«Anatomie eines Falls» räumt beim Europäischen Filmpreis ab
Das Gerichtsdrama «Anatomie eines Falls» räumt beim Europäischen Filmpreis ab. Hauptdarstellerin Sandra Hüller wird als beste Schauspielerin geehrt. Bei ihrer Dankesrede hat die sie eine besondere Bitte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schuldfrage zieht sich wie ein roter Faden durch «Anatomie eines Falls»: War es ein Unfall, ein Suizid - oder doch Mord? Der komplexe Justizthriller von Justine Triet über eine selbstbestimmte Autorin unter Mordverdacht hat bei dem Europäischen Filmpreis am Samstagabend in Berlin gleich in fünf Kategorien abgeräumt.
Der Film wurde als bester europäischer Film des Jahres geehrt, zudem erhielt er Trophäen für die Regie, das Drehbuch und den Schnitt.
Zu den grossen Gewinnerinnen zählte auch die Schauspielerin Sandra Hüller (45), die in «Anatomie eines Falls» eine Schriftstellerin verkörpert und dafür den Preis als beste Darstellerin gewann. In ihrer Rede bedankte sich die in Suhl (Thüringen) geborene Schauspielerin – und rief das Publikum zu Schweigesekunden für Frieden in der Welt auf. «Da wir heute Abend so viele sind (...), würde ich gerne ein paar Augenblicke mit euch schweigen», sagte Hüller. Im Saal wurde es ganz still, danach gab es viel Applaus.
Roth sieht Hüller als Glücksfall für Filmbranche
Kulturstaatsministerin Claudia Roth bezeichnete Hüller als «besonderen Glücksfall für die deutsche Filmbranche». Sie sei «eine Ausnahmeschauspielerin, die es versteht, ganz unterschiedliche Rollen facettenreich und mit grosser Intensität auszufüllen», sagte die Grünen-Politikerin am Sonntag in einer Mitteilung. «Sie lotet alle Untiefen der dargestellten Charaktere bis zum Äussersten aus.»
Nach den Erfolgen in Cannes, wo Triets «Anatomie eines Falls» und Jonathan Glazers ebenfalls mit Hüller besetzter «The Zone of Interest» ausgezeichnet worden waren, sprach Roth von einem «hochverdienten Preis für diese Schauspielerin des Jahres».
Die 45-Jährige, die in Leipzig lebt, war gleich zweimal als beste Darstellerin nominiert (auch für das Drama «The Zone of Interest»). Sie setzte sich unter anderem gegen ihre deutsche Kollegin Leonie Benesch («Das Lehrerzimmer») und die Finnin Alma Pöysti aus der Tragikomödie «Fallende Blätter» durch. Hüller hatte bereits 2016 die Trophäe als beste Darstellerin für die Tragikomödie «Toni Erdmann» bekommen.
In «Anatomie eines Falls» geht es um die Schriftstellerin Sandra, die mit ihrem Mann Samuel und ihrem fast blinden Sohn Daniel in den französischen Alpen lebt. Als Samuel tot vor dem Chalet gefunden wird, sieht alles nach einem üblen Sturz aus. Doch es dauert nicht lange, bis Sandra verdächtigt wird, ihren Mann umgebracht zu haben und sich dafür vor Gericht verantworten muss. Hüller spielt eine undurchsichtige Frau, die die Zuschauer bis zum Schluss über ihre Beweggründe rätseln lässt. Das komplexe Drama thematisiert dabei auch die Konflikte des Paars und lässt einen immer wieder an seiner Einschätzung zweifeln, ob Sandra nun schuldig ist oder nicht.
Das Filmteam ist zudem im Gespräch für das Oscar-Rennen – auch Hüller als Hauptdarstellerin. Das Branchenmagazin «The Hollywood Reporter» stellte Anfang September sogar schon die Frage: «Sandra Hüller, Schauspielerin des Jahres?»
Mads Mikkelsen als bester Darsteller gekürt
Als den besten europäischen Darsteller kürten die Mitglieder der Europäischen Filmakademie den Dänen Mads Mikkelsen für seine Rolle im Film «Bastarden». Der 58-Jährige bedankte sich per Video für den Preis. In der Kategorie war unter anderem auch der deutsche Schauspieler Christian Friedel (44) vorgeschlagen, der in «The Zone of Interest» den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss darstellt.
Als bester Dokumentarfilm setzte sich «Smoke Sauna Sisterhood» durch, der mehrere Frauen in einer Rauchsauna in Estland porträtiert. Statt einer Dankesrede wollte die Regisseurin Anna Hints ein Lied singen.
Der Europäische Filmpreis zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen der Branche. Die rund 4600 Mitglieder der Filmakademie konnten in etlichen Kategorien über Preisträgerinnen und Preisträger abstimmen, ähnlich wie bei den Oscars in den USA.
Die britische Schauspielerin Vanessa Redgrave («Blow Up») wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Der ungarische Filmregisseur Béla Tarr («Sátántangó») erhielt einen Ehrenpreis. Der Auftritt des 68-Jährigen sorgte für Begeisterung. Die spanische Regisseurin Isabel Coixet («Das geheime Leben der Worte») wurde für ihre Verdienste um das Weltkino prämiert, den Preis nahm sie sichtlich gerührt entgegen. Einige Gewinner standen schon vor der mehrstündigen Gala fest: «The Zone of Interest» etwa bekam einen Preis für den besten Sound.