SRF: Suizid-Szene in Serie «Mindblow» «verhöhnt» Angehörige
SRF zeigt in der Serie «Mindblow» den Suizid des Protagonisten. Ein Experte warnt.
Das Wichtigste in Kürze
- In der vierten Folge der SRF-Serie «Mindblow» nimmt sich Protagonist Markus das Leben.
- Ein Experte kritisiert die Darstellung der Szene.
- SRF nimmt Stellung.
Eine neue Sci-Fi-Serie auf SRF sorgt für reichlich Gesprächsstoff. In «Mindblow» nimmt Protagonist Markus als 20-Jähriger bei «MusicStar» teil und blamiert sich komplett. 20 Jahre später bekommt er die Chance, die Vergangenheit zu ändern. Das hat aber verheerende Folgen.
Achtung, Spoiler!
In Folge vier, die am Montag ausgestrahlt wurde, erleidet Markus eine Psychose, ausgelöst dadurch, dass er die Vergangenheit geändert hat. Er ist in einer psychiatrischen Klinik. Niemand glaubt seinen Theorien.
Tragischer Abschluss der Episode: Markus stürzt sich von einem bekannten Gebäude in Zürich. Er sieht das als einzigen Ausweg, die Zukunft nicht noch schlimmer zu machen.
Zu sehen: Die anderen Charaktere, darunter seine Schwester Eva, schauen entsetzt zu, wie Markus' Körper auf den Asphalt prallt. Es ertönt ein dumpfes Geräusch.
In der nächsten Folge kann Markus' Tod verhindert werden, indem der Gegenstand zerstört wird, der seine Psychose auslöste.
«Triggert Suizidgefährdete»
Die Folge wurde am Montagabend um 20.40 Uhr auf SRF ausgestrahlt. Vor der Sendung wurde eine Warnung eingeblendet, nach der Sendung ein Hinweis auf Hilfsangebote.
Für Jörg Weisshaupt vom Verein für Suizidprävention Ipsilon reicht das nicht. Gegenüber Nau.ch sagt er: «Die Warnhinweise sind das Feigenblatt vom SRF. Dieser Warnhinweis wird zur Farce, wenn danach im Film eine Suizidhandlung gezeigt wird.»
Weisshaupt findet es «fragwürdig», dass Schweizer Filmemacher wiederholt mit Suiziddarstellungen Spannung erzeugen wollen. «Dafür gibt es andere Mittel.»
Besser wäre gewesen: Die Suizidhandlung nicht zeigen, sondern eine andere Person später davon erzählen zu lassen. Dies, ohne die Methode zu erwähnen und den Ort zu zeigen. Weisshaupt kritisiert: «Die Methode so detailliert zu zeigen, ist sehr unglücklich. Das triggert sowohl Suizidgefährdete als auch Hinterbliebene.»
«Nachahmungseffekt wird grösser»
Der Nachahmungseffekt werde dadurch noch vergrössert, dass Protagonist Markus von einem bekannten Zürcher Gebäude springt. Weisshaupt: «Ein Suizidgefährdeter denkt sich: Ich könnte auf dieses Gebäude oder auf ein anderes ähnliches Gebäude.»
Markus' Suizid kann später verhindert werden, indem seine Liebsten die Vergangenheit verändern. Markus lebt also noch, der Schaden ist aber angerichtet, findet Experte Weisshaupt. «Der Trigger ist passiert, ob der Charakter weiterlebt oder nicht.»
Mehr noch: Für Angehörige und Hinterbliebene sei es ein «Affront», dass der Suizid nachträglich rückgängig gemacht werden kann, so der Experte.
Jörg Weisshaupt ist auch Geschäftsführer des Vereins «Trauernetz», der Suizidbetroffene unterstützt. Er weiss: «Das Schlimme für die Angehörigen ist, dass sie sich wirklich 1000 Fragen stellen. Wie hätte ich es verhindern können? Was hätte ich anders machen können? Das wird hier verhöhnt.»
Besonders fragwürdig für Weisshaupt: Erst kürzlich hat SRF im Gesundheitsmagazin «Puls» über Suizidprävention von Jugendlichen berichtet. Szenen wie diese in «Mindblow» würden alle Bemühungen von SRF wieder «zunichtemachen».
SRF nimmt Verantwortung ernst
SRF selbst betont gegenüber Nau.ch, dass man sich kritisch mit dem Thema Suizid auseinandersetze und die eigene Verantwortung ernst nehme.
«Mindblow»-Protagonist Markus nimmt sich das Leben, um die Zukunft nicht weiter negativ zu beeinflussen. Dass es ihm nicht gut geht, zieht sich durch die ganze Folge. Das Ende werde so «kontextualisiert», so SRF.
Der Sender betont weiter: Der Suizid von Markus stürze sein Umfeld in Verzweiflung und werde nicht als Lösung des Problems gezeigt. «Die Serie ‹Mindblow› befasst sich explizit mit der Thematik, achtsam durchs Leben zu gehen. Die Hauptfigur erhält zwar die Möglichkeit, ihr Schicksal zu verändern, lernt aber ultimativ, ihr Leben als solches wertzuschätzen.»
Man achte darauf, solche Fälle «sorgfältig und angemessen» zu erzählen. SRF: «Wir erzählen Suizid nicht verherrlichend und keinesfalls heroisierend. Wichtig ist uns, die schwierigen Auswirkungen auf Angehörige und die Hilflosigkeit, (...) die Ungläubigkeit, die Trauer und die Wut der Hinterbliebenen zu thematisieren.»
SRF: Gezeigte Bilder sind «vertretbar»
Die in «Mindblow» gezeigten Bilder halte man auf Basis dieser Grundsätze für «vertretbar». Der Sender verweist auf die Triggerwarnung am Anfang der Folge und die eingeblendeten Hilfsangebote am Schluss. «Ausserdem wurde auf Nahaufnahmen verzichtet», erklärt SRF.
«Das Thema Suizid ist in unserer Gesellschaft präsent», so SRF. «Diese Tatsache wollen wir nicht verschweigen. Auch in der Fiktion greifen wir immer wieder schwierige und brisante Themen auf.»
Sender nicht das erste Mal in Kritik
Es ist nicht das erste Mal, dass SRF wegen expliziter Suizidszenen Kritik kassiert. In der letzten Staffel der Krimiserie «Wilder» beendeten gleich zwei Charaktere ihr Leben selbst.
Beim Verein für Suizidprävention ist man auch deshalb ernüchtert. Jörg Weisshaupt: «Wir versuchen immer wieder, darauf aufmerksam zu machen, aber sie wollen uns nicht hören.»
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Brauchen Sie Hilfe?
Sind Sie selbst depressiv oder haben Sie Suizidgedanken? Dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).
Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe. Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder eine anonyme Beratung via E-Mail sind möglich.
Hilfe für Suizidbetroffene: www.trauernetz.ch