Coronavirus: BAG-Mathys gibt Entwarnung für Intensivstation
Das Wichtigste in Kürze
- Die Taskforce warnte vor zwei Wochen vor verheerenden Folgen der Omikron-Welle.
- Bisher sind die Prognosen allerdings bei Weitem nicht eingetroffen.
- Am Point de Presse des BAG sind heute erneut zwei Vertreter anwesend.
Die Fallzahlen steigen weiter an, die Lage in den Spitälern entspannt sich aber gleichzeitig. Da der Bundesrat als oberstes Kriterium für die Corona-Massnahmen den Schutz des Gesundheitswesens heranzieht, fordern der Gewerbeverband und die bürgerlichen Parteien einen «Freedom Day» nächsten Mittwoch. An diesem sollen sämtliche Schutzmassnahmen fallen.
Ausserdem übten die Branchen-Verteter scharfe Kritik an der Taskforce. Deren «Horror-Szenarien» seien nicht eingetroffen, sie hätten nur «Panik und Angst» verbreitet. Dazu und zu der allgemeinen Entwicklung der Omikron-Welle nahmen Verteter des BAG und der Taskforce am Point de Presse Stellung.
Dies sind die wichtigsten Punkte:
- Patrick Mathys vom BAG gab vorsichtig Entwarnung für die Intensivstationen: «Eine Überlastung der Intensivstationen durch Omikron ist mit grosser Wahrscheinlichkeit in dieser Welle nicht mehr zu erwarten.» Die Entkoppelung der Fallzahlen von den Hospitalisationen könne das BAG derzeit nicht abschliessend erklären. Die Schweiz stelle diesbezüglich in Europa eine Ausnahme dar.
- Es sei zu früh, um in Euphorie zu verfallen und die komplette Aufhebung aller Massnahmen zu fordern. Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei laut Mathys noch nicht erreicht. Eine Lockerung der Massnahmen würde zu einer nochmaligen Beschleunigung des Infektionsgeschehens führen. Auch Taskforce-Vizepräsident Urs Karrer findet eine kompette Aufhebung der Massnahmen derzeit «keine vernünftige Strategie».
- In der Schweiz hat sich vergangene Woche gemäss Karrer wohl jede zehnte Person mit dem Coronavirus angesteckt. Bei 203'000 positiven Tests gehe er wegen der hohen Positivitätsrate von einer Dunkelziffer von Faktor 3 bis 4 aus.
- Karrer äusserte sich auch zur neu aufgetauchten Untervariante von Omikron, BA.2. Diese sei in der Schweiz bisher zehn Mal nachgewiesen worden, mit steigendem Anteil. Es gebe Anhaltspunkte, dass sich diese Variante noch schneller verbreitet als Omikron. Allerdings gebe es keine Hinweise für schwerere Verläufe.
- Die schlimmsten Befürchtungen der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes werden gemäss deren Vizepräsident wohl nicht Realität. Man werde sich wohl im unteren Bereich der Schätzungen bewegen.
- Trotz der Omikron-Welle könne sich die Wirtschaft momentan gut behaupten, sagte ETH-Professor und Taskforce-Vizepräsident Jan-Egbert Sturm. Zwar klagten rund 30 bis 45 Prozent über Personalausfällen wegen Omikron. Doch der Umsatz sei nur um etwa einem Prozent gesunken.
Hier finden Sie das Protokoll der Medienkonferenz:
14.55: Was ist überhaupt denkbar, wenn sich ein Freedom-Day demnächst politisch durchsetzen sollte? «Es wird eine Zunahme der Fallzahlen geben», so Mathys. Das will das BAG erst machen, wenn man mit Sicherheit sagen könne, ob man den Höhepunkt bereits erreicht habe.
Auch neben dem Schutz der Spitäler gebe es gute Gründe, die Verbreitung des Coronavirus auszubremsen.
Ausserdem stelle die Schweiz mit dem Verlauf der Omikron-Welle bisher einen Sonderfall dar. Man könne sich die Unterschiede zum Ausland nicht abschliessend erklären.
«Es braucht noch ein bisschen Geduld. Wir sind nun seit zwei Jahren in der Pandemie. Es wäre schade, jetzt wegen zwei oder drei Wochen die Situation, die wir geschaffen haben, zu verspielen.»
