Sind Sie neidisch auf Nachbarn oder Arbeitskollegen? Vorsicht, es könnte ein Motiv für einen Mord werden. Der schräge «Tatort»-Krimi «Borowski und das Glück der Anderen» wird zur Sozial- und Psychostudie über ein allzu menschliches Phänomen.
Neid als Mordmotiv: Kommissar Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Almila Bagriacik (Mila Sahin) ermitteln. Foto: Christine Schroeder/NDR/ARD
Neid als Mordmotiv: Kommissar Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Almila Bagriacik (Mila Sahin) ermitteln. Foto: Christine Schroeder/NDR/ARD - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • In den meisten Krimis erfährt der Zuschauer erst zum Schluss, wer der Mörder ist.
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In «Borowski und das Glück der Anderen» ist das anders.

Mit sieben Schüssen wird ein smarter, gut aussehender Mann in Designerklamotten in seiner Villa erschossen, er spuckt Blut in Fontänen, bevor er stirbt. Die Kamera zeigt, wie Peggy schiesst. Sie ist die Nachbarin, wohnt gegenüber, Kassiererin von Beruf - und aus Neid in die Villa eingebrochen, auf der Suche nach dem Jackpot-Los, das 14,2 Millionen Euro Gewinn bedeutet.

«Die Spannung entsteht nicht durch die Suche nach dem Mörder, sondern sie liegt in der Betrachtung des Umfelds und der menschlichen Schicksale», sagt Regisseur Andreas Kleinert in einem Interview in der Pressemappe zum «Tatort», der am Sonntag (3. März) um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen ist.

Der Krimi zeigt zum Anfang einen Blick von oben auf die adrette Wohnsiedlung, um sich dann dem Schicksal der Menschen zu nähern. In ihrem Zuhause dreht Kassiererin Peggy (ausdrucksstark Katrin Wichmann) durch. Mit einem Benzin-Rasenmäher fährt die Berserkerin durch ihr Wohnzimmer und zerstört es - wie zuvor ihr Leben und ihr kleines Glück, das sie zuletzt nicht mehr so empfunden hatte.

In Rückblenden wird die Unzufriedenheit von Peggy entfaltet. Ihr Mann Micha, ein in sich ruhender Elektriker (sympathisch prollig Aljoscha Stadelmann), der gern zur Bierdose greift, fern sieht und zufrieden ist mit seinem Leben, ist ihr nicht mehr genug. «Wir sind glücklich, oder? Wir haben alles, was wir brauchen, oder?», zweifelt Peggy. «Mehr wäre unanständig», antwortet Micha.

Zuvor hatte Peggy durchs Fenster gesehen, wie die Nachbarn gegenüber während der Ziehung der Lottozahlen jubeln. Die haben den Jackpot gewonnen, ist sich Peggy sicher. Ihr Frust steigt, als die elegant-kühle Frau (gänsehaut-intensiv-unnahbar Sarah Hostettler) des Nachbarn Edelpralinen und Champagner kauft - und auf Treuepunkte als Bonus verzichten kann. Peggy fühlt sich nicht wahrgenommen. Später wird sie zu der Frau sagen: «Du hast mich nie gegrüsst, ich bin morgens wach, wenn du noch schläfst, ich räume die Regale für dich ein, ich sage danke, du kennst mich gar nicht.» Gedemütigt fühlt sie sich auch von deren Mann, der sie beim Einbruch überrascht (widerlich arrogant Volkram Zschiesche) und damit zur Bluttat reizt.

Im Gegensatz zum Zuschauer kennen Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und seine junge Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) nicht die Hintergründe des Verbrechens. Milberg mimt Borowski wie eh und je mit lakonischem Humor, grosser Ermittlererfahrung und zaudernd. Bagriacik übernimmt den Gegenpart - impulsiv, voreilig und zupackend. Das Ermittlerduo spielt sich in seiner zweiten «Tatort»-Episode immer besser aufeinander ein. Mit einem blauen Auge muss Sahin ermitteln. Die Neugierde Borowskis, woher es denn stammt, wird zunächst nur wortkarg beantwortet: Sie sei geschlagen worden, «private Geschichte».

Skurrile, überzeichnete Szenen mit schwarzem Humor prägen diesen «Tatort» in der für Regisseur Kleinert, der schon vier Mal den Adolf-Grimme-Preis erhielt, typischen Filmsprache. Etwa wenn Borowski die Erschiessungsszene mit der Gerichtsmedizinerin mit aberwitzigen Dialogen nachspielt - und daneben auf dem Obduktionstisch die Leiche liegt, mit Pfeilen, die aus jedem Einschussloch ragen. Feinsinn fehlt auch nicht, etwa wenn Borowski auf die Frage, ob er glücklich sei, doppeldeutig antwortet: «Zum Glück fehlt mir die Frau.»

Für den Zuschauer wird nicht die Täterin überführt, sondern eine falsche Sicht darauf, was Glück bedeutet. «Menschen sind soziale Wesen und gerade der Vergleich mit anderen, der ständige Drang nach mehr Geld, Macht, Wachstum und Konsum macht vor allem eins: unglücklich», sagt Moderator und Mediziner Eckart von Hirschhausen, der mal Pate der ARD-Themenwoche «Zum Glück» war. Milberg betont: «Glücksberater sagen, vergleiche dich nicht!»

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