Jochen Hörisch über Hände
Ob dem Autor sein Buch schnell von der Hand gegangen ist? Er erklärt jedenfalls, dass eine Hand weit mehr ist als die Verlängerung eines Arms.
Das Wichtigste in Kürze
- Kaum ein Körperteil taugt wohl zu so viel Metaphorik wie die Hand.
Abgesehen von den ganz Grossen, der Hand Gottes und der unsichtbaren Hand des Marktes, sprechen wir fast beiläufig etwa vom Geben und Nehmen.
Aber die Hand hat auch Einfluss bei Wörtern wie Manager, abgeleitet vom Lateinischen manus, die Hand. Welch vielfältige Rollen die Hand spielt, zeigt der Germanist Jochen Hörisch in seinem Buch «Hände. Eine Kulturgeschichte». Und das Spektrum dürfte noch grösser sein, als auf den rund 300 Seiten dargestellt.
Der ehemalige Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim sieht im 21. Jahrhundert eine «Epoche der Handvergessenheit». Das Handwerk verliere immer mehr an Bedeutung, was schon um 1900 mit der «Maschinisierung des Webens» begonnen habe. Virtuelle Welten, in denen Dinge nicht mehr wirklich greifbar sind, würden immer bedeutsamer in unserer Gesellschaft.
Hörisch bedauert das, gleicht sein Buch doch einer Hymne an Hände: «Die menschliche Hand ist mehr als nur ein verlängerter Arm von Geist, Bewusstsein, Ich, Hirn, sie ist selbst ein geistreiches, sowohl Fremd- als auch Selbstbeziehung ermöglichendes Organ», schreibt er. Hände könnten destruktiv und produktiv sein.
Die Pentadaktylie, die Fünffingrigkeit, sei das gemeinsame Merkmal aller höheren Wirbeltiere, schreibt der Autor. Eine Grafik erläutert den Aufbau der Hand mit ihren 27 Einzelknochen - was immerhin ein Viertel aller menschlichen Knochen sei, betont Hörisch.
Doch den Grossteil seines Buchs geht Hörisch auf Hände in der Literatur ein. Allen voran seziert er das Werk Goethes. Nicht nur, dass dort in diversen Texten Hände eine zentrale Rolle spielen und der suizidale Werther Hand an sich selbst legt. Auch Goethes wohl bekannteste Figur ist nach einer Handhaltung benannt: Faust.
Die Analyse der Hand-Thematik bei Goethe geht sogar so weit, dass Hörisch einen Bezug zu dessen Geburtsort findet: «Main», geschrieben wie in Frankfurt am Main, ist das französische Wort für Hand.
Zwar tauchen auch andere Autoren auf. Und Hörisch geht ebenso auf einzelne Kunstwerke wie Zeichnungen oder die Beatles ein («I wanna hold your hand»). Doch alles in allem überwiegt - und ermüdet bisweilen - der Goethe-Teil. Insbesondere weil sich manche Erwähnung wiederholt und teils passagenweise aus den Originalen zitiert wird.
Interessanter sind die Gedanken darüber hinaus - etwa über die öffentliche und die private Hand oder den Vergleich der gemeinhin als gut verstandenen Hand Gottes und einer diabolischen Hand des Marktes. Der Handschlag, einst als Zeichen eines unbewaffneten Aufeinandertreffens, gerät in der Corona-Pandemie zusehends ausser Mode. Und Handschellen könnten mal willkommen sein - im erotischen Kontext - oder der «ultimative Ausdruck der Demütigung» sein.
Der eine oder andere Ansatz scheint dabei jedoch recht weit hergeholt. So erklärt Hörisch zum Beispiel, dass die deutschsprachige Wendung «es gibt» in vielen Sprachen keine direkte Entsprechung finde. Im Englischen ist es mit einem «there is» getan. Und schon der Österreicher formuliere eher mit der Formel «dort hat es».
- Jochen Hörisch: Hände. Hanser Verlag, 304 Seiten, ISBN 978-3-446-26774-9, 28,00 Euro.