EGMR entscheidet über Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen
Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eröffnet am kommenden Dienstag sein Urteil im Fall des Vereins Klimaseniorinnen und von vier Einzelklägerinnen. Gleichzeitig gibt die Kammer ihre Entscheide zu zwei weiteren Klima-Beschwerden bekannt. Die Urteile werden zeigen, bis wohin die Zuständigkeit der Justiz in Klimafragen geht.
Als letzte nationale Instanz wies das Bundesgericht die Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen unter anderem mit dem Argument ab, dass ältere Frauen nicht stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen seinen als andere Bevölkerungsgruppen. Die Frauen würden nicht mit der erforderlichen Intensität in ihren Grundrechten auf Leben und Achtung des Privatlebens berührt, um sich mittels des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren zur Wehr zu setzen.
Dieses besagt, dass jede Person, die ein schutzwürdiges Interesse hat, von den zuständigen Behörden verlangen kann, dass sie widerrechtliche Handlungen unterlässt. Das Bundesgericht ist der Ansicht, die Seniorinnen müssten ihre Anliegen mit politischen Mitteln durchsetzen. Die Schweiz biete mit ihren demokratischen Instrumenten dazu hinreichende Möglichkeiten.
Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hatte im April 2017 die Eingabe der Klimaseniorinnen erhalten, in der sie die Unterlassungen der Behörden im Bereich des Klimaschutzes rügten. Sie forderten zusätzliche Massnahmen. Das Uvek trat auf ihr Begehren jedoch nicht ein.
Kampf gegen den Klimawandel: Die Rolle des EGMR
Die Klimaseniorinnen haben deshalb vor dem EGMR mit Studien zu belegen versucht, dass ältere Frauen durchaus stärker von den durch den Klimawandel verursachten Folgen wie Hitzewellen und dergleichen betroffen seien als andere Bevölkerungsgruppen. Der Bund müsse deshalb seinen Schutzpflichten ihnen gegenüber nachkommen.
Der Vertreter der Schweizer Regierung führte anlässlich der öffentlichen Anhörung in diesem Fall im März 2023 aus, mit der Beschwerde versuche man zu behaupten oder zu suggerieren, dass die Schweiz untätig sei. Er zeigte daher die Massnahmen auf, die das Land im Bereich des Klimaschutzes ergriffen hat. Er argumentierte auch, dass der Gerichtshof nicht dazu berufen sei, über nationale Klimapolitik zu entscheiden. In den Niederlanden sah dies allerdings das oberste Gericht in Den Haag Ende 2020 anders.
Dieses entschied nämlich, dass der Ausstoss von CO₂ und anderen Treibhausgasen um mindestens 25 Prozent reduziert werden müsse im Vergleich zu den Werten von 1990. Das Gericht stützte sein Urteil auf die Uno-Klimakonvention, die Menschenrechtskonvention und gesetzliche Verpflichtungen des Staates zum Schutz des Lebens und Wohlbefindens der Bürger.
Die Entscheidung: Ein Präzedenzfall für Klimaschutz?
Angestrengt hatte das Verfahren gegen den niederländischen Staat die Stiftung Urgenda, die sich im Bereich Klimaschutz engagiert. Wie weit der EGMR in seinem Entscheid gehen wird, ist offen.
Es stellt sich die Frage, ob die Grosse Kammer den Verein als beschwerdeberechtigt erachtet, um geltend gemachte Rechte überhaupt einzuklagen. So kann ein Verein als solcher beispielsweise nicht ein Recht auf Familienleben haben, sondern nur das einzelne Mitglied. Anders sieht es bei den vier Einzelklägerinnen aus.
Sollte der EGMR eine Verletzung von Artikel 2 (Recht auf Leben) und 8 (Recht auf ein Privat- und Familienleben) feststellen, würde damit die Schutzpflicht des Bundes gegenüber den Seniorinnen statuiert. Eine allfällige Verpflichtung zur Formulierung konkreter Ziele oder der Schaffung von Gesetzen könnte damit verbunden sein.
Bestätigt das Gericht eine von den Klimaseniorinnen geltend gemachte Verletzung von Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde), müssten ihre Anliegen in einem erneuten innerstaatlichen Verfahren inhaltlich geprüft werden.