Unveröffentlichte Kafka-Zeichnungen in Jerusalem
Franz Kafka erlangte mit Romanen wie «Der Prozess» erst nach seinem Tod Weltruhm. Nun ist ein jahrelanger Rechtsstreit um den Nachlass seines Freundes Max Brod zu Ende gegangen - und dadurch sind neue Dokumente Kafkas aufgetaucht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die filigranen Gesichter und Figuren sind mit schwarzer Tinte und Bleistift gezeichnet.
Manche scheinen fröhlich, manche depressiv. Sie sehen aus wie Skizzen, die der Schriftsteller Franz Kafka schnell aufs Papier malte.
«Hingeworfene Kritzeleien könnte man es vielleicht auch nennen, aber dennoch von Kafka, die völlig unbekannt sind», sagt der zuständige Archivar der israelischen Nationalbibliothek, Stefan Litt, am Mittwoch in Jerusalem.
Nach jahrelangem Rechtsstreit hat die Nationalbibliothek die bisher unveröffentlichten Zeichnungen Kafkas (1883-1924) sowie Briefe und weitere Dokumente präsentiert. Sie sind Teil des Nachlasses von Kafka-Freund Max Brod (1884-1968). Die umkämpften Briefe, Manuskripte und Zeichnungen hatten sich zuletzt in Banksafes in Zürich befunden.
«Wir haben jetzt also somit den letzten Teil des Nachlasses von Max Brod bekommen und vielleicht den wertvollsten Teil», sagt Litt. Vor rund zwei Wochen seien die 60 Mappen mit Originaldokumenten nach Jerusalem gekommen. Insgesamt handele es sich um Tausende Seiten. Darunter habe sich ein Übungsheft für Hebräisch von Kafka befunden, ein Heft mit Skizzen von Kafka, Dutzende Briefe von Kafka an Brod sowie drei Versionen der Kafka-Erzählung «Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande».
Litt erhofft sich von den Kafka-Zeichnungen neue Erkenntnisse über dessen Persönlichkeit. «Manchmal kann man einen Menschen in Bildern mehr entdecken als in geschriebenen Texten», sagt er. Alle Kafka-Dokumente, die nun aus der Schweiz kamen, sollen laut Litt spätestens Ende des Jahres im Internet zu sehen sein.
Brod war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der bekanntesten Vertreter der Prager deutschsprachigen Literatur. Sein Freund Kafka hatte ihn vor seinem Tod 1924 gebeten, seine Werke zu verbrennen. Brod brachte sie jedoch zur Veröffentlichung und Kafka erlangte posthum Weltruhm.
Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1939 aus Prag nahm Brod in einem Koffer die Werke seines Freundes mit ins damalige Palästina. Nach Brods Tod 1968 ging der Nachlass an seine ehemalige Sekretärin Esther Hoffe. Sie verkaufte einen Teil der Texte, darunter das Roman-Manuskript «Der Prozess», für etwa zwei Millionen Dollar. Es wird im Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt.
Einen anderen Teil bewahrte sie in Safes in Tel Aviv und der Schweiz auf. Nach ihrem Tod 2007 vererbte sie den Kulturschatz an ihre Töchter, die inzwischen beide gestorben sind.
2016 entschied bereits Israels Oberstes Gericht, dass der gesamte Brod-Nachlass der Nationalbibliothek gehöre. Jüngst hatte nun auch ein Gericht in der Schweiz festgelegt, dass die Teile des Nachlasses, die sich in Banksafes in Zürich befanden, ebenfalls an Israel übergeben werden müssen. Damit ging der elf Jahre dauernde Rechtsstreit zu Ende.
Im Mai hatte Deutschland zudem rund 5000 Seiten aus dem schriftlichen Nachlass von Brod der israelischen Nationalbibliothek übergeben. Die Dokumente waren in Tel Aviv gestohlen und unter dem Verdacht, Hehlerware zu sein, 2013 in Deutschland beschlagnahmt worden. Zu den Dokumenten gehört auch eine Postkarte von Kafka an Brod.
Die Papiere waren vermutlich aus der Wohnung Esther Hoffes in Tel Aviv gestohlen und unter anderem dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach zum Kauf angeboten worden. Ein Gericht sprach sie dem Brod-Nachlass zu, der in der israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem aufbewahrt wird.