Alain Berset als Europarats-Generalsekretär: Warum nicht?
Alain Berset will Generalsekretär des Europarats werden. Das sorgt für Wellen im ruhigen Januar-Teich der Schweizer Politik.
Das Wichtigste in Kürze
- Kaum aus dem Bundesrat zurückgetreten, hat Alain Berset schon ein wieder Amt im Auge.
- Er will Generalsekretär des Europarats werden – was für Kritik sorgt.
- Ganz abwegig scheint die Kandidatur indes nicht zu sein.
Er war der Mann mit dem Hut, der Corona-Maestro, der Skandal-Faktor im sonst meist biederen Bundesrat. Und dann war er weg. Aber nur für zehn Tage: Kaum aus dem Bundeshaus verschwunden, tritt Alain Berset schon wieder auf die Bühne, nota bene ohne selbst aufzutreten. Er kandidiere für das Amt des Generalsekretärs des Europarats, teilt das Aussendepartement von Kollege Ignazio Cassis mit.
Ja, darf, soll er das? Vier Punkte dazu.
1. Das Amt
Aha, da bekommt wohl einer von der Macht nicht genug und will jetzt auch noch in die europäische Liga aufsteigen. Könnte man denken. Ganz falsch ist der Gedanke sicher nicht, ganz abwegig der Vorgang aber auch nicht: Ein alt Bundesrat wird ja wohl kaum als nächstes Gemeindeschreiber von Gumschen im Saanebezirk werden wollen.
Als Generalsekretär würde Alain Berset seine Führungserfahrung ausspielen können. Ob er auf europäischer Ebene tatsächlich mehr Macht oder einfach nur mehr Prestige hätte, sei dahingestellt. Oder erinnern sie sich an eine Machtdemonstration von Marija Pejčinović Burić? Nicht? Sie ist nämlich aktuell Generalsekretärin des Europarats.
Vermutlich würde Alain Berset in Strassburg ähnlich viel Auswirkung auf unser tägliches Leben haben wie sein Freiburger ex-Amtskollege Joseph Deiss. Dieser war nach seiner Bundesrats-Zeit immerhin Präsident der Uno-Generalversammlung, ohne dass deswegen die Welt nun eine andere wäre. Viel nachhaltiger wäre demnach sein Erfolg, als erster Schweizer in der Zeichentrickserie «South Park» aufgetreten zu sein: Daran erinnern sich manche immerhin.
2. Der Zeitpunkt
So kurz nach dem Rücktritt und der angekündigten Erholungsphase gleich wieder anzutreten, könnte einen stutzig machen. Ob Alain Berset mal wieder, in der Tat, das eine gesagt und wir etwas anderes gehört haben, sei dahingestellt. Immerhin ist die Wahl des Europarat-Generalsekretärs erst im Juni und Amtsantritt erst im September.
Trotzdem: Nach dem ganzen Pandemie-Stress und Überstunden wegen bundesrätlicher Dauerverfügbarkeit muss man sich das ja nicht antun. Zum einen scheint Berset aber in Sachen Work-Life-Balance sehr gut organisiert zu sein. Zum anderen könnte so ein Sekretär-Job allenfalls etwas geordneter ablaufen als der eines Bundespräsidenten. Und eben: Bis im September bleibt ja noch genug Zeit für ein paar Ausflugs-Flüge.
3. Die Eignung
Weshalb aber sollte der Europarat Berset wählen und nicht den belgischen EU-Justizkommissar Didier Reynders oder den estnischen Ex-Kulturminister Indrek Saar? Weil nun mal wieder ein Nicht-EU-Land dran ist, zum Beispiel. Und weil Berset das Stellenprofil sicher erfüllt: Ex-Minister ist er, führen kann er, Sprachen spricht er, vernetzt hat er sich, die Dossiers sind ihm zumindest nicht fremd.
Was nicht heisst, dass er der ideale Kandidat sein müsste. Das soll bittesehr der Europarat entscheiden. Zum Beispiel würde die Geografie eher für den Esten Indrek Saar sprechen, nach (unter anderem): je drei Franzosen und Österreichern und je zwei Briten und Skandinaviern.
Argumente wie «aber er hat Westeuropa mal ‹Kriegsrausch› vorgeworfen» dürften dabei aber weniger schwer wiegen. Die Abgeordneten wissen sehr wohl, wie das gemeint war: Nämlich nicht im Sinne von «die Russen sind im Ukraine-Krieg die Vernünftigen».
4. Das Sprungbrett
Wie gesagt, das Amt des Generalsekretärs des Europarats ist jetzt nicht gerade glamourös oder weltbewegend. Obwohl, wer weiss, je nach Entwicklung der europäischen Krisenherde könnte es dereinst vorübergehend in den Mittelpunkt des Geschehens rücken.
Aber Alain Berset ist auch «erst» 51 Jahre alt, eine Amtszeit dauert fünf Jahre. Die drei letzten Generalsekretäre waren alle bei Amtsantritt schon älter: Burić 55, Thorbjørn Jagland 58 und Terry Davis 66. Selbst nach zwei Amtszeiten könnte Berset immer noch WHO-Direktor, Grossbank-Verwaltungsrat oder Zeichentrick-Figur werden.