Berlinale-Finale: Das deutsche Kino darf hoffen

DPA
DPA

Deutschland,

Die Filmfestspiele in Berlin sind kein Kuschelfest. Die Leinwand zeigt Familienunglück, Kindesmissbrauch und einen Serienmörder. Bei der Preisverleihung ist eine deutsche Überraschung möglich.

«Ich werde das ganz bestimmt nicht interpretieren», sagte die Deutsche diese Woche zu ihrem Familiendrama «Ich war zuhause, aber». Tatsächlich stellen mehrere der 16 Wettbewerbsfilme das Publikum vor ein Rätsel.

Wenn am Samstagabend die Auszeichnungen in Berlin vergeben werden, gehen etliche undurchsichtige Geschichten ins Rennen. In «Öndög» tanzt ein Polizist neben einer Leiche durch die mongolische Steppe, in «Ghost Town Anthology» erscheinen Tote im kanadischen Schnee und bei Schanelec versteht man erstmal gar nichts.

Die Berlinale - neben Cannes und Venedig eines der wichtigsten Filmfestivals der Welt - steht diesmal unter dem Gedanken «Das Private ist politisch». Das zeigen viele Filme, die «Mr. Berlinale» Dieter Kosslick ausgesucht hat. Der scheidende Direktor führt nach 18 Jahren zum letzten Mal über den roten Teppich.

In zehn Festivaltagen wurde viel über den Streamingdienst Netflix, den Protest der Kinobetreiber und die Absage eines chinesischen Beitrags geredet. Nun werden die Preise verliehen. Im Wettbewerb sind zwar einige bekannte Namen dabei, etwa Fatih Akin mit seinem Serienmörderporträt «Der Goldene Handschuh» und François Ozon mit «Gelobt sei Gott» über den Missbrauch in der katholischen Kirche.

Als Favoriten gelten aber andere. Ein hoch gehandelter Kandidat für den Goldenen Bären ist «So Long, My Son». Der chinesische Regisseur Wang Xiaoshuai gewann mit «Beijing Bicycle» bereits 2001 einen Silbernen Bären. Sein neuer Film zeigt das Leben zweier Paare über 30 Jahre hinweg und spiegelt einfühlsam in mehreren Zeitebenen, was etwa die Ein-Kind-Politik für die Menschen bedeutete.

Gute Chancen dürften auch andere Filme mit starken weiblichen Hauptfiguren haben. Das ist ohnehin auffällig in diesem Jahr: 9 von 16 Wettbewerbsbeiträgen erzählen von ganz unterschiedlichen Frauenschicksalen zwischen Anpassung und Aufbegehren.

Dazu gehört auch «A Tale of Three Sisters» von Regisseur Emin Alper. Ein archaisches Märchen über drei Schwestern in einem türkischen Bergdorf. Sehr langsam, aber fast magisch erzählt. Ausserdem überzeugt darin Kayhan Açikgöz als einfacher Schafhirte, der manche schlechte Entscheidung trifft. Kandidat für einen Bären.

Abräumen könnte auch «Öndög», vom Chinesen Wang Quan'an in der Mongolei gedreht. Er holte 2007 mit «Tuyas Hochzeit» den Hauptpreis. «Öndög» zeigt eine Hirtin, die auf ihre Unabhängigkeit pocht. Chancen hat auch «God Exists, Her Name Is Petrunya». Die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska zeigt eine Frau, die eher aus Versehen eine Männertradition bricht.

Zwei Überraschungen aber kommen aus dem deutschen Kino. Mit «Systemsprenger» hat Nora Fingscheidt ihren ersten abendfüllenden Spielfilm vorgelegt. Es ist die Geschichte eines gewalttätigen Mädchens, das von einer Unterbringung in die nächste geschoben wird. Extrem überzeugend: die zehnjährige Darstellerin Helena Zengel.

Ein zweiter deutscher Film führte zu etlichen Kontroversen - und hat vielleicht gerade deswegen gute Chancen. Es ist Angela Schanelecs rätselhafte Ballade um eine alleinerziehende Mutter, zwei Kinder, Shakespeare-Texte und einige Tiere. Wie man den Film deuten kann, lässt die 57-Jährige offen. Manche Zuschauer hassten die nur schwer entschlüsselbare Form, andere lobten sie.

«Spiegel Online» spricht vom «schönsten und kunstvollsten Film des Wettbewerbs». Die britische Zeitung «The Guardian» dagegen schreibt, der Film sei manieriert und undurchsichtig. Die Wut der Hauptfigur (gespielt von Maren Eggert) werde mit unzusammenhängenden Szenen und unpassenden Eseln nicht erklärt. Dem Publikum verlangt der Film einiges ab. Nicht zuletzt wegen sehr langer Kameraeinstellungen.

Denkbar ist Schanelecs Sieg dennoch, denn Jurypräsidentin Juliette Binoche hat als Schauspielerin schon oft ihre Vorliebe für komplizierte Filme bewiesen. Ebenso ihre Mitjurorin Sandra Hüller («Toni Erdmann»). Zudem hat Jurymitglied und MoMa-Filmkurator Rajendra Roy in einem Buch über die sogenannte Berliner Schule seine Liebe zu dieser Art Kino dokumentiert.

