Vor zehn Jahren starb Michael Jackson

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USA,

Die Popkultur der Gegenwart wäre ohne Michael Jackson nicht, was sie ist. Doch zehn Jahre nach dem Tod des Superstars liegt ein dunkler Schatten auf seinem Andenken.

Das Wichtigste in Kürze

  • Seine Musik ist nicht tot zu kriegen.
US-Popstar Michael Jackson im Jahr 2005. Foto: Mata
US-Popstar Michael Jackson im Jahr 2005. Foto: Mata - dpa-infocom GmbH

Es ist ein Werktag, unter der Erde Manhattans, die U-Bahn-Station «Grand Central». Die Massen strömen durch die Gänge, und an einer Seite steht eine Frau mit Mikro und Verstärker und singt Michael Jackson. Eine Frau ist stehen geblieben und nickt mit dem Kopf zum Takt. Daneben tanzt ein Kind an der Hand seines Vaters.

Hier in der New Yorker Subway scheinen die Diskussionen um den grössten Popstar aller Zeiten weit weg, fast so, als hätte es sie nie gegeben. Dabei ist Michael Jackson, dessen Tod sich am Dienstag (25.6.) zum zehnten Mal jährt, seit einigen Monaten so umstritten wie wohl noch nie. Das wirkt sich auch auf sein künstlerisches Erbe aus.

Zur selben Zeit steht auf dem Promenadenplatz in München die bronzene Statue des Komponisten Orlando di-Lasso. Die Menschen, die in den vergangenen Monaten wieder verstärkt zu ihr pilgerten, kamen aber wegen eines anderen Musikers. Denn der Sockel vor dem Hotel «Bayerischer Hof» wurde zum Michael-Jackson-Denkmal umfunktioniert, nachdem der Musiker 2009 im Alter von 50 Jahren durch eine Überdosis des Narkosemittels Propofol gestorben war.

Hier prangen - geduldet durch die Regierung Oberbayerns - Fotos, die den Superstar zeigen. Michael Jackson, diese einmalige Kunstfigur mit dem durch und durch gemachten Gesicht, der zwischen den Grenzen von Geschlecht und Ethnie zu schweben schien wie bei seinen Moonwalks rückwärts über die Bühne. Kürzlich noch zeigte ein Bild an seinem Münchner Altar Jacksons Gesicht und die markanten schwarzen Locken. Statt dem Mund aber stand da das Wort «innocent» (unschuldig).

Den Glauben an Jacksons Unschuld aber verloren in letzter Zeit viele, nachdem sie «Leaving Neverland» gesehen hatten, die mittlerweile weltweit bekannte Dokumentation von Regisseur Dan Reed. In ihr erzählen James Safechuck (41) und Wade Robson (36) schockierend und in schwer zu ertragender Detailtiefe, wie der Sänger sie sexuell missbraucht haben soll, als sie noch Kinder waren. Angefangen habe der Missbrauch, als er sieben war, sagt Robson in der Dokumentation. Es wird beschrieben, wie Jackson sich systematisch an die Kinder annäherte, schliesslich mit ihnen in einem Zimmer schlief und nach einer Zeit wieder abstiess. Robsons Mutter spricht von einem «Muster»: «Alle zwölf Monate hatte er einen neuen Jungen an seiner Seite.»

Doch während einige eingefleischte Fans in den Foren noch immer darüber brüten, wie sie die Welt von der Unschuld ihres Idols überzeugen können - schliesslich wurde «Jacko» nie von einem Gericht verurteilt - geht auch eine andere Debatte weiter. Darüber, ob man Jacksons Oeuvre angesichts der Vorwürfe noch geniessen darf. Sind Kunst und Künstler trennbar?

Es ist eine Frage, die die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren mehrfach und mit wechselnden Hauptdarstellen aushandeln musste, nachdem diese Stars schwer belastet wurden. Was passiert mit den vor Charme strotzenden Filme von Woody Allen? Und der Sensationsserie «House of Cards» mit dem begnadeten Kevin Spacey als Präsident Underwood? Sind die Witze des jüngeren Bill Cosby noch lustig? Kann man «I Believe I Can Fly» von R. Kelly trotzdem aufdrehen?

Im Fall von Jackson gab es diejenigen, die mit Boykottaufrufen reagierten. Doch Radios spielen Songs wie «Billie Jean», «Smooth Criminal» oder «Heal the World» weiterhin, bei Streaminganbietern bleiben sie im Programm. Für die Tour des Musicals «Beat it», von den Veranstaltern als «zweistündige Hommage» an das Pop-Genie beschrieben, werden nach wie vor Karten verkauft.

Und die Regierung von Oberbayern will den Michael-Jackson-Schrein in München trotz einiger Beschwerden weiter dulden: «Die im Raum stehenden Vorwürfe gegen den Künstler sind nach hiesiger Kenntnis bislang nicht bestätigt», teilte sie auf Anfrage mit. Der Broadway in New York bereitet sich derweil Medienberichten zufolge auf den Start eines grossen Michael-Jackson-Musicals im nächsten Jahr vor.

Das ist eine Entwicklung, die kaum überrascht, wenn man sich neben dem Werk auch die Wirkung des «King of Pop» anschaut. Viele beschreiben ihn als Star von solcher Grösse, wie sie vielleicht niemals wieder erreicht werden kann. Die einflussreichsten Frauen und Männer der Welt - Präsidenten, Könige und Diktatoren - hofierten Jackson, auch deswegen, weil er auf seine Weise noch mächtiger war als sie. Er spielte Touren vor Millionen und seine Konzerte waren so gross, wie das Fassungsvermögen der Stadien es zuliess.

«Larger than life» ist eine Beschreibung, die oft für Jackson verwendet wird - «überlebensgross». Und auch sein Lebenswerk ist genau das: zu gross und mächtig, um es ignorieren oder boykottieren zu können. «Ich würde sagen, dass es wahrscheinlich keinen anderen Künstler gibt, der so wichtig für die Populärmusik der Gegenwart ist wie Michael Jackson», sagt der «New York Times»-Kritiker Wesley Morris.

Andere Stars hätten ganze Karrieren auf seinem Lebenswerk aufgebaut. Britney Spears, Justin Timberlake, Bruno Mars oder The Weeknd würden ohne revolutionäre Alben wie «Bad» oder «Dangerous» heute anders klingen. Wenn man sie überhaupt kennen würde. Jacksons Tanz-Choreografien mit einer Masse von synchronen Tänzern wie bei «Thriller» sind damals wie heute State of the Art.

Eine der Fragen, in der vieles kulminiert, lautet: Können schreckliche Menschen grossartige Kunst machen? Liebhaber des genialen Komponisten, Antisemiten und Nazi-Lieblings Richard Wagner würden sie wohl genauso mit «Ja» beantworten wie diejenigen, die Pablo Picassos Malerei grossartig finden, obwohl er immer wieder als Mann beschrieben wurde, der Frauen in seinem Leben herabwürdigte.

Ähnliches dürfte auch für diejenigen gelten, die den König der Popmusik nach «Leaving Neverland» mit anderen Ohren hören. Auch wenn um die Person Jackson zehn Jahre nach seinem Tod heftig gestritten wird, so bleibt sein Lebenswerk doch der berühmte «Gamechanger». Oder wie Journalist Morris die wichtigsten Ereignisse der US-Neuzeit zusammenfasst: «Auf der einen Seite ist da die Mondlandung und auf der anderen der Moonwalk.»

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