14.52: Karrer verteidigt das Modell, das die Taskforce am 11. Januar vorgestellt hat. «Heute wissen wir mehr als vor zwei Wochen.» Es heisse nicht, dass die Berechnungen falsch gewesen wären. Der Wissensstand steige während der Pandemie.
14.49: «Es ist durchaus denkbar, dass mehrere Varianten in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gleichzeitig kursieren», so Karrer. Doch eine so starke Delta-Welle, wie wir sie bereits erlebt haben, wäre sehr überraschend.
14.46: Sind die Labors noch überlastet mit PCR-Tests? «Wir sind an den Kapazitätsgrenzen», so Mathys. Pro Tag würden rund 100'000 Tests durchgeführt, das sei die Grenze des aktuell machbaren.
14.43: Die meisten Kinder sind erst an der Schwelle der zweiten Dosis. Da die erste Dosis kaum eine Wirkung gegen Omikron biete, zeige sich noch keine Wirkung der Kinderimpfung, so Karrer.
Macht es noch Sinn, die Kinder zu impfen? Da wir noch nicht wissen, was auf uns zukommen, mache dies Sinn, so Mathys. Eine Impfung sei eine sinnvolle Investition auf lange Sicht, da wir noch mit Covid werden leben müssen. Es gehe nicht nur um Omikron.
14.40: Könnte die Homeoffice-Pflicht aufgehoben werden, wenn es vor allem darum geht, die älteren und vulnerablen Menschen zu schützen? Es gehe um das Gesamtpaket der Massnahmen. Wenn man einzelne Schichten des Schweizer-Käse-Modells wegnehme, sinke der Schutz aller, so Karrer.
14.36: Wie ist die Lage in den Spitälern und was sagen die Modelle zu den nächsten Wochen? Man habe nun genauere und direktere Daten aus der Schweiz, als noch vor zwei Wochen, so Karrer. Die Wahrscheinlichkeit hospitalisiert zu werden sei seit Anfang November von 2 bis 2,5 auf 0,3 Prozent gesunken. Der Hauptgrund sei die steigende Immunität in der Bevölkerung.
Ein zweiter Faktor sei der gute Schutz der älteren Bevölkerung durch die Booster-Impfung und das angepasste Verhalten. Der dritte Grund seien die veränderten Eigenschaften der Omikron-Variante.
Man sei nun in Bezug auf die vor zwei Wochen mit ausländischen Daten skizzierten Modellberechnungen im unteren Bereich. Entscheidend sei, dass sich die älteren und vulnerablen Personen weiterhin gut schützen.
14.34: Die Taskforce sei breit aufgestellt mit Top-Experten aus verschiedenen Bereichen. Man sei überzeugt, einen wichtigen Beitrag zu einer kohärenten und wissensbasierten Pandemie-Bekämpfung zu liefern, so Karrer zur Kritik am Experten-Gremium.
14.32: «Ein Freedom-Day nächster Woche sehe ich absolut nicht als kluge Strategie ein», betont Karrer nochmals. Auch für die Branchen, die eine Öffnung fordern, wäre dies ein Schuss in den eigenen Fuss.
14.30: «Wir haben den Peak der Welle noch nicht erreicht. Wir verursachen unnötige, zusätzliche Schäden, wenn wir jetzt alles über Bord werfen und dem Virus freien Lauf lassen. Deshalb wäre dies aus epidemiologischer Sicht keine vernünftige Strategie.» Mit diesen Worten kommentiert Karrer die Forderung diverser Verbände und Parteien nach einer sofortigen Aufhebung aller Corona-Massnahmen.
14.28: Auch wenn durch Omikron viele Personen das Gefühl hätten, ein positiver Test sei für sie nicht relevant, empfehle das BAG weiterhin das Testen bei Symptomen. Ausserdem komme man nicht um den Test herum, falls man ein Zertifikat wolle, stellt Matyhs klar.
14.26: Die Fragerunde beginnt. Wie wichtig sind die Tests noch bei einer Abkoppelung der Hospitalisationen und Fallzahlen? Sie geben die Möglichkeit einer Abschätzung der Grössenordnung der Infektionen. Ausserdem sei es für die Behandlung der symptomatischen Patienten relevant, so Mathys.
