Behörden verwirren mit veralteten Impf-Empfehlungen
Auf der Plattform impf-check.ch sollten Impfwillige die für sie gültigen Informationen erhalten. Nur: Je nach Kanton «gilt» etwas anderes.
Das Wichtigste in Kürze
- Ist eine Impfung empfohlen? BAG und Kantone verweisen dazu auf impf-check.ch.
- Je nach Kanton werden aber andere Daten abgefragt und es gelten andere Kriterien.
- Die Umsetzung neuer Empfehlungen verläuft schleppend, einige Infos sind gar falsch.
Kann, darf, soll ich mich gegen Covid-19 impfen lassen? Die Antwort darauf war vor allem in den Anfängen der Impfkampagne bisweilen schwierig.
Mal waren die Impfzentren bereit, der Impfstoff aber noch knapp. Mal wollten Eltern ihre Kinder impfen lassen, doch die Impfkommission EKIF hatte noch keine Empfehlung formuliert. Weil, beispielsweise, Swissmedic noch gar keinen Impfstoff zugelassen hatte.
Die Online-Plattform impf-check.ch sollte helfen, den Überblick zu bewahren und die Hotlines zu entlasten. Altersgruppen, Vorerkrankte und Berufskategorien wurden priorisiert nach Risiken und Systemrelevanz.
All das sind Tempi passati, seit mehr als genug Impfstoff vorhanden ist und die EKIF-Empfehlung lautet: «Alle Personen ab 5 Jahren können sich impfen lassen.» Der Impf-Check sollte nurmehr Formsache sein, mit Daumen rauf oder runter nach wenigen Klicks.
Impf-Empfehlung ja/nein? Kommt auf den Kanton an!
Gut, weiterhin müssen Fristen eingehalten werden – beim Booster, nach einer Genesung – und Immungeschwächte oder Ü80 erhalten besondere Beachtung. 3,8 Millionen sind geboostert und weitere 2,2 Millionen haben die Grundimmunisierung erhalten. Also sollte impf-check.ch, das offizielle Tool von BAG und den meisten Kantonen, meistens diese zwei Fälle unterscheiden müssen.
Dass dem nicht so ist, lässt die erste Frage im Online-Check erahnen. Statt nach Geburtsdatum oder vorgängig erhaltenen Impfungen wird zuerst abgecheckt, in welchem Kanton man sich impfen lassen wolle. Danach schlingert der geneigte Impfwillige je nach Kanton durch einen anderen, ausführlichen Fragenkatalog. Je nach Kanton ergibt der Impf-Check dann für ein und dieselbe Person eine Impf-Empfehlung oder ein «ist aktuell nicht möglich».
Irreführende und widersprüchliche Angaben
Ein Erwachsener mit zweiter Impfdosis im Januar und einem positiven Test Anfang Juni sollte einen Booster erhalten. So empfiehlt es zumindest die EKIF und so beteuern es die angefragten Kantone: Man halte sich an die Meinung von Impfchef Christoph Berger & Co. Liegt die letzte Impfung schon vier Monate zurück, ist die Auffrischimpfung innert 4 Wochen bis 3 Monaten empfohlen.
Diese Änderung hatte das BAG Anfang Juli kommuniziert und in den Impf-Empfehlungen für Fachpersonen blau hervorgehoben. Obwohl die Kantone die gleiche Plattform benutzen (impf-check.ch) konnte man sich Anfang August in einigen Kantonen trotzdem nicht boostern lassen. Unter anderem Genf, Wallis, Nidwalden und Graubünden beschieden ihren Bürgern «nicht möglich», Thurgau oder Luzern dagegen schon.
Einige Kantone machten auf Anfrage geltend, wer telefonisch oder per Email insistiere, erhalte sehr wohl einen Booster, trotz abschlägigem Check. Das BAG wie auch die Betreiber der Impf-Check-Plattform, Soignez-Moi.ch, verweisen auf die Verantwortung der Kantone.
Doch auch in den Erläuterungen zum Fragebogen wurde die Frist von 4 Monaten weiterhin genannt. Inklusive Link zum BAG für «Details», wo man aber die gegenteilige Information vorfindet.
Das BAG selbst schaffte es, auf bag-coronavirus.ch gar beide Richtlinien, die neue und die alte, direkt untereinander aufzuführen. Obschon sie sich diese widersprechen. Man werde dies aber umgehend berichtigen, denn die Information sei in der Tat veraltet.
