Die Höchste Eisenbahn: Fluffig-leicht - nie seicht
Wenn sich zwei Top-Songschreiber zusammentun, kann es auch mal zum Ego-Clash kommen. Nicht so bei Moritz Krämer und Francesco Wilking, die auf dem dritten Studioalbum ihrer Band Die Höchste Eisenbahn perfekt harmonieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Einen Sommerhit zu schreiben - darüber haben Francesco Wilking und Moritz Krämer, die beiden Texter und Sänger des Berliner Deutschpop-Quartetts Die Höchste Eisenbahn, nach eigenen Worten noch nie nachgedacht.
Dabei findet sich so ein Ohrwurm gleich zu Beginn ihrer dritten Studioplatte «Ich glaub dir alles» (Tapete).
«Aufregend und neu» heisst der Album-Opener, in dem die Band mit flirrenden Afro-Funk-Gitarren sommerliche Hochgefühle erzeugt. Wilking - einst bekanntgeworden mit der Band Tele - und der studierte Film-Regisseur Krämer hauen sich im Wechselgesang unterschiedliche Einschätzungen der Lage um die Ohren: «Alles ist verloren/Alles ist in Ordnung/Alles ist verloren/Quatsch, alles ist in Ordnung.» Ein exzellentes Mitsing-Lied, das seine gute Laune früher in Freibädern aus Transistorradios verbreitet hätte.
So fröhlich klingt es danach nicht immer auf dem bisher reifsten und besten Werk dieser Songwriter-Band, die 2011 als lockeres Duo-Projekt begann und dann mit Max Schröder (Schlagzeug) und Felix Weigt (Bass, Keyboards) aufgestockt wurde. Schon der zweite Song «Kinder der Angst» hat eine schattigere Botschaft, danach wechseln sich ernste und unbeschwerte Themen ab.
Auch melancholische Untertöne zu Beziehungsfragen lassen sich gelegentlich heraushören - allerdings nie mit der bei jüngeren deutschen Songtextern oft nervtötenden Weinerlichkeit. Immer mal wieder bürsten Wilking/Krämer ihre Zeilen so geschickt mit Ironie und Humor gegen den Strich, dass man zuerst die Stirn runzelt und dann breit grinsen muss.
Mit dem selbstproduzierten Vorgänger «Wer bringt mich jetzt zu den Anderen» (2016) hatten Die Höchste Eisenbahn Platz 18 der deutschen Albumcharts erreicht - ein Überraschungserfolg. Die neue Platte geht nun produktionstechnisch einen Schritt weiter.
Fürs Studio wurde Moses Schneider (Tocotronic, Beatsteaks, AnnenMayKantereit) gewonnen, der dafür bekannt ist, die Live-Qualitäten seiner Künstler besonders gut einzufangen. «Er hat uns die nassen Socken ausgezogen, den Kaminofen angefeuert, uns den Lolli aus der Hand geschlagen und dann von draussen durchs Fenster zugeschaut», schreibt die Band augenzwinkernd auf ihrer Webseite.
«Moses hat sich den Sound ausgedacht, daher klingt sie natürlich anders», sagt Moritz Krämer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur über die aktuelle Platte. «Aber trotzdem hat die Band noch den gleichen Charakter wie früher: Wir machen Musik nur, wenn wir Spass daran haben.» Und das hört man: Selten kommt deutscher Indiepop so fluffig-leicht, aber zugleich nie seicht daher.
Bei Jam-Sessions im niedersächsischen Wendland wurde das Songmaterial von allen Bandmitgliedern gemeinsam entwickelt. Über das gemeinsame Texteschreiben mit Krämer sagt Wilking: «Man muss sich mit viel Respekt aneinander rantasten. Und immer neugierig sein auf die Beiträge des Anderen.» Eine Partnerschaft auf Augenhöhe also, die nun mit Liedern wie «Zieh mich an», «Louise» oder «Derjenige» schönste Ergebnisse zeitigt.
In der heutigen Deutschpop-Szene verorten sich Krämer (39) und Wilking (44) bei anspruchsvollen Songpoeten und Bandprojekten: Namen wie Gisbert zu Knyphausen, Von wegen Lisbeth, Drangsal oder Die Heiterkeit fallen im dpa-Interview. Beim Blick über die Grenzen offenbaren die beiden Vorlieben für Jonathan Richman («seine Art zu texten»), Mac DeMarco oder Wilco, aber auch für alten afrikanischen Funk. Von Afrika inspiriert wurde auch das Albumcover - ein Buntstiftgemälde des 2012 mit 93 Jahren gestorbenen ghanaischen Künstlers Ataa Oko Addo.
Mit Erwartungen für ihre neue Platte halten sich die Frontmänner der Höchsten Eisenbahn zurück - das Spekulieren auf einen erneuten, womöglich sogar noch grösseren Charts-Erfolg würde auch nicht zu ihrer Indie-Philosophie passen. «Wir sind erstmal froh, dass die Platte im Kasten ist und wir damit jetzt Konzerte geben können», sagt Wilking. Aber er räumt ein: «Wir tun mehr dafür als früher, entdecken den Spass am Marketing. Mit Live-Videos und vielen kreativen Dingen.»
Wichtig sei nun vor allem, dass die Leute wieder gern zu den zahlreichen Gigs der Höchsten Eisenbahn in den nächsten Monaten kommen. Denn eine Platte aufzunehmen, das sei ja irgendwie noch ein Wert an sich für Musiker, sagt Moritz Krämer mit der ihm eigenen Lakonie. «Aber ein Konzert ohne Publikum - das macht echt keinen Sinn.»
Die Höchste Eisenbahn auf Tournee: 31.08. Homberg/Efze, Musikschutzgebiet Festival, 01.09. Darmstadt, Golden Leaves Festival, 18.10. Magdeburg, Moritzhof, 19.10. Leipzig, Täubchenthal, 20.10. Rostock, Helgas Stadtpalast, 21.10. Köln, Gloria, 24.10. Hannover, Musikzentrum, 25.10. Erlangen, E-Werk, 26.10. Wien, Flex, 27.10. München, Technikum, 29.10. Stuttgart, Im Wizemann, 30.10. Zürich, Papiersaal, 21./22.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg, 23.11. Kiel, Die Pumpe, 24.11. Hamburg, Docks, 25.11. Bochum, Bahnhof Langendreer, 27.11. Dresden, Tante Ju, 28.11. Salzburg, Rockhouse, 29.11. Graz, Autumn Leaves Festival, 01.12. Regensburg, Alte Mälzerei, 02.12. Mannheim, Alte Feuerwache, 04.12. Frankfurt, Zoom, 05.12. Münster, Sputnikhalle, 06.12. Trier, Mergener Hof, 07.12. Erfurt, HsD