Was ist mit...»).
Der Gegner versucht, mit anderen oder ähnlichen Themen vom eigentlichen Problem abzulenken oder es abzuwerten, ohne auf die konkrete Thematik einzugehen.
Klar, ich bin schon geflogen in meinem Leben. Aber das macht die Tatsache nicht wett, dass wir in der Klimakrise stecken, dass das Fliegen ein grosser Negativfaktor ist und dass wir dringend Lösungen brauchen.
Nau.ch: Welche anderen Schwierigkeiten haben moderne Aktivisten?
Vera Becker: Whatsapp-Gruppen sind für uns ein sehr wichtiger Kanal. In letzter Zeit haben wir vermehrt Probleme mit Chatbots, die in die Gruppen eintreten, verbotene Pornographie oder Hasstexte verbreiteten und wieder verschwinden.
Wir verlieren jeweils Mitglieder von aussen aufgrund dieser Spamnachrichten. Ob es sich um politisch motivierte Angriffe oder einfach um Chaosstifter handelt, sei dahingestellt.
Nau.ch: Haben Sie Tipps für Menschen, die Politik langweilig finden, sich aber trotzdem informieren möchten?
Vera Becker: Klar! Der deutsche Comedy-Podcast «Gemischtes Hack» auf Spotify ist politisch nicht immer korrekt, aber kurzweilig und witzig.
Der Instagram-Account der Aktivistin Anna Rosenwasser deckt LGBTQ-Themen, aber auch vieles andere ab.
«Explained» auf Netflix bringt komplexe Themen kurz und knapp auf den Punkt.
Nau.ch: Zum Schluss noch etwas Wahlkampf: Warum soll man Vera Becker wählen?
Vera Becker: Ich bin mit 21 sehr jung und ernte ab und zu erstaunte Blicke, wenn ich sage, dass ich in den Grossrat will.
Nur so viel: Im Grossrat sitzen viele verschiedene Menschen, die diesen Job machen, auch ohne spezielle Vorkenntnisse. Ich bin überzeugt, dass ich diese Arbeit machen kann.
Als junge, grüne Frau würde ich neue Sichtweisen einbringen und die Vielfalt in der Politik fördern.
Ausserdem habe ich schon einmal ein Buch über Feminismus gelesen…