Trotz Corona: Die BBC-Proms finden statt - auf dem Sofa
Das Wichtigste in Kürze
- Wie gestaltet man ein klassisches Musikfestival zur Krisenzeit? Vor dieser Frage stand die britische BBC ausgerechnet im 125.
Jubiläumsjahr ihrer beliebten Promenadenkonzerte (Proms). Die Lösung: Virtuelle Orchester, Plünderung der Archive und Flexibilität bis zur letzten Minute.
Die «Fantasie-Proms», wie sie deshalb getauft wurden, starten an diesem Freitag (17.7.) Allerdings ohne die «Prommers», die jährlich mit Stehkarten Klassik zum Spottpreis geniessen, noch sonstigem Publikum. Die Samtsessel im Rondell der Royal Albert Hall bleiben leer. Und auch bei der «Last Night» muss vor dem Fernseher zu Hause mitgesungen werden.
Um das jährliche achtwöchige Spektakel nicht der Corona-Krise zu opfern, hat sich die BBC ein alternatives Konzept einfallen lassen. Sie verspricht, den «Geist der Proms» in die eigenen vier Wände der Zuhörer zu übertragen. Sechs Wochen lang werden aus der reichen Schatztruhe des BBC-Archivs über Radio und TV Highlights aus der Geschichte der Konzerte geboten. Danach sollen in einem zweiwöchigen Finale weltberühmte Künstler und Musiker live auf die Bühne kommen. Ihre Auftritte, sowie die «Last Night» am 12. September, werden, wie üblich, im Fernsehen übertragen. «Die BBC hat hier ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert», kommentierte der «Daily Telegraph».
Die Organisatoren wollen bis zur letzten Minute flexibel bleiben. Ein festes, und schon gar gedrucktes, Programm für die letzten zwei Wochen gibt es nicht. Für Sakari Oramo, den finnischen Chefdirigenten des BBC-Sinfonieorchesters, bedeutet dies Unsicherheit bis zuletzt. «Ich arbeite an vier verschiedenen Optionen für den ersten Abend», sagte er in einem BBC-Interview.
Noch sei nicht klar, wie viele Musiker am 28. August auf der Bühne stehen dürften, ob gesungen werden dürfe, oder welche Abstände eingehalten werden müssten. Gemeinsame Proben gab es nicht. «Wir haben es mit ständig wechselnden Regeln zu tun. Dafür habe ich Verständnis, aber es hat natürlich grosse Auswirkungen auf das Programm.»
Eine Atmosphäre wie bei früheren Proms werde es kaum geben, fügte der Dirigent hinzu. «Aber wenn die Musik erst einmal spielt, wird sie uns dort hintragen, wo sie gebraucht wird.» Wichtig sei, dass die Musik «die Turbulenzen der letzten vier Monate» reflektiere, so Oramo.
Die Saison wird an diesem Freitag mit einer Weltpremiere des britischen Komponisten und Pianisten Iain Farrington (43) eröffnet. Zum Beethoven-Jahr bietet er ein Arrangement (mash-up) aus allen neun Beethoven-Symphonien. Die Beiträge der 350 Mitglieder seines «BBC Grand Virtual Orchestra» wurden separat zu Hause einstudiert und aufgenommen.
Auf dem Programm der letzten zwei Wochen stehen so grosse Namen wie Dirigent Simon Rattle, Violonistin Nicola Benedetti, Cellist Sheku Kanneh-Mason und Sitar-Künstlerin Anoushka Shankar. Die «Last Night», bei der Mitsingen und patriotisches Fahnenschwenken dazu gehören, ist fest in Frauenhand: Die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz folgt dem Taktstock der jungen finnischen Dirigentin Dalia Stasevska, die einmal von sich sagte: «Die Oper war mein Punk.»