Die Fans mussten lange warten. Bei Rammstein heisst das: Anhänger auf der ganzen Welt. Nun bringen die Martial-Rocker nach zehn Jahren ein neues Album raus. Mit erstaunlich politischen Tönen.
Laut, brutal und poetisch: Rammstein. Foto: Jes Larsen/Universal Music
Laut, brutal und poetisch: Rammstein. Foto: Jes Larsen/Universal Music - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Rammstein-Songs sind selten eindeutig.
Ad

Die Texte von Sänger Till Lindemann funktionieren oft auf unterschiedlichen Ebenen. Videos sind gern mal zwielichtig.

Die Interpretationsspielräume, das martialische Auftreten in Videos und auf der Bühne, nicht zuletzt direkte oder indirekte Zitate von NS-Ikone Leni Riefenstahl haben einer der weltweit erfolgreichsten deutschen Bands oft den Vorwurf eingebracht, sehr weit am rechten Rand zu spielen. Mit ihrem titellosen siebten Studioalbum positioniert sich Rammstein nun anscheinend auf der anderen Seite.

Vielleicht um es Kritikern nicht zu einfach zu machen, die Band nun umgehend im linken Spektrum zu orten, hat Rammstein nur eine Woche vor Veröffentlichung des neuen Albums mit der gut 20 Jahre alten Coverversion «Stripped» von Depeche Mode eines ihrer umstrittensten Videos auf YouTube hochgeladen. Die angeprangerte Nazi-Ästhetik haben sie schon mal selbst als Grenzüberschreitung bezeichnet. Die Musiker lassen sich nicht festlegen, Rammstein bleibt ambivalent.

Doch zurück zur neuen Einspielung: es ist das siebte Studioalbum und enthält wie seine Vorgänger wieder elf Songs. Schon vor der Veröffentlichung drehte die Fan-Gemeinde weltweit am Rad. Videos zu «Deutschland» und «Radio» klickten in kurzer Zeit im deutlich zweistelligen Millionenbereich. Die erste Auskopplung «Deutschland» startete von Null auf Eins in die deutschen Single-Charts.

Womit wir bei dem Punkt wären, der bei Rammstein gern als PR-mässig geplanter Affront verbucht wird. Nach zehn Jahren ohne neues Album haben die Musiker Ende März das «Deutschland»-Video mit einer sofort von Protesten begleiteten Provokation angekündigt: In der kurzen Sequenz, die im kompletten Video kaum noch eine Rolle spielt, sind Mitglieder der Band in Kleidung zu sehen, die an die von KZ-Häftlingen erinnert.

Dabei ist der Song selbst eine ebenso brutale wie wenig nationale Abrechnung mit 2000 Jahren Geschichte eines Landes, dem Rammstein sagt: «Meine Liebe kann ich dir nicht geben». Es ist zuviel «übermächtig, überflüssig, Übermenschen, überdrüssig», denn «wer hoch steigt, der wird tief fallen». Doch schon die nächste Zeile birgt wieder Ungemach: «Deutschland, Deutschland über allen». Werden sich alle mitgrölenden Fans bei der anstehenden Stadion-Tour an das Rammsteinsche «n» am Ende halten oder auf die durch die Nazis diskreditierte «über alles»-Variante ausweichen?

Genau hingehört haben die in der DDR aufgewachsenen sechs Rammstein-Mitglieder für den Song «Radio». Das Lied ist ein Schrei gegen Zensur und Unterdrückung: «Wir durften nicht dazugehören; nichts sehen, reden oder hören.» Doch Musik kennt ebenso wie Gedanken «keine Grenzen, keine Zäune». Im zugehörigen Video schafft es eine schwarz uniformierte Armee nicht, die Radiostation in Besitz zu nehmen und der Musiker Herr zu werden. Und vor dem Funkhaus wehen am Ende rote EU-Fahnen.

«Zeig Dich» ist eine Abrechnung mit dem Teil des Klerus, dessen Vertreter sich «aus Versehen an Kindern vergehen», alles stets «im Namen des Herren». Ein weiterer starker Song ist «Puppe». Text und Musik machen die sich steigernde Verzweiflung eines Jungen spürbar, der durch das Schlüsselloch beobachten muss, wie sich seine Schwester im Nachbarzimmer prostituiert und schliesslich von einem ihrer zahlreichen Freier beim Akt ermordet wird.

Dem Dunklen, Abgründigen, Grenzüberschreitenden frönen die Rammstein-Songs auch bei immer wieder von der Band aufgegriffenen Themen wie Promiskuität («Ausländer»), Sex-Fantasien à la «besser widerlich als wieder nicht» («Sex»), ausgelebter Hassliebe («Was Ich Liebe»), Voyeurismus («Weit Weg») oder Kindesmissbrauch («Hallomann»).

Musikalisch ist auf dem Album sehr viel Rammstein-DNA zu hören. Die Riffs der Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers sind hart und eingängig, oft auch überraschend und häufig originell - innerhalb jener Grenzen der Rockmusik, die eben auch von der Einfachheit für Headbanging lebt.

Die Band steht ebenso für Wandel und Einflüsse. Zitiert werden Kraftwerk und Anne Clark, Gregorianische Gesänge, Krautrock oder Techno. Der Kick, der Rammstein im Vergleich zu anderen Martial-Rockern so besonders macht, sind auf diesem Album erneut die intelligenten musikalischen Phrasen und Linien, die Christian «Flake» Lorenz mit seinen Tastengeräten in die Stücke einbringt.

Hinzu kommen die mitunter banalen, aber eben sehr häufig überaus poetischen Texte von Sänger Lindemann: «So höre ich, was ich nicht seh', stille heimlich fernes Weh'». Eine solche Aufspaltung eines einfachen Wortes wie Fernweh birgt rasch eine neue Bedeutungs- und Betonungsebene. Sonst selten zu hörende Wörter wie «Weltempfänger» oder auch «Liedgut» oder «frönen» bringen eine weitere Besonderheit Rammsteins in die Zeilen. So entsteht ein «Tattoo» im gleichnamigen Song eben dann, «wenn der Schmerz das Fleisch umarmt».

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Depeche ModeMusikerYoutubeLiebeSchweizer ArmeeTattoo