SRF nimmt bei «Wilder» Suizid-Verantwortung nicht wahr
Experten schlagen Alarm: Suizide sind in der Corona-Pandemie zu einem riesigen Problem geworden. Das lässt die «Wilder»-Serie von SRF kalt. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Gleich zweimal zeigt SRF-«Wilder» ausführlich Suizid im Internet und TV.
- Experten kritisierten SRF scharf und warnten vor Nachahmungstätern.
- Nach einem Nau.ch-Bericht schritt sogar der Kanton Zürich im Leutschenbach ein.
- Die SRF-Verantwortlichen zeigen sich beratungsresistent, findet Nau-Chefredaktor Zbinden.
Ja, ich bin ein Fan von «Wilder»! In Rekordzeit habe ich mir die neue Staffel angesehen. Es ist beste Unterhaltung mit tollen Schweizer Schauspielern wie Sarah Spale oder Jonathan Loosli. Weshalb die Serie jetzt eingestellt wird, bleibt mir ein Rätsel. Aber darum geht es hier nicht. Leider.
In zwei Szenen überbeisst der Regisseur massiv. Es geht um Suizid.
Die Stiftung Pro Mente Sana schreibt mir am Freitag besorgt ein Mail. «Die Zahl der Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten und Suizidhandlungen steigt in der Schweiz massiv. Die Fachleute sorgen sich um die zunehmende Belastung der psychischen Gesundheit von jungen Menschen während der Corona-Pandemie.»
In der «Sonntagszeitung» meldet sich Gregor Berger von der Psychiatrischen Uniklinik Zürich. Es gibt 2021 über fünfzig Prozent mehr suizidale Minderjährige. Berger: «Wir haben einen Notstand und sind nur noch am Feuerlöschen.» So könne es nicht weitergehen. In Bern spricht sein Kollege und Chefarzt Michael Kaess davon, dass es dreimal mehr junge Leute seien, als die Notfall-Station überhaupt Platz hätte.
Es gibt im Journalismus eine Regel. Wann immer möglich, werden Suizide in den Medien nicht erwähnt. Und wenn, dann ganz sicher nicht ausführlich. Das zieht sich auch in anderen Bereichen durch: In Zügen beispielsweise spricht man von Personenunfällen. Brücken-Suizide werden längst nicht mehr in Polizei-Communiqués vermeldet.
Suizidrate erhöht sich, wenn darüber berichtet wird
Der Grund ist der sogenannte Werther-Effekt. Die Angst davor, dass sich die Suizidrate erhöht, wenn medial darüber berichtet wird.
Nicht so bei «Wilder» im Schweizer Fernsehen. Gleich in zwei Szenen werden Suizide ausführlich (während Sekunden!) gezeigt. Nach einem Todessprung von einer Staumauer sieht der Zuschauer sogar den Aufprall. Und nach dem Sprung vors Postauto wird ein junger Mann auch noch von seiner Mutter überfahren.
Kanton Zürich meldete sich bei SRF nach Nau.ch-Berichterstattung
Nachdem Nau.ch die beiden Suizide bei «Wilder» thematisiert, interveniert umgehend der Kanton Zürich am Leutschenbach. Es kommt zu Gesprächen – und enttäuschten Gesichtern bei der Präventionsstelle.
SRF ist nämlich nicht bereit, die beiden Suizid-Szenen zu kürzen oder zu streichen. Dabei wäre es ein Leichtes, der technische Aufwand gering.
Nein, die Macher glauben tatsächlich, sie hätten die heiklen Suizid-Szenen laut eigenen Aussagen «differenziert erzählt». Gehandelt wird trotzdem, wenn auch ungenügend: Eine kurze Triggerwarnung wird nun zu Sendebeginn eingeblendet – am Schluss für mögliche Nachahmer die Notruf-Nummer 143.
Und dies, obwohl Fachleute wegen Nachahmungsgefahr aus allen Richtungen Alarm schlagen.
Fazit: Die SRF-Verantwortlichen zeigen sich hier beratungsresistent, wenn es um Suizid geht. Es ist eine unfassbare Arroganz. Eine tödliche.
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Brauchen Sie Hilfe?
Sind Sie selbst depressiv oder haben Sie Suizidgedanken? Dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).
Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe. Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via E-Mail ist möglich.
Hilfe für Suizidbetroffene unter trauernetz.ch.