Südafrika & UK: Warum Corona-Zahlen in freiem Fall sind
In den Corona-Hotspots Grossbritannien und Südafrika sinken die Fallzahlen mit Coronavirus trotz Mutationen rapide. Kann die Schweiz sich etwas abgucken?
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz Mutationen sinken in Südafrika und Grossbritannien die Fallzahlen.
- Die Massnahmen gegen das Coronavirus sind nicht gleich streng wie in der Schweiz.
- Gibt es ein Erfolgsrezept, dass sich die Behörden abgucken könnten?
Es sind sehr gute Nachrichten für Südafrika und Grossbritannien, nachdem die Zahl der Fälle mit dem Coronavirus steil nach oben schnellte. Das Gesundheitssystem beider Länder war am Anschlag, doch jetzt gehen die Zahlen ebenso steil nach unten.
Dies obwohl je eine Virusvariante dominiert, die weitaus ansteckender als die bisherigen ist. Und obwohl, anders als in der Schweiz, in Südafrika zum Beispiel Restaurants tagsüber öffnen dürfen. Auch Kinos dürfen eine begrenzte Anzahl Personen hereinlassen.
Ist der Schweizer Lockdown «schlechter»?
Der Präsident der Schweizer Task Force, Martin Ackermann, konnte auf Anhieb keine Erklärung liefern. Warum scheinen ausgerechnet diese beiden Länder erfolgreicher als die Schweiz zu sein? Eins-zu-eins vergleichen lassen sich Länder kaum, aber wenn sich Lehren ziehen lassen, kann das nur von Vorteil sein. Schliesslich ist die britische Virus-Variante in der Schweiz gerade erst auf dem Vormarsch.
Nimmt diese überhand, könnten die Fallzahlen mit Coronavirus sogar wieder steigen statt wie derzeit sanft sinken. Grund genug, sich die Situation in Südafrika und dem Vereinigten Königreich genauer anzuschauen.
Home alone in Grossbritannien
Der britische Premier Boris Johnson strotzt einmal mehr vor Selbstvertrauen. Er hat der EU ein Schnippchen geschlagen, indem er sich weitaus mehr Impfdosen sichern konnte. Mittlerweile konnten sämtliche Pflegeheimbewohner von mindestens einer ersten Impfung profitieren, sofern sie dies wollten. Impftechnisch sind wir heute dort, wo die Briten vor drei Wochen waren – und mittlerweile sind sie fast uneinholbar davongezogen.
Ein weiterer Faktor, warum Grossbritannien die Kurve gekriegt hat: Der Lockdown ist weitaus strenger als in der Schweiz. Je nach Region sind die Massnahmen mindestens bis am 19. Februar in Kraft (Wales) oder gar bis am 5. März (Nordirland).
Wie in der Schweiz ist der Detailhandel (ausser Lebensmittel, Apotheken etc.) und der Kultur-, Sport- und Unterhaltungsbereich geschlossen, ebenso Restaurants und Bars. Betroffen sind selbst Sportarten wie Reiten, Golf oder Bogenschiessen.
Sozial sind die Briten enorm eingeschränkt: Beerdigungen mit maximal 30 Personen, Hochzeiten noch maximal deren sechs. Grundsätzlich muss die Bevölkerung, von klar definierten Ausnahmen abgesehen, daheimbleiben. Es gilt Homeoffice-Pflicht, Joggen maximal mit Personen des gleichen Haushalts, auswärts übernachten nur mit Begründungen wie «Zügeln», «Flüchtling» oder «Profisportler».
Schulen geschlossen
Am einschneidendsten dürfte wohl aber die Schliessung sämtlicher Schulen und Universitäten sein. Welche der Massnahmen am meisten zur Senkung der Fallzahlen mit Coronavirus beiträgt, lässt sich schwer eruieren. Die britische Virus-Variante gilt aber als bei Kindern ansteckender als bisher üblich.
Die Schulen geschlossen hat auch Südafrika, nächste Woche sollen sie aufgrund der besseren Fallzahlen wieder öffnen. Zu Impfungen gibt es aus Südafrika keine gesicherten Angaben, was einerseits an der generell schlechteren Datenlage liegt.
Andererseits wurde die Impfkampagne vorübergehend abrupt gestoppt und umdisponiert. Denn die aktuellen Impfstoffe wirken unterschiedlich gut – oder unterschiedlich schlecht – gegen die Südafrika-Mutation. Obwohl Südafrika impftechnisch hinterherhinkt und das soziale Leben zumindest teilweise zulässt, sinken die Fallzahlen schneller als in der Schweiz?
Drakonische Strafen
Vergleicht man die Kurven der Länder, relativieren sich einige Unterschiede. Pro Million Personen hat die zweite Welle in Südafrika vergleichsweise wenige Ansteckungen mit Coronavirus verursacht. Auch hier dürfte die Datenlage eine Rolle spielen, umgekehrt ist auch in der Schweiz von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen.
So war einerseits der Pool der mit Coronavirus Angesteckten in der Schweiz viel grösser. Andererseits sind die Massnahmen in Südafrika in einigen Bereichen viel härter. Der Alkoholausschank wurde eingeschränkt, Grenzen praktisch geschlossen, wie erwähnt auch die Schulen. Zwar sind Kinos, Theater, Strände und Parks geöffnet, aber es gilt praktisch überall Maskenpflicht.
Sowohl im öffentlichen Raum wie in Betrieben ist die Maske obligatorisch, Arbeitgeber müssen maskenlose Angestellte am Betreten der Gebäude hindern. In Hotspot-Regionen gilt eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr. Bei Zuwiderhandlung gegen diese Regeln droht Busse oder bis zu sechs Monaten Gefängnis – oder beides.
Kann und will die Schweiz lernen?
Aus den Beispielen UK und Südafrika Strategien für die Schweiz abzuleiten dürfte nicht ganz einfach sein. So zeigt sich wohl, dass eine noch grössere Einschränkung der Mobilität tatsächlich einen grossen Effekt hat. Gleichzeitig müssen in jedem Land, für jede Massnahme auch Faktoren wie die Akzeptanz in der Bevölkerung berücksichtigt werden. Kommt dazu, dass die Länder in unterschiedlichen Punkten ihrer eigenen zweiten Welle mit der Impfkampagne begonnen haben.
Interessant wird sein, wie sich die absehbare Lockerung der Massnahmen vor allem in Südafrika auswirkt. Wird weniger auf Coronavirus getestet und steigt die Hospitalisierungs-Rate trotzdem? Kommt das Gesundheitssystem wieder in Nöte und wäre das im Schweizer Gesundheitssystem ähnlich? Die Erkenntnisse aus Südafrika und UK können wertvoll sein, deren Adaption auf Schweizer Verhältnisse muss aber nicht zwangsläufig Sinn ergeben.