Coronavirus: BAG-Mathys optimistisch, aber Mutanten-Gefahr bleibt
Vor dem Bundesrats-Entscheid über erste Lockerungen meldet sich das BAG zu Wort. Wie beurteilt es die sinkenden Fallzahlen trotz Mutation des Coronavirus?
Das Wichtigste in Kürze
- Das Bundesamt für Gesundheit nimmt vor der Bundesratssitzung Stellung zur Corona-Lage.
- Sehen die Experten Spielraum für erste Lockdown-Lockerungen oder wird dieser fortgeführt?
Die ganze Schweiz wartet wie gebannt auf den Mittwoch. Dann will der Bundesrat im Grundsatz festlegen, ob ab März wieder ein einigermassen normales Leben möglich ist. Der Druck auf die Landesregierung steigt.
Denn trotz einem zunehmend hohen Anteil der Mutationen des Coronavirus sinken die Zahlen täglich weiter. Am heutigen Point-de-presse auf Fachebene haben zwei BAG-Vertreter und eine Kantonsärztin die Entscheidgrundlage für den Bundesrat skizziert und sich Journalistenfragen gestellt.
Vorsichtiger Optimismus, keine «Pandemie in der Pandemie»
Dies sind die wichtigsten Aussagen: Die letzten Wochen geben Anlass zur Hoffnung, der grosse Vorbehalt bleiben die Virus-Mutationen. Diese, vor allem die britische Variante, haben einen immer grösseren Anteil an den Fallzahlen in der Schweiz. Dies bereitet den Experten Sorge, denn nach wie vor gelten die Mutanten als ansteckender als die bisherigen Viren. Daran habe sich nichts geändert.
Das BAG will indes nicht von einer «Pandemie in der Pandemie» sprechen, entgegen ihrem Chef Alain Berset. Leider ergäben die Daten und Erkenntnisse noch kein vollständiges Bild der neuen Situation. BAG-Experte Patrick Mathys macht indes klar: «Wenn wir morgen nichts mehr machen würden, dann braucht es also nicht viel Modellrechnung. Dann kann ich ihnen voraussagen, dass die Fallzahlen innert kürzester Zeit explodieren.»
Warnung vor übereilter Öffnung
Wie genau nun vorgegangen werden soll – das sei eine politische Frage, wiederholen die Experten eins ums andere Mal. Den Forderungen nach Öffnung der Läden wird entgegengehalten, dass es nie eine völlig faire Behandlung aller Branchen geben könne. Aber Lebensmittel und Schmuck seien nun mal nicht zu vergleichen.
Scharf verurteilt werden Aktionen wie diejenige in Einsiedeln SZ, wo Fasnächtler die Corona-Regeln missachtet haben. Aus epidemiologischer Sicht sei solches sicher «nicht ideal». An der Medienkonferenz teilgenommen haben Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle sowie Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, beide BAG, sowie Linda Nartey, Kantonsärztin Bern.
Das Protokoll
15.08: Was würde denn rein theoretisch passieren, wenn tatsächlich null Massnahmen ergriffen würden? Dazu muss Mathys diverse Annahmen treffen: Die Durchseuchung ist irgendwann erreicht und das Gesundheitssystem ist unendlich belastbar. «Dann würden die Fallzahlen explodieren und die Durchseuchung schnell erreicht». Allerdings vorausgesetzt, dass es keine Re-Infektion durch mutierte Viren gebe.
Nur sei das Gesundheitssystem nicht unendlich belastbar, darum würde es kollabieren. Die Folge seien schwere Verläufe und viele Todesfälle. «Es würden Tausende erkranken und es würden Tausende daran sterben.» Eine genauere Grössenordnung gibt Mathys nicht an.
15.02: Das müsse sich der Bundesrat morgen überlegen: Die Balance zu finden. «Dass wir in einem Zustand bleiben, wo wir mehr oder weniger konstant wenige Übertragungen haben. Das wird die ganz grosse Kunst sein», sagt Mathys. Es werde noch lange gewisse Barrieren für das Virus brauchen, bis die Herdenimmunität erreicht sei. Ziel sei ein stabiler Zustand mit gleichbleibenden oder gar sinkenden Fallzahlen.
«Wenn wir morgen nichts mehr machen würden, dann braucht es also nicht viel Modellrechnung. Dann kann ich ihnen voraussagen, dass die Fallzahlen innert kürzester Zeit explodieren», warnt Mathys.
