Angela Merkel

«Sie kennen mich» – ein Rätsel wird 70

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Deutschland,

Pünktlich zum 70. Geburtstag von Angela Merkel wird eine Doku-Serie veröffentlicht. Diese zeichnet Merkels Weg von Physikerin in der DDR hin zur Kanzlerin nach.

Angela Merkel wird 70
ARCHIV - 28.08.2017, Berlin: Ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt in die Bundespressekonferenz in Berlin zur Sommer-Pressekonferenz und hat die Fingerspitzen aneinandergelegt. (zu dpa: ««Sie kennen mich» - ein Rätsel wird 70») Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ - keystone

«Sie kennen mich.» Drei Worte genügen Angela Merkel als persönliches Programm im Wahlkampf zur deutschen Parlamentswahl 2013. Drei Worte, die Vertrautheit aufbauen und Sicherheit geben sollen, gesagt im Schlussstatement des Fernsehduells mit ihrem Konkurrenten von der SPD, Peer Steinbrück.

«Ich glaube, kein Mensch kennt Angela Merkel», sagt die Kommunikationswissenschaftlerin und Podcasterin Samira El Ouassil. Und die Journalistin Judy Dempsey findet: «Angela Merkel ist ein Rätsel.» Beide Frauen äussern sich in einer fünfteiligen ARD-Dokumentation über die Langzeitkanzlerin, veröffentlicht in der ARD-Mediathek pünktlich zum 70. Geburtstag Merkels am kommenden Mittwoch (17. Juli). Fünfmal eine halbe Stunde – das bietet die Chance, das eigene Merkel-Bild zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen.

Von der Physikerin in der DDR zur mächtigsten Frau der Welt

Die Doku-Serie von Tim Evers zeichnet Merkels Weg von der weitgehend angepassten Physikerin in der DDR hin zur Kanzlerin nach, die vom Magazin «Forbes» 14 Mal zur mächtigsten Frau der Welt gekürt wurde. «Ich gehörte nun auch nicht zu denen, die übermutig waren und jetzt überall den Konflikt gesucht haben», bekennt Merkel 1992 in einem Interview mit Blick auf ihr Leben in der DDR. Der Friedlichen Revolution 1989 schaut sie mehr zu, als dass sie daran mitwirkt.

Rasanter Aufstieg nach dem Fall der Mauer

Doch als die Mauer weg ist, ergreift Merkel die sich ihr bietenden Gelegenheiten. Sie engagiert sich beim Demokratischen Aufbruch, wird dessen Pressesprecherin und dann stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière. Dieser empfiehlt sie Kanzler Helmut Kohl weiter. Er ernennt die inzwischen in die CDU Eingetretene nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 zur Bundesministerin für Frauen und Jugend.

Als Frau und Ostdeutsche erfüllt Merkel gleich zwei Quoten. Kohl nennt sie in seiner patriarchalischen Art «mein Mädchen». Vier Jahre später macht er sie zur Umweltministerin. Er ahnt nicht, dass ausgerechnet dieses «Mädchen» ihn 1999 im Zuge der CDU-Spendenaffäre aus der Partei drängen – Kohl ist noch Ehrenvorsitzender – würde. Und dass sie im Jahr darauf selbst den Parteivorsitz übernehmen wird. Die männliche Nachwuchsriege – Roland Koch, Christian Wulff, Friedrich Merz und andere – hat das Nachsehen.

Die Unterschätzte erobert das Kanzleramt

«Das war ja ihr ganzes halbes Leben lang ihr Erfolgsgeheimnis, dass sie immer unterschätzt wurde», sagt Thomas de Maizière (CDU). Er wird später Merkels Kanzleramtschef, Innen- und Verteidigungsminister. In der ARD-Doku ist er einer der befragten Zeitzeugen aus dem politischen Lager.

Kanzler ist seit 1998 Gerhard Schröder. Die von ihm geführte rot-grüne Koalition verteidigt vier Jahre später die Macht. Dann kommt die vorgezogene Bundestagswahl 2005. Merkel ist jetzt Kanzlerkandidatin der Union. Die Umfragen deuten auf einen hohen Wahlsieg von CDU und CSU hin. Doch am Wahlabend schrumpft dieser auf einen nur hauchdünnen Vorsprung vor der SPD zusammen.

Unvergessen ist der Auftritt des völlig überdrehten Schröder in der «Berliner Runde»: «Sie wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen. Das ist eindeutig. Machen Sie sich da gar nichts vor.» Tatsächlich ist es Schröder, der sich etwas vormacht. Am 22. November 2005 legt Merkel den Amtseid als Bundeskanzlerin ab.

