«Joker» feiert Free-TV-Premiere: Das Lachen bleibt im Halse stecken
Der «Joker» landet zum Abschluss des Jahres im Free-TV. In dem Film von Todd Phillips lieferte Joaquin Phoenix ein mit einem Oscar prämiertes Meisterwerk ab.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute Abend ist die Free-TV-Premiere des Filmes «Joker».
- Joaquin Phoenix wurde für seine Darstellung mit einem Oscar ausgezeichnet.
Der «Joker», Batmans ärgster Widersacher, terrorisiert am 30. Dezember als Free-TV-Premiere (22:35 Uhr, ProSieben) das deutsche Fernsehpublikum. Die Geschichte wiederholt sich hierbei auf und abseits des Bildschirms. Nicht etwa, weil Todd Phillips' (52) immens düsterer Film die nunmehr vierte Version des geschminkten Comic-Nihilisten darstellt. Sondern, weil die Handlung seit «Taxi Diver» wohlbekannt ist und die daran anknüpfende Grundsatzdebatte über die Grenzen der Unterhaltung bereits 1976 geführt wurde. Ist «Joker» Abklatsch oder Meisterwerk? Er ist Abklatsch und Meisterwerk.
Der Fehler im System – darum geht es
Niemand kann ihm vorwerfen, es nicht zumindest zu probieren. Der höchst depressive Arthur Fleck (Joaquin Phoenix, 48), von seiner kranken Mutter ironischerweise mit dem Spitznamen «Happy» gerufen, fristet sein Dasein als lebendes Werbeschild und Clown-Lachnummer. Letzteres wäre er auch gerne freiwillig, auf der grossen Bühne, als Stand-up-Komiker. «Muss man dafür nicht lustig sein?», fährt ihm seine verdutzte Mutter Penny (Frances Conroy, 69) umgehend in die Parade, als er ihr seinen Karrierewunsch offenbart.
Nicht nur deswegen brodelt es in Arthur. Die Superreichen, allen voran die unnahbaren Waynes, scheren sich doch einen Dreck um den Pöbel Gothams, zu dem er auch sich und seine Mutter zählt. «Geht es nur mir so, oder wird die Welt da draussen immer verrückter?», will er von seiner Therapeutin wissen, der gerade aufgrund von Einsparungen der Laden dicht gemacht wurde. Als er wieder einmal eines Nachts von einer Gruppe Yuppies drangsaliert wird, stellt das den letzten Tropfen dar, der das Fass des manisch lachenden, weinenden Clowns zum Überlaufen bringt – und in ungezügelter Gewalt mündet.
Überdeutliches Vorbild
«Filme sollten keinen lüsternen Genuss daran haben, Blut zu vergiessen und auf schrecklichen Gräueltaten zu verweilen, so als wäre man in einer römischen Arena.» Dieser Satz stammte nicht etwa aus einem Review zu «Joker». So schimpfte seiner Zeit US-Schriftsteller Tennessee Williams, als er 1976 der Jury der Filmfestspiele von Cannes vorstand und schockiert mitansehen musste, wie Martin Scorseses «Taxi Diver» die Goldene Palme einheimste. Heutzutage wird die Geschichte über den sozial vereinsamten Veteranen (Robert De Niro) gemeinhin als Geniestreich angesehen. Nicht trotz, sondern wegen ihres unangenehmen Charakters.
Natürlich ist Phillips die Nähe zu «Taxi Driver» bewusst. Sein Film kokettiert sogar damit, indem eben jener De Niro zum Cast zählt – als scheinheiliger, geleckter TV-Moderator, nicht mehr als Irokesen-Anarcho. In einigen Kritiken zum Kinostart wurde diese überdeutliche Referenz kritisch hervorgehoben, böte «Joker» dadurch doch nichts Neues. Das stimmt auch vier Jahre später noch nicht. Gerade in Bezug auf das so inflationär ausgeschlachtete «Batman»-Universum gelingt dem Film über die Nemesis des «Dark Knight» Grosses. Nach «Joker» wird ein anderer Blick auf Batman, auf die Waynes geworfen. Ein Blick von unten, aus dem Moloch, von wo aus sie plötzlich gar nicht mehr so heldenhaft wirken.
Verkehrte Rollen
Das Schicksal des kleinen Bruce Wayne ist tragisch, keine Frage. Doch genau das ist der Punkt, den der Film macht: Wären es kein Milliardär und seine Gattin, die in einer versiften Hinterhofgasse ermordet werden, sondern Personen der Marke Arthur Fleck, würde es ihr Ableben noch nicht einmal in die Zeitung schaffen, geschweige denn auf Seite eins.