15.00 Was spricht gegen die Öffnung aller Läden, wenn das Schutzkonzept eingehalten wird? «Es tönt immer so, als ob mit einem Schutzkonzept eine Übertragung nicht möglich sei», meint Mathys etwas schulterzuckend. Dem sei nicht so, aber ein Schutzkonzept minimiere sicher das Risiko der Übertragung. Wie man das bewerte, sei wiederum ein politischer Entscheid.
Dass es dabei zu Ungerechtigkeiten komme, sei seit Anbeginn der Pandemie so. Aber: «Lebensmittelläden brauchen wir halt doch etwas häufiger als Schmuckläden.» Dass das für den Einzelnen ein kleiner Trost sei, sei klar.
14.56: «Ja, wir haben den Eindruck, dass wir immer wieder das gleiche wiederholen», meint Masserey auf eine entsprechende Journalisten-Frage. Natürlich wünschte man sich ebenfalls eine klarere Perspektive und eindeutigere Daten. Man könne sich aber nicht erlauben, auf einen bestimmten Ausgang der Pandemie zu wetten.
14.55: Es folgen verschiedene Frage zu diversen Aspekten bei der Umsetzung der Massnahmen und deren Abfederung. Schliesslich auch noch einmal die Frage, ob nicht die ganze Schweiz das Massentest-Konzept Graubündens übernehmen sollte. Mathys bezweifelt, ob dies praktikabel wäre, insbesondere in dicht besiedelten Regionen.
Ob dies dennoch, auch bei grossem Aufwand, noch die finanziell günstigere Alternative sei, verneint Mathys. Schliesslich müsse man dann auch regelmässig nachkontrollieren. Auf die Nachfrage, dass dies in Wien ja anders sei, sagt Mathys: «Wir werden sehen, welchen Erfolg die Österreicher haben.» Er sei gespannt, abgesehen davon, dass es in der Schweiz auch noch rechtliche Fragen zu klären gebe.
14.42: Sind die Krankheitsverläufe bei den neuen Virentypen allenfalls milder – und damit wäre es ein Vorteil, sich wenn schon damit anzustecken? Das sei ein Trugschluss, erklärt Mathys. Es gebe keine Anzeichen für andere Krankheitsverläufe, weder schlimmer noch milder. Ausschlaggebend sei aber die höhere Übertragbarkeit, denn diese sorge eben zahlenmässig auch für entsprechend mehr schwere Verläufe.
14.39: «Sitzplätze sind nicht erlaubt», sagt Mathys zum Kantönligeist bei der Durchsetzung von Regeln bei Take-Aways. Wenn dies anders gehandhabt werde, bleibe dem BAG allerdings nur, die Kantone darauf hinzuweisen.
Ob im Unterland ähnliche Regelungen wie in Skigebieten möglich sein sollten: Dazu verweist Mathys wiederum auf den Bundesrat. Dieser werde dies ja eventuell morgen entscheiden.
14.37: Der illegale Fasnachtsumzug kommt zur Sprache. Ob es zusätzliche Handhabe der Behörden brauche, könne er nicht beurteilen, sagt Patrick Mathys. Aus epidemiologischer Sicht seien solche Ereignisse sicher Anlass zur Sorge.
Er verstehe sehr wohl die Frustration vieler, aber: «Das war sicher nicht ideal.» Er schliesst sich den einleitenden Worten von Nartey an, dass es trotz Corona-Koller jetzt Geduld brauche.
14.35: «Wir sprechen nicht von einer ‹Pandemie in der Pandemie›», sagt Masserey auf eine entsprechende Frage. Zwar sei dieser Ausdruck in der Vergangenheit benutzt worden. Es gehe aber um Viren-Typen, die einfacher übertragbar seien und darum besondere Aufmerksamkeit verlangten. In Kantonen wie Genf sehe man, wie fragil die Situation sei. Denn dort sei der Anteil des britischen Virus-Typs hoch und der Rückgang der Fälle arg abgebremst worden
14.32: Es entbrennt ein Streit zwischen einem Wirtschaftsjournalisten und Patrick Mathys über die Prognosen bei der Verdopplung von Ansteckungen. Teilweise geht es dabei um die Datengrundlage, teilweise auch um Formulierungen und die korrekten Begriffe in der Statistik. Mathys versucht zu erläutern, gelangt aber zur Einsicht: «Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei.»
