Sinn-volle Markenkraft: Das digitale Heilversprechen bekommt Risse
Der Einfluss der Neurowissenschaft auf das Marketing ist kein Trend, sondern eine logische Konsequenz, sagt Olaf Hartmann vom Multisense Institut.
Das Wichtigste in Kürze
- Viele erfolgreiche Firmen setzten auf multisensorisches Marketing.
- Online kann vieles, aber nicht alles. In digitalen Zeiten ist Crossmedia Trumpf.
- Am Schweizer Markenkongress wurden neueste Erkenntnisse aus der Markenforschung vorgestellt.
Die digitale Welt eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Online ist spannend, schnell, messbar und effizient. Dennoch sieht Olaf Hartmann vom Multisense Institut Risse im digitalen Heilsversprechen. „Digital ist für bestimmte taktische Ziele wertvoll, wurde aber als seligmachende Killerapplikation für die Marketingkommunikation in den letzten Jahren überverkauft“, ist Hartmann überzeugt. Studien belegen, dass digitale Kontakte gegenüber der markenbildenden Wirkung klassischer Medien qualitativ deutlich abfallen. Laut Hartmann wurden im digitalen Rausch viele Mediabudgets zu stark aus klassischen Kanälen abgezogen. „Schon allein das Wort „digital“ reicht aus, um die Budgetschleusen zu öffnen.“
Warum Marketer gegenüber der digitalen Währung der Werbeklicks etwas skeptischer sein sollten, illustriert Hartmann beispielhaft anhand eines Experiments. Ein weisses Quadrat wurde als Internetanzeige geschaltet. Das Ergebnis war die gleiche durchschnittliche Menge an Klicks, wie bei einer echten Display-Ad-Kampagne. „Das zeigt, dass viele Klicks zufällig entstehen, wahrscheinlich weil die Nutzer einfach das Kreuz zum Schliessen nicht richtig treffen“, erklärt er. Millionen Klicks bedeuten deshalb nicht automatisch Millionen Umsätze. Ausserdem geniessen digitale Werbeformen eine extrem geringe Akzeptanz. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Verarbeitung von der damit gesendeten Markenbotschaft. „Über 600 Millionen Menschen geben uns durch die Installation von Adblockern ein klares Zeichen. Das ist die grösste kollektive Protestbewegung der Menschheitsgeschichte. Sozusagen die Gelbwesten des Internets“.
Es sei höchste Zeit die qualitative Wirkung von Mediakanälen bei Entscheidungen wieder stärker zu berücksichtigen und einen objektiven, wirkungsfokussierten Blick zu entwickeln. Sinkende Kampagneneffizienz und nachlassende Markenloyalität würden zeigen, dass hier in den letzten 10 Jahren viel schief gelaufen ist. „In der Begeisterung über die Messbarkeit und Konversionskraft wurde vergessen, dass der digitale Kanal vom Baum des Markenvertrauens pflückt, aber wenig zur Stärkung seiner Wurzeln beiträgt“, verdeutlicht Hartmann.
Multisensorisches Marketing baut auf die Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der Konsumpsychologie. Jede Art von Marketingsignal muss wahrgenommen und im Gehirn verarbeitet werden. Studien belegen, dass der Grossteil unserer Wahrnehmung und Kaufentscheidungen unbewusst über die Sinne beeinflusst wird. Aus dieser Betrachtung heraus sind Impulse zur Verbesserung des Marketings aus der Gehirnforschung und der Psychologie kein Trend, sondern nur eine logische Konsequenz. „Bildgebende Verfahren haben dazu beigetragen, dass wir in den letzten 10 Jahren mehr über die Funktionsweisen des Gehirns gelernt haben, als in den 100 Jahren davor.“ Eine wichtige Erkenntnis sei, dass multisensorische Kommunikation schneller wahrgenommen, besser erinnert und eher geglaubt wird. Deshalb bezeichnet Hartmann multisensorisches Marketing auch als „Katerfrühstück nach dem digitalen Rausch“.
Crossmedia ist dabei Trumpf. In einer internationalen Studie zeigte sich, dass crossmediale Kampagnen mit jedem zusätzlichen Kanal ohne Ausweitung des Budgets bis zu 35 Prozent mehr ROI erzeugen. Dabei strahlt insbesondere Print besonders positiv auf die Effektivität anderer Kanäle ab. Dass Print allein auch in digitalen Zeiten ein wertvoller Kanal sein kann, zeigt der deutsche Hemdenhersteller Olymp, der mit einer Print-only Mediastrategie seinen Umsatz in 10 Jahren verdreifachen konnte.
Viele erfolgreiche Firmen setzen seit langem auf multisensorisches Marketing und den systematischen Aufbau sinnlicher Markencodes. „Jene Marken, denen die sensorische Erweiterung gelingt, geniessen eine doppelt so hohe Kundenloyalität wie Marken, die nur optisch erkennbar sind.“ Beispiele für multisensorische Markencodes sind das Soundlogo der Telekom, der Maiglöckchenduft von Nivea oder auch der rote Knopf des Vitaminpräparats Vitasprint, der auf haptische Weise das Versprechen „Energie auf Knopfdruck“ intuitiv und glaubwürdig vermittelt.
Über den 10. Schweizer Markenkongress
Seit 10 Jahren trifft sich die Branche jährlich im „The Dolder Grand Hotel“ Zürich. Den 500 Markenentscheidern bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, sich vor Ort und aus erster Hand Innovationen und Tipps von den Branchen-Experten zu holen. Die Veranstalter sind das ESB Marketing Netzwerk, die htp St.Gallen und die Universität St.Gallen. Informationen unter: https://marken-kongress.ch