Coronavirus: Alain Berset zieht Bilanz über 2020
Bundesrat Alain Berset blickt im Nau.ch-Interview auf das Jahr 2020 zurück. Von allen Bundesräten stand er wegen des Coronavirus am meisten im Fokus.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Jahresbilanz von Bundesrat Alain Berset fällt nüchtern aus.
- Vom ersten Schweizer Fall bis zum Verlust der Einigkeit: Berset erinnert sich präzis.
- Einen Geheimtipp gegen Corona verrät er nicht, aber einen Hoffnungsschimmer: die Impfung.
Bundesrat Alain Berset stand 2020 noch mehr im Rampenlicht als in seinem Präsidialjahr 2018 – und er weiss noch genau, wie alles begann. «Jaja, sehr präzis: in Rom, in der französischen Botschaft, Ende Februar, etwa halb vier am Nachmittag.» Gesundheitsminister Berset erhält einen Anruf aus Bern: Die Schweiz hat ihren ersten bestätigten Corona-Fall.
Alain Berset: Kein Vergleich zum Amt als Bundespräsident
Dann kam die sprichwörtliche Welle ins Rollen, ausser dass die Welle sehr real war und im Herbst das Land auch noch ein zweites Mal überflutete. Alain Berset war vor allem während der ersten Welle der Kapitän der Schweiz. Mit mehr Einfluss und Macht als damals, als Bundespräsident? Berset winkt ab: Die Rolle als Präsident lasse sich nicht vergleichen mit der des Gesundheitsministers.
«Als Präsident oder Präsidentin, wie Frau Sommaruga dieses Jahr, muss man wirklich alles dafür tun, dass die Organisation gut funktioniert, auch im Bundesrat.» Das sei dieses Jahr hervorragend gelungen. Als Gesundheitsminister habe er lediglich die Entscheidsgrundlagen vorzubereiten und zu erklären. «Zu sagen, was wir wissen, auch was wir nicht wissen – ja, kommunikativ war das schon eine Herausforderung.»
Bei aller Bescheidenheit bezüglich seiner Rolle räumt Berset dann aber doch grosse Auswirkungen gerade bei den Bereichen seines Departements EDI ein. Anfangs sei die Pandemie hauptsächlich eine Gesundheitskrise gewesen. «Ich habe auch immer gewusst, mit den Sozialversicherungen, mit der Gesundheit und mit der Kultur, das sind schon Bereiche, die das Leben der Leute sehr stark beeinflussen können.»
Unmögliches wird möglich, der Bundesrat macht einfach seinen Job
Entscheide von grosser Tragweite treffen zu müssen und dazu kaum Bedenkzeit zu haben – kann man da noch ruhig schlafen? Ja, sagt Bundesrat Alain Berset, denn starke Unterstützung habe ihm geholfen. «Dank hervorragenden Teams im BAG, im Departement generell, in der gesamten Bundesverwaltung, war es möglich, Dinge zu tun, die vor einem Jahr noch unmöglich erschienen wären.»
Als Beispiel nennt Berset das aktuelle Beispiel der Virus-Variante in Grossbritannien. Während der Nacht habe man die vorgeschriebene Ämterkonsultation machen müssen – «und es war machbar»!
Die Kehrseite: «Es ist machbar, aber nicht für lange Zeit. Die Leute sind müde, generell im Land. Die 8,5 Millionen Menschen in der Schweiz sind wirklich hart betroffen durch diese Situation.» Der Bundesrat mache einfach seinen Job: dabeibleiben, beistehen, den Weg finden, ohne Aufregung, aber mit ständigem Engagement seit Monaten. Auch das könne man nicht ewig aufrechterhalten: «Wir hoffen schwer, dass es sich bessert im 2021.»
Demokratie in der Krise
Zu Beginn der Krise zogen auch alle am gleichen Strick, doch heute sieht das anders aus. Präzis erinnert sich Bundesrat Berset denn auch, wann die Einigkeit abhandenkam: «Ostern, ziemlich direkt.» Anders als der Bundesrat hätten die Leute es mit der Angst zu tun bekommen, die Diskussion rund um Lockerungen seien etwas kompliziert geworden. Aber nachtragend ist Alain Berset nicht: «Das ist die Schweiz!»
Der Föderalismus meldete sich zurück, mit Kantonen, Parteien, Parlament: «Das ist eine gute Sache! Wir leben in einer Demokratie und diese müssen wir auch pflegen.» Es in einer Notlage allen recht machen zu wollen, berge zwar durchaus Gefahren, gibt Berset zu: «Wir müssen immer aufpassen, keine faulen Kompromisse zu haben.» Umgekehrt heisse in einer Demokratie zu leben eben auch, eine demokratische Unterstützung zu haben, denn «sonst funktioniert es nicht».
Erstaunlich: Kein Bundesrat positiv getestet
Emanuel Macron, Boris Johnson und natürlich Donald Trump haben sich mit dem Coronavirus angesteckt, aber kein einziger Bundesrat. Doch, leider nein: «Es gibt keinen Trick», betont Gesundheitsminister Berset, auch wenn wohl etwas Glück dabei sei. Einhaltung der Regeln lautet die Devise: «Hygieneregeln, Distanz, Maske», repetiert Berset aus dem Effeff. Aber auch ein Bundesrat gerät doch in Versuchung, die Händedesinfektion mal auszulassen, wenn er sich unbeobachtet fühlt?
«Vielleicht zu Hause», schmunzelt Berset, wird dann aber gleich wieder ernst. Mittlerweile desinfiziere er die Hände fast schon reflexartig und merke es nicht einmal mehr. Er wolle wirklich aufpassen, denn sein Ziel sei, in der Krise immer handlungsfähig zu sein. Deshalb befolge er die Regeln auch dann, wenn es niemand sieht: «Es schützt mich!»
Impfung als Silberstreif am Horizont
Die schwierigste Frage haben wir uns für den Schluss aufgespart. Bei all den negativen Schlagzeilen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Was ist das schönste Ereignis 2020? Da gelangt selbst der sonst gesprächige Alain Berset ins Grübeln. Aber da wäre ja noch der quasi neueste Abschnitt in der Pandemiebewältigung.
«Ein sehr schönes Ereignis ist jetzt die Zulassung für die Impfung und der Beginn der Impfung, das muss man schon sagen. Wir haben ständig dafür gearbeitet, schon im März, als noch niemand davon gesprochen hat. Das ist ein Erfolg: Wir haben eine gute Situation, gute Reservierungen, einen guten Kauf machen können, sind früher als andere. Das ist wohl die schönste Überraschung, die wir erwarten konnten.»
* Das Interview wurde kurz vor Weihnachten aufgezeichnet. Sehen Sie an Silvester Alain Bersets Ausblick auf das Jahr 2021.