Christlicher Fundamentalismus auf dem Vormarsch?
Religiöser Extremismus hat viele Gesichter. Eine unterschwellige, hierzulande kaum als Extrem wahrgenommene Form ist der christliche Fundamentalismus.
Das Wichtigste in Kürze
- Religiösen Extremismus gibt es in vielen Religionen, auch in der christlichen.
- Christliche Fundamentalisten lehnen sexuelle und reproduktive Rechte oft vehement ab.
- Trotz allgemeinem Mitgliederschwund erleben evangelikale Vereinigungen oft einen Zulauf.
Neben dem vielbeachteten und öffentlich debattierten islamischen Fundamentalismus, der zuweilen auch extremistische Vereinigungen hervorbringt, findet das Pendant westlicher Gesellschaften oft nur wenig Beachtung. Das Gedankengut des christlichen Fundamentalismus ist höchstens aus extremen Ausprägung in den USA oder aus Polen bekannt.
Bei allen Formen des religiösen Fundamentalismus – christlich wie islamisch – bestehen oft Bestrebungen, entsprechende Überzeugungen und Wertevorstellungen im gesellschaftlichen und politischen System zu verankern. Christliche Fundamentalisten etwa vertreten bei Themen wie Sterbehilfe oder sexuellen und reproduktiven Rechten – Homosexualität, Abtreibungen – oft extreme, exkludierende Standpunkte und versuchen diese, mit verschiedensten Mitteln zu verbreiten und politische Machtpositionen zu erlangen.
Antimodernismus, von der Wahrheit abgekoppelt
Der «Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen» zufolge zählt zu den Merkmalen des christlichen Fundamentalismus unter anderem die Behauptung absoluter und unerschütterlicher objektiver Glaubensfundamente. Dazu kommen Antimodernismus, die Abkopplung vom Wahrheitsbewusstsein und ein daraus resultierender Dualismus der Weltanschauung.
Innerhalb des christlichen Fundamentalismus gibt es noch weitere Unterströmungen, wie den protestantischen oder den katholischen Fundamentalismus. Darüber hinaus existiert insbesondere in Amerika eine ganze Reihe entsprechender Gruppierungen, die wissenschaftliche Erkenntnisse teils komplett leugnet. Das Intelligent Design sowie Kreationismus etwa lehnen die Evolutionstheorie vollständig ab und gehen stattdessen von einem Weltenschöpfer aus.
Auch wenn im deutschsprachigen Raum die extremen Christen nie wirklich Fuss gefasst haben, existieren im europäischen Ausland durchaus politische Parteien, die extreme christliche Standpunkte vertreten. Teils kooperieren diese mit fundamentalistischen Gruppierungen oder lassen sich von deren Gedankengut beeinflussen, wie es beispielsweise bei der polnischen PiS-Partei der Fall war.
Christlicher Fundamentalismus auf dem Vormarsch?
Wie der «Humanistische Pressedienst» berichtet, wird zwar der christliche Fundamentalismus aufgrund der Dominanz kirchlicher Einflussnahme im öffentlichen und politischen Raum weitestgehend an den Rand gedrängt. Durch die Zunahme von Kirchenaustritten weltoffener Menschen bleiben jedoch in den Gemeinden die eher strenggläubigen Vertreter zurück.
Einige Evangelikalen-Verbände verzeichnen sogar einen Anstieg der Mitgliederzahlen. Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA etwa, ein Verband evangelischer Landes- und Freikirchen, Organisationen und Einzelpersonen mit evangelikaler Ausrichtung, vertritt nach eigenen Angaben schweizweit 200'000 Christinnen und Christen. Internationale Evangelikalen-Verbände bringen es weltweit sogar auf 600 Millionen Mitglieder in 143 Ländern.
Evangelikale Freikirchen in der Schweiz werden beispielsweise mit sogenannten Konversionstherapien in Verbindung gebracht, nach deren Konzept Homosexualität einfach wegtherapiert werden kann. Verschiedene europäische Staaten haben bereits Verbote von Konversionstherapien eingeführt, darunter Deutschland, Frankreich und Griechenland. In weiteren Staaten sind entsprechende Gesetzesentwürfe in Arbeit, beispielsweise in Spanien. Die Schweiz hat ein solches Verbot im März gekippt.