Claude Longchamp: «Freedom Day lässt wohl weiter auf sich warten»
Seit zwei Jahren beschäftigt das Coronavirus die Schweiz. Claude Longchamp zieht im Talk eine Zwischenbilanz – und wagt auch Prognosen für die nahe Zukunft.
Das Wichtigste in Kürze
- Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie macht Politologe Claude Longchamp ein Zwischenfazit.
- Insgesamt habe die Regierung die Krise gut gemeistert, wenn auch mit ein paar Fehlern.
- Schnelle, baldige Lockerungen erwartet Longchamp nicht, der Bundesrat bleibe vorsichtig.
Claude Longchamp kann sich zu den Glücklichen zählen: Der Schweizer Politik-Guru entging bisher einer Covid-Infektion. Als Diabetiker gehöre er aber zur Risikogruppe und habe sich «überdurchschnittlich vorsichtig» verhalten.
Aktuell hilft aber auch das vielen nicht mehr: Mit der Dunkelziffer stecken sich gemäss Schätzungen des BAG wohl über 100'000 Personen pro Tag mit der Omikron-Variante an.
Trotz rekordhohen Fallzahlen bleibt der Bundesrat aber seit Wochen unbeeindruckt. Das brachte ihm über die Festtage Kritik von links ein. Nun werden die Rufe von rechts wieder lauter, die Massnahmen aufzuheben.
Bundesrat wird wohl keinen «Freedom Day» ausrufen
Im Talk zur Pandemie-Zwischenbilanz gibt der Politologe der Landesregierung insgesamt gute Noten. Kritikpunkte sieht Longchamp in den relativ hohen Todesfallzahlen, der tiefen Impfquote und bei der spät angelaufenen Booster-Kampagne.
Dass der Bundesrat schon diese Woche die Rufe nach einem «Freedom Day» erhört, glaubt Longchamp nicht. «Er hat nie die Strategie einer raschen Öffnung verfolgt. Das wird wohl schrittweise und vorsichtig erfolgen.» Gut möglich sei indes, dass die Homeoffice-Pflicht früher als geplant (Ende Februar) aufgehoben werde, so Longchamp. Genau das kündete der Gesundheitsminister am Freitag auch an.
Damit würden Alain Berset und Co. die Warnungen der wissenschaftlichen Taskforce in den Wind schlagen. Diese mahnt weiterhin zur Vorsicht. Allerdings geriet sie einmal mehr in die Kritik, weil die schlimmsten Befürchtungen (bis zu 300 neue IPS-Patienten pro Woche) einmal mehr nicht eintrafen.
Der Polit-Experte stellt klar, dass die Rolle der Taskforce relativiert werden müsse. Die Berichte würden in die Entscheide einfliessen, nicht aber deren Prognosen, so Longchamp. In diese Richtung hat sich auch Berset selbst schon geäussert. Gerade seit prominente Experten aus dem Gremium ausgeschieden seien, gebe es nicht mehr einfach «die» Taskforce, sondern diverse Experten mit unterschiedlichen Meinungen.
Gesellschaft hat sich politisiert
Einige wünschen sich Lockerungen. Andere plädieren für eine «LowCovid»-Strategie. Deren Anhänger organisieren sich im Netz, kritisieren den Bundesrat lautstark – inklusiv Beschimpfungen. Longchamp schätzt, dass zwischen zehn und 15 Prozent der Bevölkerung zu dieser «vorsichtigen» Gruppe gehören, welche für harte Massnahmen eintritt.
In der Parteienlandschaft sieht Longchamp nach zwei Jahren Pandemie keine klaren Gewinner. Die SP habe zwischenzeitlich mit der Unterstützung des Gewerbes punkten können, die SVP teilweise mit Behörden-Kritik. Insgesamt sei in der Pandemie aber Regierung gefordert, nicht das Parlament.
Gerade für künftige Krisen sieht der Politologe hier Handlungsbedarf. Zwar sei das föderale Schweizer System auf Ausgleich bedacht, was die gesellschaftlichen Konflikte im Vergleich zu anderen Ländern im Rahmen gehalten habe. Die Pandemie habe aber Teile der Bevölkerung politisiert.
Die «Skepsis» gegenüber dem staatlichen Handeln habe zugenommen – egal ob man sich mehr oder weniger Intervention wünscht. Der Staat selbst müsse in künftigen Krisen seine Kommunikation verbessern, findet Longchamp.