Kulturhauptstadt Galway ist «wie Barcelona mit Regen»
Schon mal von Galway gehört? Die kleine Stadt liegt abgelegen an der irischen Küste. Als künftige Kulturhauptstadt, die sich auch wegen des Brexits sorgt, könnte ihr Bekanntheitsgrad schnell steigen.
Das Wichtigste in Kürze
- Viel Regen, irische Musik und jede Menge Pubs, in denen kräftig getrunken und gesungen wird.
Die Stadt Galway ist - neben Rijeka in Kroatien - die europäische Kulturhauptstadt 2020. Viel irischer könnte eine Stadt wohl kaum sein als Galway an der rauen Westküste.
Sie gilt als Hochburg für die traditionelle Musik des Landes. Der Titel Europäische Kulturhauptstadt soll auch dazu beitragen, Spannungen auf der irischen Insel angesichts des Brexits abzubauen.
Die kleine Universitätsstadt mit ihren vielen bunten Häusern versprüht Charme. Es wird behauptet, sie sei die jugendlichste, freundlichste und musischste Stadt des Landes. An jeder Ecke stehen Strassenmusiker und verbreiten auch bei schlechtem Wetter gute Laune. «Galway ist wie Barcelona mit Regen, denn hier regnet es 240 Tage im Jahr», sagte Kreativdirektorin Helen Marriage bei der Vorstellung des Kulturprogramms. Es sei der aussergewöhnlichste Ort, wild und am Ende Europas mit Blick auf den Atlantik. «Amerika ist der nächste Stopp.»
Immer mehr junge Leute widmen sich wieder der irischen Folklore. Die 80 000-Einwohner-Stadt an der Küste ist nicht nur bei Iren für regelmässige Festivals im Sommer beliebt. Als Kulturhauptstadt, so Marriage, widme man sich nun drei Schwerpunkten: Sprache, Landschaft und Migration. Allein der irischen Sprache sind 30 von insgesamt 154 Projekten gewidmet. Beim Thema Migration geht es sowohl um die Geschichte Irlands als auch um die kulturelle Vielfalt in Europa. Es soll laut Marriage vermittelt werden, was es bedeute, «ein modernes europäisches Land in schwierigen Zeiten» zu sein.
Galway liegt etwa 160 Kilometer von der Grenze zum britischen Landesteil Nordirland entfernt. Das erhitzt die Gemüter: Schon bald soll Grossbritannien nicht mehr zur Europäischen Union gehören. Kritiker befürchten, dass dann wieder Spannungen zwischen Nordirland und der EU-Republik Irland aufflammen könnten: Im jahrzehntelangen Nordirlandkonflikt standen katholische Nationalisten, die eine Vereinigung mit Irland anstreben, protestantischen Unionisten gegenüber, die weiterhin zu Grossbritannien gehören wollen. In dem Bürgerkrieg starben Tausende Menschen, Zehntausende wurden verletzt.
«Das Festival kommt gerade zur rechten Zeit», sagte der irische Botschafter in London, Adrian O'Neill. «Wir brauchen die Kultur mehr denn je.» Sie könne geistige Haltungen ändern, betonte der Botschafter bei der Vorstellung des Programms. Auch der irische Präsident Michael Higgins machte eine Anspielung auf den Brexit: Das Festival sei gedacht «für die lokalen, die nationalen und die Europäischen Gemeinschaften, zu denen wir alle gehören».
So gehört zu den vielen Kunstobjekten der Kulturhauptstadt auch eine Installation namens Borderline (Grenzlinie), an der Einwohner beiderseits der grünen Grenze - in Irland und im nordirischen Londonderry - mitgewirkt haben. Der finnische Lichtkünstler Kari Kola lässt die Connemara-Berge nahe Galway am irischen St. Patrick's Day (17. März) in Grün erstrahlen. Und Homers Odyssee wird am windgepeitschten Strand vorgelesen. Auch die kanadische Autorin Margaret Atwood, erst kürzlich mit dem renommierten britischen Booker-Preis geehrt, beteiligt sich an dem Programm.
Die Kulturhauptstadt Europas ist eine Initiative der Europäischen Union. Jedes Jahr werden zwei Städte ernannt - eine aus den alten EU-Staaten und eine aus den neuen. Deutschland darf erst im Jahr 2025 wieder - neben Slowenien - eine der Städte stellen. In diesem Jahr tragen Plowdiw in Bulgarien und Matera im Süden Italiens die Titel. Plowdiw ist als Heimat einer antiken Stätte ein begehrtes Reiseziel. Matera ist für seine uralten Höhlensiedlungen im Tuffstein bekannt.
Rauer als in diesen beiden sonnigen Städten geht es in Irland zu. Der Wind werde zur Eröffnung heulen und es werde regnen, sagte Kreativdirektorin Marriage. «Aber es wird ein grossartiger Spass.» Der Reiseführer «Lonely Planet» zählt Galway schon zu den Top Ten, die man 2020 besuchen sollte - nach Salzburg, Washington und Kairo.