14.25: Zurück zu den neuen Berechnungen der ETH: «Der Datensatz ist inkomplett», betont Mathy erneut. Die Verdoppelung bei den neuen Virusvariante nehme zu, und zwar deutlich. Ob sie effektiv bei sieben bis zehn Tagen liege, werde man in den nächsten Tagen erst definitiv sehen.
Auf Nachfrage bestätigt Mathys, dass noch diese Woche neue Berechnungen möglich sein sollten. Unabhängig davon müsse man davon ausgehen, dass die mutierten Viren Ende Februar oder Anfang März die Dominanz erreichen werden.
14.22: Die obligate erste Frage: Was ist mit Öffnungsschritten? Dazu ergreift Patrick Mathys das Wort und betont, dass dies ein politischer Entscheid sei. Aus epidemiologischer Sicht will er sich auch nicht festlegen, aber es sei eine äusserst schwierige Abwägung. Es komme auf die Situation in den nächsten Tagen an, gleichzeitig bedeute jeder Öffnungsschritt das Risiko, dass die Zahlen wieder ansteigen.
Die eigentlich von den Fragestellern angesprochene Linda Nartey stimmt dem grundsätzlich zu. Sie habe nichts zu ergänzen.
14.21: Nartey betont, dass es nach wie vor noch viele Wissenslücken gebe, insbesondere auch bei den Mutationen. Es sei klar: «Niemand will es mehr hören». Aber es gelte weiterhin, Geduld zu haben, um im Sommer eine bessere Situation erreichen zu können.
14.17: Linda Nartey, Kantonsärztin von Bern, erhält das Wort. Die Impfaktionen seien teilweise leicht verzögert, würden aber stetig fortgesetzt, je nach Verfügbarkeit der Impfstoffe. Weiterhin sei man zuversichtlich, dass bis im Sommer alle Personen, die dies wünschten, geimpft werden können.
Sorgen bereitet Nartey, dass zunehmend auch die südafrikanische und brasilianische Virus-Variante relevant würden. Das verfolge man beim Contact Tracing dann genau: Wo hat sich eine Person aufgehalten, wo hat sie sich vermutlich angesteckt. Zunehmend sei es schwierig, die Übertragungsketen nachzuvollziehen.
14.15: Masserey betont, dass prioritär Risikogruppen geimpft werden. Hoher Blutdruck alleine genüge zum Beispiel aber nicht als Qualifizierung, sondern nur wenn zusätzliche Komplikationen bestehen.
14.12: Virginie Masserey geht auf das Impfprogramm ein. 880’000 Dosen der Impfung von Pfizer/BioNtech erhalten, über 600'000 seien an die Kantone ausgeliefert worden. Beim Impfen liege man im europäischen Vergleich zwar gut im Rennen, aber unter dem Mittel. 100'000 Personen hätten bereits die zweite Dosis erhalten.
14.10: Mathys geht kurz auf die Verfahren bei der Einreise aus einem Risikogebiet ein. Je nachdem, mit welchem Verkehrsmittel eingereist wird, gelten verschiedene Bestimmungen. Davon abgesehen gelte weiterhin, dass der Bundesrat von allen nicht dringend notwendigen Reisen abrate.
14.04: Neuste Daten der ETH zeigten, dass es auch hier Grund zur Hoffnung gebe. Allerdings habe man noch kein vollständiges Bild, weil noch nicht alle Zahlen vorhanden seien und mit einbezogen werden konnten.
6230 Personen haben sich mit einer der mutierten Varianten angesteckt. Grundsätzlich ist Mathys optimistisch, aber das Risiko sei schwierig abschätzbar. Er betont, dass speziell in Bezug auf die britische Variante, dass die bessere Übertragbarkeit der Mutanten nicht angezweifelt werde. Die Forschung hierzu laufe, aber die Evidenz deute derzeit auf höhere Ansteckungsraten hin.
14.00: Patrick Mathys beginnt mit Optimismus: «Die Schweiz macht es eigentlich gar nicht so schlecht.» Die Fallzahlen, Todesfälle und die Auslastung der IPS-Betten nähmen weiter ab – wenn auch nicht wahnsinnig rapide. Aber man könne beginnen, aufgeschobene Eingriffe nachzuholen.
Die Positivitätsrate bewege sich ebenfalls im von der WHO empfohlenen Bereich. Die Richtung stimme, aber: Der R-Wert bewege sich nach wie vor im Bereich zwischen 0,8 und 1, mit grossen Schwankungen. Das wolle man noch deutlich drücken, auch um eine möglichst ungestörte Impfkampagne zu ermöglichen.