Brasseur: «Opposition gehört zur Demokratie»
Der Gemeinderat Erlenbach hat das Lokal des Ortsmuseums gekündigt. Ein Gastbeitrag von Architektin Christiane Brasseur, Verkehrs- und Verschönerungsverein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gemeinde hat im Dezember dem Ortsmuseum die Räumlichkeiten gekündigt.
- Der Verkehrs- und Verschönerungsverein wehrte sich bis vor Verwaltungsgericht – erfolglos.
Hiermit nehme ich als langjährige Präsidentin des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Erlenbach (VVE) Stellung zur Kündigung des Lokals des Ortsmuseums durch den Gemeinderat. Diese Kündigung ist nur ein vorläufig letzter Akt einer langjährigen Auseinandersetzung des VVE mit dem Gemeinderat. Ein Blick auf die Geschichte des Vereins erhellt dies.
Erlenbach attraktiver gestalten
Im Jahr 1894 wurde die Verlängerung der Bahnlinie auf dem rechtseitigen Zürichsee-Ufer nach Erlenbach eingeweiht. Von nun an stellte unser Dorf eine Etappe auf der Reise nach Italien dar. Mit der «Stadtbahn» kam man vom Bahnhof Stadelhofen her, um in Erlenbach ein Dampfschiff zu besteigen und danach in Thalwil auf die Gotthardlinie zu wechseln. Für Wilhelm Amsler, den damaligen Wirt des Hotels «Kreuz» an der Schifflände, ein gutes Geschäft, das er gerne ausbauen wollte. Damit seine Gäste auch mehr als eine Nacht bei ihm blieben, wollte er das ganze Dorf attraktiver gestalten. Erlenbach war damals ein zwar mausarmes, staubiges Rebbauerndorf, hatte aber mit seiner idyllischen Lage am See und seinem eindrücklichen Tobel einiges zu bieten. Somit mitbegründete Wilhelm Amsler im Jahr 1901 den VVE. Der Verein konnte gleich im ersten Jahr 181 der damals 1'300 Erlenbacher für seine Ziele begeistern. Sofort baute man in Fronarbeit Wege und Brücken ins Tobel, kaufte einen Sprengwagen um die staubigen Wege zu befestigen, organisierte die Müllabfuhr und vieles mehr. Der VVE nahm damit einige der heute an den Gemeinderat delegierten Aufgaben wahr. Das Dorf mauserte sich und wurde nach dem 2. Weltkrieg zur immer beliebteren Wohngegend.
Die Geschichte in einem Ortsmuseum bewahren
So keimte in den Köpfen der Vereinsmitglieder die Idee, die rasante Entwicklung von Erlenbach in Dokumenten und Gegenständen festzuhalten. Die Idee wurde Ende der 50er Jahre von der Gemeindeversammlung gutgeheissen. Die reformierte Kirchgemeinde liess daraufhin im Untergeschoss ihres neuen Hauses ein Lokal für das Ortsmuseum erstellen, welches dem VVE anvertraut wurde, während die politische Gemeinde die Miete bezahlte. Sobald nun eines der alten Häuser einem Neubau wich, fanden zahllose Gegenstände den Weg ins Museum, Pläne, Dokumente, Fotos, alter Hausrat, ja ganze Bauteile. Vorstandsmitglieder, allen voran Sekundarlehrer Karl Kuprecht, Architekt Walti Imhof (unser Ehrenbürger!) sowie Kuratorin Ursula Rentsch verbrachten – ohne jede Bezahlung – ganze Tage damit, alles zu ordnen, in Listen zu erfassen und darauf basierend eine Dorfchronik zu erstellen.
Ungesunde Entwicklung verhindern
Damit wurde den Vereinsmitgliedern als erste bewusst, dass nicht alles, was in Erlenbach im Zeichen der Modernisierung geschah, auch eine Verbesserung darstellte. Immer wieder gingen sie bei gewissen Gemeindeprojekten in die Opposition, zuletzt im Jahr 2012, als es gemäss dem damaligen «Gestaltungsplan Bahnhofstrasse» darum ging, das alte Gebiet «Sigst» im Gemeindezentrum mit einer Tiefgarage für 250 Parkplätze zu untergraben, um darauf – in den Augen des VVE – ein «Klein-Manhattan» zu erstellen. Der VVE erstellte damals eine Postkarte, in welcher das zu befürchtende Ergebnis karikiert wurde.
Diese lebendige Demokratie war allerdings nicht jedermanns Sache, insbesondere für den Gemeinderat mutierte der VVE dadurch zum Feindbild. So versagte er dem Verein denn auch die Unterstützung, als er im Jahr 2015 einen finanziellen Beitrag beantragte, um die begonnene Digitalisierung der Sammlung vorantreiben zu können. Der VVE konnte dem Gemeinderat nun nichts mehr recht machen, es nützte auch nichts, dass er im Jahr 2018, wieder in tagelanger Fronarbeit, Teile seiner Sammlung zur Ausschmückung ins neue, gemeindeeigene Alterszentrum «Gehren» hinüber transportierte.
Abbruch der Beziehung durch den Gemeinderat
Dann kam der Paukenschlag: Ohne jede Vorwarnung kündigte der Gemeinderat Ende 2019 dem VVE das Lokal des Ortsmuseums und gab ihm drei Monate Zeit, um die in über 50-jähriger Arbeit zusammengestellte Sammlung zu räumen. Die zunächst angeführte Begründung konnte der Verein entkräften, und schliesslich musste der Gemeinderat einräumen, dass die Kündigung auf Grund von persönlichen Animositäten erfolgt war. In der Zwischenzeit wurde es ihm allerdings bewusst, dass mit der Aufforderung zur Räumung des Lokals der Bestand der Sammlung höchst gefährdet war. So bot der Gemeinderat dem Verein diese Woche nun an, die Sammlung zu einem «moderaten Preis» zu übernehmen und allenfalls selbst der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Der Vorschlag wurde abgelehnt. Der VVE liebt seine Aufgabe. Zudem ist er nicht gewinnorientiert, er hat die Sammlung nicht zusammengestellt, um Geld zu verdienen, im Gegenteil, er braucht Geld, um diese weiter zu pflegen und zu ergänzen.
Ausblick
Nachdem die Räumung des Lokals durch den VVE seit bald fünf Monaten überfällig ist, ist der Umzug nun am Laufen. Als erstes finden die Archivmappen in meinem eigenen, zwar privaten, aber dennoch für Interessierte zugänglichen Archiv eine provisorische Bleibe, bis sich dann wieder eine Möglichkeit in einem öffentlichen Lokal bietet. Was die Gegenstände betrifft, so sollen diejenigen, die keinen Zeugniswert besitzen, versteigert, während die anderen, die für Erlenbach wichtigen, an öffentlich zugänglichen Orten ausgestellt werden. Der Gemeinderat hat signalisiert, hier mitzuhelfen und damit ein freundliches Zeichen gesetzt. Der VVE freut sich auf die zukünftige Zusammenarbeit.