Coronavirus: Alain Berset hofft auf «Normalität» im Frühling
Das Wichtigste in Kürze
- Bundesrat Alain Berset blickt voraus auf das Jahr 2021 und die Pandemie-Situation.
- Zum einen mahnt er: Es bleibt schwierig, denn die Pandemie bietet tägliche Überraschungen.
- Anlass zur Hoffnung bietet ihm die Impfung und der Gemeinsinn der Bevölkerung.
Die Schweiz lernt, sich mit der Pandemie zu arrangieren. Was bringt 2021, wann ist die «neue Normalität» normal und was müssen wir bis dann gelernt haben? Bundesrat Alain Berset sagt im Gespräch mit Nau.ch, wie das Leben mit dem Coronavirus weitergeht und worauf er für die Schweiz hofft.
Tägliche Überraschungen, Fehler und Zusammenhalt
Zwar haben wir jetzt eine – erste – Impfung. Andererseits tauchen immer wieder Virus-Variationen auf wie zuletzt diejenigen in Grossbritannien und Südafrika. Ist die Schweiz für alle Szenarien vorbereitet? Vom Gesundheitsminister gibt es diesbezüglich keine Entwarnung.
«Das Merkmal einer Krise ist die Ungewissheit und Unsicherheit: Wenn es keine Ungewissheit gäbe, gäbe es auch keine Krise.» Das verlange nach sehr viel Flexibilität und Bescheidenheit. «Es gibt jeden Tag eine Überraschung», erzählt Berset aus seinem Bundesratsleben. Nicht nur solche, über die viel gesprochen werde wie aktuell die Virus-Varianten: «Auch jeden Tag sonst, seit zehn Monaten, manchmal mehrmals pro Tag.»
Das brauche sehr viel Anpassungsfähigkeit: «Nicht nur für Bundesräte und die Bundesverwaltung, auch für die Bevölkerung.» Letztere sei jetzt müde von der grossen Last im 2020, aber bis jetzt habe man es gemeinsam aushalten können. Natürlich seien Fehler passiert und Probleme aufgetreten, aber gemeinsam werde man auch aus der Krise herausfinden.
Tönt hart, ist hart: «Es gibt keine Planungssicherheit!»
Keine falschen Versprechen – oder anders gesagt: Die nüchternen und nicht sehr aufbauenden Fakten – gibt es auch für die Wirtschaft. Mehr Planungssicherheit, weil wir jetzt «Corona können» und nicht über Nacht Verschärfungen oder Lockerungen beschliessen?
Fehlanzeige: «In einer Krise gibt es per Definition keine Planungssicherheit, die möglich ist. Das mag hart tönen und es ist hart und schwierig für die Betroffenen. Aber Planungssicherheit zu verlangen in einer Krise, das ist schlicht unmöglich.»
Er sei sich bewusst, wie hart das für Wirtschaft oder Kultur sei, betont Berset. Die Alternative sei, nicht das Unmögliche zu schaffen, sondern gute Unterstützung für die Betroffenen zu schaffen.
Wann geht es endlich aufwärts?
Die «neue Normalität» hat sich noch nicht wirklich eingestellt. Auch Alain Berset weiss nicht, wann es wieder möglich sein wird, «normal» am Abend im Restaurant zu essen. Aber er gebe gerne seiner Hoffnung Ausdruck.
«Ich habe den Eindruck, dass mit der Impfung – wenn keine neue, bösartige Überraschung kommt – wir eine gute Perspektive haben, im 2021 aus dieser Situation herauszukommen.» Das bedinge aber ein grosses Engagement der Bevölkerung, um sich impfen zu lassen. «Eine Impfung zu haben und sich nicht impfen zu lassen, das wird nicht helfen, die Krise zu bewältigen», mahnt Berset.
Immerhin ein bisschen lässt sich der Landesvater auf die Äste hinaus und macht der Bevölkerung Mut. «Ich glaube, ich bin nicht zu optimistisch, wenn ich sage: Der schwierigste Moment ist jetzt, Winter 2021.» Vielleicht noch ein paar Wochen, aber Ende des Winters habe er die Hoffnung, dass es besser gehe.
Wenig Verständnis für Impf-Skeptiker
Dazu muss Berset aber weite Teile der Bevölkerung erst mal davon überzeugen, sich impfen zu lassen. Die Debatte darüber sei ja erst am Anfang, relativiert er. Die Impfung sei gut, beim Zulassungsverfahren habe man keine Kompromisse gemacht, sondern die gleich hohen Standards wie immer angewandt.
«Wenn man da Zweifel hätte, würde man an allen Medikamenten zweifeln, die wir in der Schweiz haben», meint er mit vorwurfsvollem Unterton. Klar brauche es etwas Zeit und man beginne ja zunächst einmal mit den besonders vulnerablen Gruppen. Die Impfung werde helfen, aber das daure Wochen und Monate, vielleicht ein Jahr. «Aber dann, dann sollte sie uns wirklich zu einer besseren Situation verhelfen.»
Schulfach «Pandemie»?
Während der Gesundheitsminister mittlerweile Pandemie-Abläufe vor- und rückwärts aufsagen kann, muss er selbst Politiker-Kollegen die immergleichen Konzepte erneut erklären. Was sollten wir im 2021 definitiv gelernt haben? Exponentielles Wachstum, Mikrobiologie oder etwa das Präventions-Paradox?
Letzteres sei sicher wichtig, sagt Berset. «Wenn man die Prävention gut macht und die schlimmsten Ereignisse nicht eintreten, kann man nicht beweisen, was ohne Prävention passiert wäre.»
Berset stellt aber anderes in den Vordergrund: den Schutz vor Viren mit Hygiene und Abstand sowie das Zwischenmenschliche. «Solidarität ist kein leeres Wort – es war notwendig, solidarisch zu sein.» Es brauche eine gemeinsame Organisation, den Staat, um Gutes zu tun in der Gesellschaft und eine solche Situation zu bewältigen. «Der Staat ist da für die Bürger und nicht umgekehrt.»
Hauptsache besser als 2020
Noch weiter in die Zukunft geblickt denkt Bundesrat Berset, dass vor allem zwei Ereignisse im kollektiven Gedächtnis haften bleiben werden. Einerseits die Bilder von Anfang Jahr, vor allem aus Norditalien, mit den überlasteten Spitälern: «Das hat alle wirklich erschreckt.» Zum anderen die absolut leergefegten Strassen in Schweizer Städten Anfang April: «Das hat alle stark beeindruckt – mich auch.»
Angesichts der fortwährenden Unsicherheiten ist Bersets Neujahrs-Wunsch für die Schweiz ganz simpel: «Ein besseres Jahr als 2020.» Und, ganz der Sozialminister: dass der Gemeinsinn erhalten bleibe. «Wir waren füreinander da und das muss weiterleben, auch in der Zukunft.»