Dass auf der Berlinale auch Filme eine Chance haben, die es den Zuschauern schwer machen, hat das Festival erst im Vorjahr gezeigt. 2018 gewann der Experimentalfilm «Touch Me Not» über Spielarten und Grenzen menschlicher Sexualität. Auch der Film stiess auf ziemlich geteiltes Echo. Ob in diesem Jahr wieder ein umstrittener Kandidat den Goldenen Bären holt, entscheidet nun die Jury.

berlinale
Angela Schanelec erhielt für ihre Ödipus-Adaption «Music» den Drehbuchpreis der Berlinale. Foto: Gregor Fischer/ - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Berlin (dpa) - Nach vielen Stunden Filmgucken werden auf der Berlinale die Auszeichnungen verliehen.

16 Filme gehen am Samstagabend (19.00 Uhr) in Berlin ins Rennen. Darunter sind Werke von drei deutschen Regisseuren. Die Berlinale zählt neben Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt.

Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche («Chocolat») leitet in diesem Jahr die Jury. Die 54-Jährige entscheidet mit den anderen Juroren über die Preise. Der Goldene Bär ehrt den besten Film. Silberne Bären gibt es zum Beispiel für die beste Regie und die besten Darsteller.

Aber wer gilt als Favorit? Im Gespräch sind gleich mehrere Filme. Hoch gehandelt wird «So Long, My Son» des chinesischen Regisseurs Wang Xiaoshuai. Das Drama zeigt das Leben zweier Paare über 30 Jahre hinweg und spiegelt, was etwa die Ein-Kind-Politik bedeutete.

Gute Chancen dürften auch andere Filme mit starken weiblichen Figuren haben. Dazu gehört «A Tale of Three Sisters» von Regisseur Emin Alper über drei Schwestern in einem türkischen Bergdorf oder «Öndög» vom Chinesen Wang Quan'an über eine Hirtin in der Mongolei.

Ausserdem gibt es einen Kandidaten, der für Diskussionen unter Kritikern sorgte. Die deutsche Regisseurin Angela Schanelec vermischt in «Ich war zuhause, aber» eine trauernde Mutter, Theater spielende Kinder und Tiere. Einige mochten den undurchsichtigen Film nicht, andere Experten lobten ihn dagegen sehr.

Ohnehin sorgte das deutsche Kino diesmal für Gesprächsstoff. Nora Fingscheidt erzählt in «Systemsprenger» von einem aggressiven Mädchen. Und Fatih Akin spaltete mit seinem Serienmörderfilm «Der Goldene Handschuh» die Meinungen im Publikum.

Bereits am Freitagabend wurde in der Berliner Volksbühne der queere Teddy-Filmpreis vergeben. Als bester Spielfilm bekam bei der 33. Auflage in diesem Jahr der Film «Breve historia del planeta verde» aus Argentinien die Auszeichnung. Auf der Teddy-Gala erhielt der Regisseur und Dramatiker Falk Richter zudem einen Sonderpreis.

Im Berliner Friedrichstadtpalast feierte etwa zeitgleich der Tote-Hosen-Film «Weil Du nur einmal lebst» Premiere. Neben der kompletten Düsseldorfer Band um Sänger Campino tummelten sich weitere Musiker und Promis auf und neben dem Roten Teppich. Der Film von Regisseurin Cordula Kablitz-Post nimmt den Zuschauer mit auf die vergangene Tour der Hosen. Er läuft nicht im Wettbewerb, sondern als Berlinale Special.

Auf dem Programm des Festivals standen insgesamt rund 400 Filme. Am Sonntag gehen die 69. Internationalen Filmfestspiele dann zu Ende. Direktor Dieter Kosslick leitet das Festival zum letzten Mal. Der 70-Jährige wird noch einmal über den roten Teppich führen.

Auf Kosslick folgt dann eine Doppelspitze. Neuer künstlerischer Leiter der Berlinale wird der Italiener Carlo Chatrian, ihm zur Seite steht Mariette Rissenbeek als geschäftsführende Leiterin. Chatrian war am Freitagabend unter den Gästen beim Teddy Award in der Volksbühne.

Mehr zum Thema:

Kommentare

Weiterlesen

Papst Franziskus Trauerfeier
101 Interaktionen
Rund um Trauerfeier
Scherben
36 Interaktionen
Scheibe eingeschlagen

MEHR IN PEOPLE

Demi Moore
1 Interaktionen
«Unmöglich»
Evelyn Burdecki
«Respektlos!»
P. Diddy verfahren archivbild
1 Interaktionen
Strafprozess

MEHR AUS DEUTSCHLAND

1 Interaktionen
Leuna
Bundesliga
3 Interaktionen
Klappt es heute?
1 Interaktionen
Zum Ferienende
5 Interaktionen
Immobilien