Kanzlerin im Krisenmodus

Merkel bleibt 16 Jahre im Kanzleramt – länger noch als Kohl. Wenn sich etwas wie ein roter Faden durch diese Zeit zieht, dann sind es Krisen auf unterschiedlichen Feldern und in unterschiedlichen Dimensionen: Finanz- und Bankenkrise, Euro-Krise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Corona-Krise – um nur die grössten zu nennen. Die Kanzlerin nimmt es mit dem ihr eigenen Pragmatismus: «Ein Leben ohne Krisen ist natürlich einfacher. Aber wenn sie da sind, müssen sie bewältigt werden», sagt sie am Ende ihrer Amtszeit.

Flüchtlinge als Herausforderung

Jede dieser Krisen hat ihre eigene Gefährlichkeit. Aber nichts krempelt die politische Landschaft in Deutschland so um, wie die 2015 einsetzende Flüchtlingskrise. Als Merkel grünes Licht für die Aufnahme von in Ungarn gestrandeten Menschen gibt, kommen erst Zehn-, dann Hunderttausende nach Deutschland. Die anfängliche Hilfsbereitschaft schlägt bald um. Als «Volksverräterin» wird die Kanzlerin jetzt beschimpft. «Merkel muss weg» wird bei den Demonstrationen skandiert, etwa denen der selbst ernannten «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes», kurz Pegida. Die AfD wächst stetig, zieht 2017 in den Bundestag ein.

Und Merkel? Sie setzt bei ihrer Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 gegen die Wut vieler Bürger wieder einen knappen Drei-Worte-Satz: «Wir schaffen das.» Dies nimmt ihr aber noch nicht einmal die Schwesterpartei CSU und deren Vorsitzender Horst Seehofer ab. Das Verhältnis der Unionsparteien wird empfindlich gestört.

Neue gesellschaftliche Konflikte durch Pandemie

Dann kommt eine Herausforderung mit ganz eigener Dimension. Anfang 2020 breitet sich das Corona-Virus auch in Deutschland rasant aus. «Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst», sagt die Kanzlerin in einer Fernsehansprache am 18. März. Wieder so eine Botschaft aus wenigen Worten. Es folgen immer neue Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Inzidenzgrenzwerte. Merkel beschwört die Solidarität der Bürger – doch je länger die Pandemie und die Einschnitte in den Alltag anhalten, umso mehr bröckelt diese.

Ein Jahr nach ihrer Fernsehansprache macht Merkel etwas, was man bis dahin nicht von ihr kannte. Sie entschuldigt sich für die gerade erst mit den Ministerpräsidenten beschlossene «Osterruhe» und nimmt diese zurück. «Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler», sagt sie im Bundestag.

Abschied von der Macht auf Raten

Merkel zieht sich schrittweise aus der Politik zurück. Im Dezember 2018 gibt sie den Parteivorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer ab. Zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits angekündigt, dass sie bei der Bundestagswahl 2021 nicht mehr antreten werde. Sie, die 2005 einen Sozialdemokraten aus dem Kanzleramt vertrieb, muss dieses nun wieder an einen Sozialdemokraten zurückgeben: Olaf Scholz.

Merkel in 150 Minuten

Einen «leicht zugänglichen Ansatz mit schnellen Schnitten, poppigen Farben, gewitzten Pointen und Musik aus den letzten drei Jahrzehnten», versprechen die Produzentinnen der Doku, Birgit Rasch und Ramona Bergmann. Sie wollen es jungen Menschen ermöglichen, «einen neuen, frischen Blick» auf Merkel zu werfen. Poppig und schnell kommen die 150 Minuten in der Tat daher. Es ist ein ganz andere und schon deswegen spannende Herangehensweise an ein Politikerleben.

Allerdings: Das ständig genutzte Stilmittel, ein Bild in zig kleine Kacheln zu zersplittern, wirkt auf die Dauer anstrengend. Das gilt auch für die permanente, von Helene Fischer bis Britney Spears reichende Musikuntermalung. Warum die Dokumentation den an einen Sisi-Film erinnernden Titel «Angela Merkel. Schicksalsjahre einer Kanzlerin» trägt, erschliesst sich ebenfalls nicht.

Schwer greifbare Politikerin

Bleibt die Frage: Kennt man Angela Merkel nach diesen 150 Minuten nun? Für die Publizistin Marina Weisband hat die CDU-Politikerin etwas schwer Greifbares. Und auf etwas schwer Greifbares lasse sich viel projizieren, sagt sie in der Dokumentation. «Jeder hat sich so seine eigene Angela Merkel zurecht projiziert, wie er sie haben wollte.»

Das legt den Schluss nahe: Wenn es viele Angela Merkels gibt, wenn jede und jeder seine ganz eigene hat – wie kann man sie da wirklich kennen?

Kommentare

User #6041 (nicht angemeldet)

Keine angst,wir schaffen auch das(noch)!

User #3605 (nicht angemeldet)

Kein Grund zu feiern

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