Verschlankter Fragebogen führt zu fehlerhaftem Impf-Check
Bereits seit Dezember 2021 gilt die Empfehlung zur Impfung der Kinder von 5 bis 11 Jahren. Was damals galt, gilt nach der Omikron-Welle umso mehr: Viele Kinder haben sich mit dem Coronavirus angesteckt, bevor sie eine Impfung erhielten. Für sie ist eine Impfung aktuell nicht empfohlen, ausser bei chronischen Krankheiten oder bei engem Kontakt mit besonders gefährdeten Personen.
Leichtes Spiel für Impf-Check-Fragebogen-Bastler – müsste man meinen: Ist das Kind genesen, wenn ja, gehört es zu einer der beiden Gruppen? Doch einzig der Kanton Basel-Stadt fragt nach beiden Gruppen, alle anderen lediglich nach allfälligen chronischen Krankheiten. «Diese Frage wurde entfernt, da sie für die Priorisierung nicht mehr relevant war», heisst es dazu beim BAG.
Basel-Stadt dagegen habe diese Verschlankung des Fragebogens zunächst mitvollzogen. «Wir haben die Frage danach wieder eingeschlossen, weil wir sie nützlich fanden», teilt die Kommunikationsstelle des Kantons mit. Dieser Ansicht dürften auch immungeschwächte Eltern oder im gleichen Haushalt lebende Grosseltern, Geschwister und so weiter sein. Es ist davon auszugehen, dass dies nicht nur für Personen im Kanton Basel-Stadt zutrifft.
Kantone haben «individuelle Bedürfnisse» beim Impf-Check
Bei anderen Optimierungsvorschlägen hat es offenbar bedeutend mehr Widerstand gegeben. So wird das Geschlecht abgefragt, obwohl dieses bei der Impf-Empfehlung für 5- bis 11-Jährige keine Rolle spielt. Logischer wäre zudem, zuerst die Frage nach einer Genesung zu stellen. Danach, und nur bei einem «Ja», könnten dann chronischen Krankheiten abgefragt werden (und immungeschwächte Kontakte).
Dies sei geprüft worden, heisst es beim BAG. «Eine Umstellung hätte jedoch nicht für alle Kantone gepasst, da sie die Priorisierungsregeln gemäss ihren individuellen Bedürfnissen erstellt haben.» Diese werden offenbar höher gewichtet als individuelle Bedürfnisse von durch das Coronavirus gefährdeten Immungeschwächten.
Bund und Kantone versprechen Besserung
Von Nau.ch auf die Widersprüche und ungleiche Handhabung der EKIF-Empfehlungen aufmerksam gemacht, teilt das BAG mit, es tue sich etwas. Seit Anfang August werde die einen Monat zuvor kommunizierte Änderung nun für alle Kantone umgesetzt.
Tatsächlich ändern zunächst Genf, dann auch das Wallis und Nidwalden ihr Vorgehen. Freiburg verspricht, die Änderung sei «in Bearbeitung», Graubünden reagiert bis jetzt nicht auf diesbezügliche Fragen.
Offen bleibt, warum jeder Kanton eine solche Änderung separat für sich beschliessen und umsetzen muss. Denn gleichzeitig schwören alle, sich an die EKIF-Vorgaben zu halten.
Offen ist auch, warum man zunächst diesbezügliche Fragen nicht verstehen wollte oder das bisherige Vorgehen verteidigte. Ein Kanton gibt zu, selbst nicht zu wissen, warum bei impf-check.ch andere Kriterien angewandt wurden.
Nicht einleuchtend ist, warum die Umsetzung je nach Kanton über einen Monat auf sich warten lässt. Der Impf-Check will Impfwilligen als Wegweiser durch den Empfehlungs-Dschungel dienen. Er sollte nicht voraussetzen, dass man den Empfehlungs-Dschungel bereits durchblickt.
Auf sich warten lässt auch die Korrektur bei bag-coronavirus.ch, wo nach wie vor zwei verschiedene Regelungen angezeigt werden. Hat in der Vergangenheit der Impf-Check in anderen Szenarien als dem doppelt geimpften Erwachsenen stets die aktuellen Kriterien angewandt?
Immerhin behauptet der Kanton Basel-Stadt, diese Booster-Bedingung stimme: «Ihre letzte Covid-19-Infektion liegt weniger als 6 Monate nach ihrer letzten Impfung zurück.» Also etwa drei Monate nach wie vor der Impfung, wäre gestern schon übermorgen Termin?