90 Jahre «Ekstase»: Das unglaubliche Leben der Hedy Lamarr
Vor 90 Jahren ein Riesenskandal: barbusige Szenen und ein gespielter Orgasmus im Film «Ekstase». Hedy Kiesler wurde später als Hedy Lamarr ein Weltstar und eine wichtige Erfinderin – was für ein Leben.
Das Wichtigste in Kürze
- In ihren erfolgreichsten Jahren wurde die vor 23 Jahren gestorbene Hedy Lamarr als «schönste Frau der Welt» vermarktet.
Die gebürtige Wienerin ist eine Legende, die in den 30er Jahren das Vorbild für Walt Disneys Zeichentrick-Schneewittchen gewesen sein soll, die Johnny Depp und den gerade gestorbenen Jeff Beck zu einem Lied inspirierte («This Is A Song For Miss Hedy Lamarr») und die in Wien wohl bald ein Kaufhaus gewidmet bekommt.
Vor 90 Jahren schrieb sie – erst 18-jährig und noch mit dem Nachnamen Kiesler – Filmgeschichte. Am 20. Januar 1933 wurde der skandalträchtige Film «Ekstase» (als «Extase») in Prag uraufgeführt.
Die Österreich-Premiere dieses tschechoslowakischen Werks von Regisseur Gustav Machaty (1901-1963) folgte am 18. Februar. In Nazi-Deutschland wurde der Film verboten und erlebte erst 1935 in Berlin stark zensiert eine Uraufführung: als «Symphonie der Liebe».
Das Bad in einem See und der Gang durch den Wald in «Ekstase» gilt als erste längere Nacktszene der Kinogeschichte. Ein Skandal sondergleichen war auch eine Orgasmusszene mit der Grossaufnahme des Gesichts von Hedy (eigentlich Hedwig Eva Maria) Kiesler. Das Werk ist überwiegend ein Stummfilm, die wenigen Sprechszenen wurden auf Deutsch gedreht und für die Tschechoslowakei eigens synchronisiert.
Im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden heisst es neben einem «Ekstase»-Ausschnitt über die von Hedy verkörperte emanzipierte Frau: «Erstmals wurden sexuelle Lust und ein Orgasmus in einem Tonfilm auf der Leinwand gezeigt» (...) 1933 wirkte die Szene vom erotischen Erwachen der Figur Eva in 'Ekstase' skandalös.»
Eine aussergewöhnliche Erfindung
Ausgehend von dem Film vor 90 Jahren hatte Lamarr eine unglaubliche Lebensgeschichte. Noch heute hat quasi jeder und jede mit Hedy Lamarr – beziehungsweise einer Erfindung von ihr – zu tun. «Auf dem Höhepunkt ihrer Bekanntheit erfand sie gemeinsam mit dem befreundeten Komponisten George Antheil eine Technik, ferngesteuerte Torpedos mit einem sicheren Kommunikationssystem auszustatten, das 1942 patentierte Frequenzsprungverfahren», erklärt der Autor Thomas Blubacher in seinem Buch «Weimar unter Palmen – Pacific Palisades». «Eine Weiterentwicklung verwenden noch heute alle, die über ein WiFi-Netzwerk oder mit einem bluetoothfähigen Handy kommunizieren.»
Der Film «Ekstase» sorgte 1933 für einen «unbeschreiblichen Skandal», erläutert Blubacher. «Selbst der Papst hatte das Werk öffentlich verdammt. Im gleichen Jahr hatte Lamarr den 14 Jahre älteren Fritz Mandl geheiratet, einen der grössten Waffenproduzenten Europas, der unter anderem Geschäfte mit Adolf Hitler und Benito Mussolini machte.»
Ein eifersüchtiger Ehemann
Mandl, der den Nazis später wegen seines Vaters selbst als Jude galt, aber christlich aufgewachsen war, zwang seine junge Frau, die 1914 in einer assimilierten jüdischen Familie in Wien geboren worden war, zum Katholizismus zu konvertieren. Besessen verbot er ihr, weitere Filme zu drehen. Weil er den Anblick seiner nackten Frau nicht teilen wollte, versuchte er, alle Kopien von «Ekstase» aufzukaufen, um sie zu vernichten. Vergebliche Liebes- beziehungsweise Eifersuchtsmüh.
Mandl soll Hedy in seiner Jagdvilla wie eine Gefangene gehalten haben. «1937 gelang es ihr, verkleidet zu entkommen, ihren Schmuck zu verkaufen und so die Flucht über Paris nach London zu finanzieren.» Dort traf sie den Hollywood-Studiochef Louis B. Mayer, der sie – wie zugleich weitere europäische Schönheiten – für die Filmproduktionsfirma MGM (Metro-Goldwyn-Mayer) einkaufte, mit dem Namen Hedy Lamarr versah und als schönste Frau der Welt vermarktete.
«Algiers» hiess ihr erster US-Film, Charles Boyer war ihr Partner. Als Lamarrs besten Film sehen viele den 1949 gedrehten Bibel-Streifen «Samson und Delilah» an, in dem ihr Victor Mature zur Seite stand.
Zahlreiche Ehen
Fast noch mehr Aufmerksamkeit als mit ihren Rollen bekam die Schauspielerin für ihr Liebes- und Privatleben. Nachdem sie von Mandl geschieden worden war, heiratete sie den Schriftsteller Gene Markey, danach den Schauspieler John Loder, den Musiker Ernest Stauffer, den Öl-Millionär Howard Lee und schliesslich noch Lewis Bowles. Letzterer war ihr Anwalt bei der Scheidung der Ehe mit dem Vorletzten.
Aufsehen erregte Hedy Lamarr auch 1966 mit ihrer Autobiografie «Ecstasy and Me», in der es von Sex-Szenen wimmelt. Sie verklagte den Verlag, weil ihr Ghost-Writer vieles verfälscht und überzogen habe.
Mehr oder weniger gelungene Schönheitsoperationen und Behandlungen durch den dubiosen Drogen-Arzt «Dr. Feelgood» Max Jacobson führten dazu, dass sich Lamarr aus der Öffentlichkeit zurückzog. Im höheren Alter wollte sie sich der Öffentlichkeit nicht mehr präsentieren und pflegte ihre Kontakte zur Aussenwelt hauptsächlich übers Telefon.
«Die Gedanken der Leute sind wichtiger als ihr Aussehen»
Im Dokumentarfilm «Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr» (Original: «Bombshell: The Hedy Lamarr Story») erzählt Lamarr in Telefonmitschnitten, wie sie Anfang der 30er beim «Ekstase»-Dreh geradezu ausgetrickst und zu den verruchten Szenen getrieben worden sei – und wie sauer ihr Vater wegen des Films war. Sie erzählt auch, dass Chemie ihr Lieblingsschulfach gewesen sei und sagt den schönen Satz: «Die Gedanken der Leute sind wichtiger als ihr Aussehen.»
Schlagzeilen gab es in den 60er und 90er Jahren noch, als Lamarr kleinerer Ladendiebstähle beschuldigt wurde. Kleine Ironie der Geschichte: Ab 2024 soll in Wien auf der Mariahilfer Strasse ein Luxuswarenhaus der KaDeWe-Group den Namen «Lamarr» tragen.