«Landstrassenkinder»: Über die Zwangsassimilation jenischer Kinder
Der Schriftsteller Michael Herzig erinnert in «Landstrassenkinder» an die Zwangsassimilation jenischer Kinder in den 1920er- bis 1970er-Jahren in der Schweiz.
Das Wichtigste in Kürze
- «Landstrassenkinder» von Michael Herzig behandelt die Zwangsassimilation jenischer Kinder.
- Das Buch behandelt das Schicksal von Christian Mehr, Sohn der Aktivistin Mariella Mehr.
- Zwischen 1926 und 1973 wurden knapp 600 Kinder ihren Familien entrissen.
Michael Herzig erinnert in die «Landstrassenkinder» an die zwischen 1926 und 1973 zwangsassimilierten 600 jenischen Kinder.
Die ideologische Basis lässt sich auf sozialdarwinistische und rassenhygienische Theorien (Eugenik) der damaligen Zeit zurückführen. Auf deren Grundlage wurden Kinder aus jenischen Familien vom «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» ihren Eltern entrissen. Die Kinder sollten sesshaft gemacht werden. Die Zahl entrissener Kinder wird inzwischen auf 2000 geschätzt, denn auch andere Institutionen gingen gegen jenische Familien vor.
Es gebe «kein anderes Mittel als die ganz frühe Entfernung der Kinder aus der Familie und ein höheres soziales Niveau». Das schrieb der Churer Psychiatriedirektor Johann Joseph Jörger 1905 in einer seiner Veröffentlichungen. Er bezeichnete Jenische als «entartet» und «verrückt».
Die «Landstrassenkinder» erinnert an das Schicksal der Jenischen
In «Landstrassenkinder» erzählt Schriftsteller Michael Herzig die Geschichte von Christian Mehr, der bereits als Säugling von seiner Mutter getrennt wurde. Mehr im «Tagesgespräch» von Radio SRF: «Meine Mutter wurde inhaftiert, weil sie schwanger war.» Er kam im Frauengefängnis Hindelbank zur Welt, wo er direkt nach der Geburt der Mutter weggenommen wurde. Mit 11 Monaten gelangte er in eine Pflegefamilie.
In dieser Zeit ereignete sich ein Unfall, der sein Leben bis heute prägt. Laut Aktenlage war das Kind in ein brühendes Wasserbad gefallen, weil es zu «zappelig» gewesen war. Mehr jedoch ist überzeugt: «Ich wurde absichtlich ins heisse Wasser gestellt.» Neun Monate lag das Kind mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades auf der Intensivstation des Berner Inselspitals.
Christian Mehrs Mutter ist die preisgekrönte Schriftstellerin und Aktivistin Mariella Mehr, die selbst in 16 Kinderheimen und Erziehungsanstalten zwangsweise aufwuchs. Zu ihr war das Verhältnis nicht immer einfach: «Sie hat für die ganze Welt gekämpft, aber für ihr Kind konnte sie das nicht», so Mehr. Das Schicksal, seiner Mutter gleich nach der Geburt weggenommen zu werden, wiederholte sich in Mehrs Familie in der dritten Generation.
In «Landstrassenkinder» erinnert Herzig an die Verbrechen an jenischen Familien durch die Schweizer Behörden zwischen 1926 und 1973.