Gerechtfertigt oder nicht, aber endlich kann der Zuschauer ein Stück weit nachvollziehen, warum der Joker einen so unbändigen Hass auf die scheinheilige High Society hegt. Zu der zwangsläufig auch «Master Wayne» gehört, wie Bruce vom devoten Butler und späteren Ziehvater Alfred genannt wird. Einher geht damit selbstredend eine Entmystifizierung jenes Schurken, der in «The Dark Knight» (Heath Ledger) noch aus dem Nichts auftauchte und mit diebischer Freude über seine traumatische Vergangenheit log.
Sympathy For The Devil
Das führt zwangsläufig zu einer heiklen Frage, die bis in die Realität hinein reicht: «Dürfen Sympathien für einen Mann gehegt werden, der durchdreht und abscheuliche Dinge tut?» Die plumpe Antwort darauf lautet: «Nein, natürlich nicht.» Das forciert «Joker» entgegen anders lautender Befürchtungen aber auch nicht. Es stimmt, er zeigt auf, wie soziale Einflüsse und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten dazu führen können, dass eine Person zum Monstrum wird. Dem Film deshalb vorzuwerfen, dass er die daraus resultierenden Konsequenzen glorifizieren würde, grenzt aber an Zynismus. Wie würde denn die Gegenthese hierzu lauten? Dass Menschen böse geboren werden?
Rache-Thriller der Marke «John Wick» oder «Taken» müssen sich derartigem Aufruhr in der Regel nicht ausgesetzt fühlen. Obwohl es darin der ausgeschriebene Held ist, der Selbstjustiz ausübt. Wobei hier natürlich nie ein Unschuldiger durch den Kugelhagel des Protagonisten seinen qualvollen Tod findet. Diese Film-Rache ist gerecht und rechtschaffend, ohne Kollateralschäden. In «Joker» ist die Gewalt dagegen abrupt, sie kommt unvermittelt und beschönigt nichts.
Der Mann hinter der Maske
Was uns zum stärksten Punkt des Films führt – Hauptdarsteller Joaquin Phoenix. Umgeben von Kollegen und doch völlig alleine, so lernt der Zuschauer seine Figur Arthur kennen. Tränen verschmieren ihm die Clown-Fratze, die er sich gerade ins Gesicht gemalt hat. Dann zieht er sich die Lippen zu einem so breiten Grinsen nach oben, als wolle er sich die Haut über den Schädel schälen. Warum nur reicht es nicht, glücklich auszusehen, um glücklich zu sein, mag er in diesem Moment denken.
Vielleicht keinem anderen Schauspieler als Phoenix wäre es gelungen, diesen emotionalen Drahtseilakt hinzulegen. Sein Joker ist anstrengend, geplagt von diversen Dämonen. Er ist erbärmlich, ein weinerliches Muttersöhnchen und ja, auch bemitleidenswert. Zumindest, bis er die Gewalt als seine Form des Protests entdeckt. Eines ist er dabei aber nie: cool.
In keiner Situation des Films hat er die Kontrolle über das Geschehen, ja noch nicht einmal über seinen eigenen Körper. Unkontrolliert lacht er in U-Bahnen oder Bussen drauflos, erstickt beinahe an seinem Tourette-ähnlichen Tick. Phoenix spielt zwei Personen gleichzeitig, gefangen in ein und demselben, jämmerlich-abgemagerten Körper. Der 48-Jährige lieferte mit «Joker» ein eindringliches wie denkwürdiges Psychogramm ab, das 2019 völlig zu Recht in einem Oscar als bester Hauptdarsteller mündete.
Alles Gold, was grinst?
Zuweilen übertreibt es Regisseur Phillips aber auch mit all den Dingen, die er auf seine Hauptfigur mit aufgeschminktem Dauergrinsen hereinprasseln lässt. Wirklich sämtliche Aspekte von Arthurs Leben sind niederschmetternd. Zudem wird jede verborgene Facette der späteren Batman-Nemesis gleissend hell beleuchtet – dabei wäre ein Rest-Mysterium rund um den «Joker» die bessere Wahl gewesen.
Fazit:
«Joker» ist die Origin-Story des vielleicht grössten Schurken der Comic-Geschichte. Und zu einer guten Origin-Story gehört nun einmal ein Charakterwandel. Todd Phillips' Film Gewaltverherrlichung vorzuwerfen, weil er den Protagonisten nicht als durchgehend diabolisch darstellt, ist ein Blick auf den Film und die menschliche Psyche, der noch nicht einmal bis zum Tellerrand reicht. Im Gegensatz zu Hauptdarsteller Joaquin Phoenix macht der bierernste Film vielleicht nicht alles richtig und im Vergleich zu «Taxi Driver» nicht alles neu. Im Gegensatz zu manch einem Marvel-Blockbuster bleibt er einem aber noch lange nach dem Abspann im Kopf. Ob man will oder nicht.