Wie die Drosophila Europa im Flug eroberte

Ein Forschungsteam unter der Co-Leitung der Universität Freiburg hat die Studie zur Evolution der kleinen Fruchtfliege Drosophila durchgeführt.

Drosophila melanogaster
Drosophila melanogaster. - Keystone

Die Drosophila melanogaster oder Essigfliege ist der Liebling der WissenschaftlerInnen. Sie wird seit Langem in der Biologieforschung eingesetzt, insbesondere in der Genetik.

Dank ihr wissen wir mehr über die molekulare Funktionsweise von viel komplexeren Organismen wie beispielsweise dem Menschen. Drosophila-Populationen sind weit verbreitet und vermehren sich sehr schnell – ein Weibchen legt innerhalb von zehn Tagen rund 500 Eier. Sie sind deshalb ideal, um in beschleunigter Geschwindigkeit die Evolution in Zeit und Raum zu beobachten.

Ein genetisches «Kontinuum» bei Fruchtfliegen

Die Drosophilae kamen nach der letzten Eiszeit von Afrika nach Europa und lieben genau wie Menschen den Geruch von Alkohol. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie auf ihrer Wanderschaft in die Fussstapfen des Homo sapiens getreten sind. Sie sind überall zu finden: auf überreifen Früchten, auf Weinbergen und sogar in Bars!

Das Projekt zur Erstellung einer detaillierten genetischen Karte der Drosophila-Population in Europa begann 2014 auf Anregung von Thomas Flatt, Professor am Departement für Biologie der Universität Freiburg, Dr. Josefa González von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona und Dr. Martin Kapun von der Universität Zürich. Die Ergebnisse liessen nicht lange auf sich warten: «Interessante Informationen über die Evolutionsdynamik wurden schnell gewonnen», sagt Flatt. «Genau wie beim Menschen finden wir in den verschiedenen genetischen Varianten kontinuierliche Gradienten und nicht einzelne, isolierte Gruppen.»

Die Forschenden beobachteten eine starke genetische Abstufung zwischen Ost- und Westeuropa, der dem Übergang zwischen kontinentalem und ozeanischem Klima entspricht. Bei vergleichbaren Studien am Menschen liessen sich die genetischen Spuren unserer Migrationen durch die Zeitalter verfolgen. Auch diese Studie bietet eine Art molekulare Naturgeschichte und damit geradezu eine beschreibende Grundlage, auf der die WissenschaftlerInnen weitere Forschungen aufbauen wollen.

Woher kommen die vorteilhaften genetischen Unterschiede?

Diese Studie zeigte, dass sich vorteilhafte genetische Variationen rasch über den Kontinent ausbreiten. «Es muss sich um einen Anpassungsprozess ans Klima handeln», sagt Flatt.

Bemerkenswerterweise entstand diese Anpassungsvariante nicht als Folge von Neumutationen – einem der Faktoren, der die Evolution der Arten beeinflusst – sondern war bereits bei einer sehr kleinen Anzahl der Fruchtfliegen in der ursprünglichen afrikanischen Population vorhanden. «Sexuelle Fortpflanzung und genetische Vermischung begünstigen daher die Erhaltung von Minderheitsvarianten», folgert Thomas Flatt, «und das kann sich später als nützlich erweisen».

Die gleichen Fragen stellen sich im Übrigen auch für den Menschen. So war z.B. die Entstehung der Laktosetoleranz für die Entwicklung der Viehzucht in Europa und Asien entscheidend.

Es ist jedoch noch nicht bekannt, ob sie auf eine vorteilhafte Neumutation zurückzuführen ist oder auf bereits vorhandene Variationen, die jedoch bei einer Minderheit der aus Afrika eingetroffenen Bevölkerungen bereits vorhanden war.

Dutzende von Forschungsteams in 16 Ländern

Eine Studie dieser Grössenordnung wäre ohne breite internationale Zusammenarbeit nicht möglich gewesen. Thomas Flatt und seine Kollegen brachten dutzende von SpezialistInnen aus 16 Ländern zusammen, um in 15 europäische Länder zu reisen und Drosophilae zu sammeln.

«Dank dieser gemeinsamen Anstrengung konnten wir das Genom von Drosophila-Populationen sequenzieren und Variationen in ihrem genetischen Code analysieren», sagt Flatt. Am Ende brachte die Veröffentlichung der Ergebnisse 45 Autor_innen zusammen. Dieses Konsortium (DrosEU, European Drosophila Population Genomics Consortium) hat insgesamt 6 Terabyte an genetischen Informationen gesammelt.

Gesetze der Evolution

Künftig will das Wissenschaftskonsortium nicht nur das Genom mit den physischen Merkmalen der Fruchtfliege in Verbindung bringen, sondern auch die Fluktuation der genetischen Variation von einem Jahr zum nächsten an den gleichen Standorten aufzeichnen. Wird es dadurch eines Tages möglich sein, die «Gesetze» der Evolution herauszuarbeiten?

«Gesetze würde ich nicht sagen, denn die Zufälle der Geschichte spielen auch in der Evolution eine sehr wichtige Rolle», korrigiert Thomas Flatt. «Aber es gibt Grundsätze, Pseudogesetze, die wir immer wieder sehen». Und diese kleinen alkoholabhängigen Fliegen erlauben uns einen Zugang dazu.

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