Coronavirus: Experten und Datenschützer streiten über Download-Zwang
Mehrere Rechtsexperten sagen: eine Tracing-App könnte in Zeiten des Coronavirus für obligatorisch erklärt werden. Der Datenschützer stellt sich klar dagegen.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 11. Mai soll eine europäische Contact-Tracing-App veröffentlicht werden.
- Ständerätin Andrea Gmür und verschiedene Experten wollen sie für obligatorisch erklären.
- Der Widerstand in der Politik ist gross. Auch der Datenschutz sagt klar nein.
Die Forderung von Andrea Gmür (CVP) ist brisant. Die Luzerner Ständerätin und Fraktionspräsidentin der Mitte (CVP, EVP, BDP) will eine Downloadpflicht für die Contact-Tracing-App, die von der ETH mitentwickelt und am 11. Mai veröffentlicht wird. Gmürs Forderung stösst von links bis rechts auf Ablehnung und Entrüstung.
Was sagen Verfassung und Datenschützer?
Neben der Frage, ob die Schweiz die Downloadpflicht will, stellt sich auch die Frage, ob Verfassung und Datenschutz dies überhaupt zulassen würden. Und die Frage der Umsetzbarkeit. Schliesslich kann jede und jeder sein Handy beim Einkaufen und Spazieren einfach nicht mitnehmen.
«Es ist gut, dass der Bund auf die Kooperation und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger setzt. Einen Zwang könnte man ganz einfach umgehen, indem man das Handy zuhause lässt», sagt SP-Nationalrat Cédric Wermuth zu Nau.ch. Gmür sieht das anders: «Sicher ist man nie. Es gibt viele Gesetze, die man leicht umgehen kann. Und trotzdem halten sich die allermeisten Bürgerinnen und Bürger daran», sagt sie.
Eine Überschreitung der rechtlichen Möglichkeiten?
Auch zum rechtlichen Aspekt sind Gmür und Wermuth unterschiedlicher Ansicht. Der SP-Nationalrat sagt: «Es ist gibt verschiedene Ansichten darüber, was notrechtlich geht. Für mich wäre ein Zwang klar eine Überschreitung der rechtlichen Möglichkeiten.»
CVP-Ständerätin Gmür ist anderer Meinung. «Der Auftrag des Bundes ist in der Verfassung klar vorgeschrieben: Die Gesundheit des Volkes muss geschützt werden. Zudem wurde das Epidemiengesetz 2013 vom Volk angenommen.»
Rechtsgutachten erachtet Zwang als möglich
Im besagten Epidemiengesetz befindet sich ein Artikel, der Gmür recht geben könnte. Artikel 33 besagt nämlich: «Eine Person, die krank, krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig ist oder Krankheitserreger ausscheidet, kann identifiziert und benachrichtigt werden.»
Artikel 33 des Epidemiengesetzes findet auch in einem noch nicht veröffentlichten Rechtsgutachten Erwähnung, das Nau.ch vorliegt. Dieses kommt zum Schluss: «[...] Sämtliche gesetzlichen Grundlagen für eine behördlich angeordnete Pflicht zur Teilnahme an einem Digital Contact Tracing [sind] vorhanden.»
Datenschutzexperte David Rosenthal stellte in einem Webinar auf YouTube ebenfalls fest, dass ein Downloadzwang rechtlich ohne Weiteres möglich wäre. Und möglicherweise sogar sinnvoll: «Was, wenn der App-Zwang eingeführt wird, aber dafür der Lockdown aufgehoben wird?»
Bund und Datenschutzbeauftragter klar gegen Zwang
Rechtlich hätten Bundesrat und Parlament die Option auf einen Download-Zwang in der Zeit des Coronavirus möglicherweise. Dennoch gilt es als quasi ausgeschlossen, dass er eingeführt wird. Zu stark wird die Ablehnung in der Politik sein. Und zu gross der Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Verwaltung, die seit Wochen betont, alles werde auf Freiwilligkeit basieren.
Auch bei der «Task force Corona» des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) Adrian Lobsiger findet man klare Worte. «Die Freiwilligkeit in der Nutzung ist für uns ein zentrales Prinzip und in jeder Hinsicht zu gewährleisten (beispielsweise beim Download, Aktivierung, Bekanntgabe an Dritte)», sagt Mediensprecher Hugo Wyler zu Nau.ch.
Und betont: «Damit ist auch unsere Haltung bezüglich Meinungen, diese App sei – wenn auch nur temporär – als obligatorisch zu erklären, deutlich gemacht.»
Überdeutlicher Widerstand im Parlament
Diese Haltung hat Lobsiger auch in der gegenüber der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vertreten, die ihn zu ihrer Sitzung vorgeladen hatte. Mit grossem Erfolg, wie sich jetzt zeigt: 22 der 25 Kommissionsmitglieder stimmten für eine Motion an den Bundesrat. Der Support geht also quer durch alle Parteien.
Mit der Motion wird verlangt, dass zuerst die gesetzlichen Grundlagen für eine Tracing-App dem Parlament vorgelegt werden müssen. In diesem Gesetz müsse eines auch ganz klar definiert werden: «Die Anwendung der App hat freiwillig zu sein.»