14.23: ETH-Professor und Vizepräsident Jan-Egbert Sturm zeigt die Auswirkungen der Omikron-Welle auf die Wirtschaft auf. Zwar würden zwischen 30 und 45 Prozent der Unternehmen von Problemen berichten wegen Personalausfällen. Doch auf die Umsatzeinbussen habe dies nur einen geringen Effekt von etwa einem Prozent.
14.20: Karrer berichtet von zwei Untervarianten von Omikron, BA.1 und BA.2. Die zweite sei wohl ansteckender und könnte bald das Infektionsgeschehen in der Schweiz bestimmen. Allerdings führe sie wohl nicht zu schwereren Verläufen und könne den Immunschutz wohl auch nicht besser umgehen.
14.19: Die Zusatzbelastung durch Covid auf den Stationen der Spitäler sei weiterhin hoch. Eingriffe müssten derzeit weiterhin verschoben werden. Ausserdem sei ein Anstieg weiterhin zu erwarten, vor allem, falls sich die ältere Bevölkerung nicht mehr gut schützen könne.
14.17: Menschen über 60 Jahren seien von der Omikron-Variante bisher nur wenig betroffen. Dies könnte auf die Booster-Impfung, auf besondere Schutzmassnahmen etwa in Pflegeheimen oder auf vorsichtiges Verhalten der Betroffenen zurückzuführen sein.
14.14: Urs Karrer, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Winterthur und Taskforce-Vizepräsident, übernimmt das Wort. Der Anstieg der Infektionen habe sich verlangsamt, was zwei Dinge bedeuten könne: Der Höchststand der Omikron-Welle könnte in den nächsten Tagen oder Wochen erreicht sein. Oder die Grenze der Erfassung der Infektionen durch Tests sei überschritten.
14.10: Die Hospitalisationen hätten nicht mit den Fallzahlen zugenommen. Die Entkoppelung der beiden Werte könne derzeit nicht abschliessend erklärt werden. «Eine Überlastung der Intensivstationen durch Omikron ist mit grosser Wahrscheinlichkeit in dieser Welle nicht mehr zu erwarten.» Es sei aber zu früh, um in Euphorie zu verfallen und die komplette Aufhebung aller Massnahmen zu fordern.
Noch habe man den Höhepunkt nicht erreicht. Eine Lockerung der Massnahmen würde zu einer nochmaligen Beschleunigung des Infektionsgeschehens führen. Inwieweit dies eine Zunahme der Hospitalisationen in den Risikogruppen führen würde, könnte noch nicht abschliessend gesagt werden.
14.08: Der R-Wert liege weiterhin deutlich über 1, es sei von einem weiteren Anstieg der Fallzahlen auszugehen. «Es ist noch nicht davon auszugehen, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle jetzt bereits erreicht ist.»
Omikron habe mit rund 90 Prozent die Delta-Variante zwar verdrängt. Delta werde jedoch weiterhin zirkulieren, so Mathys.
14.04: In allen Altersklassen sei ein Anstieg der Fälle zu verzeichnen, ausser bei den 20-29-Jährigen. Doch in diesem Bereich sei die Inzidenz weiterhin am höchsten.
Neueste Trendrechnungen sagten einen weiteren Anstieg bei den Neuansteckungen voraus. Der R-Wert liege weiter signifikant über 1. Seit Montag seien über 36'000 Meldungen zu Neuinfektionen mit dem Coronavirus dazugekommen.
Tatsächlich ist gemäss Mathys allerdings davon auszugehen, dass sich in der Schweiz pro Tag etwa 100'000 Menschen mit dem Coronavirus anstecken. Die hohe Positivtätsrate bei Tests weise auf eine hohe Dunkelziffer hin.
Die Belegung der Intensivstationen nehme leicht ab, sei jedoch weiterhin auf sehr hohem Niveau. Rund ein Viertel der verfügbaren IPS-Plätze sei durch Covid-Patienten belegt. Es seien vor allem Delta-Patienten, eine Omikron-Infektion führe nur selten zu einer Behandlung auf der Intensivstation.
14.00: Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung BAG, beginnt mit dem Überblick über die aktuelle Covid-Lage. «Der Höhepunkt der Omikron-Welle scheint noch nicht erreicht zu sein. Die Hospitalisationen sind leicht rückgängig, die Todesfälle stagnieren auf tiefem Niveau.»
Taskforce warnte vor «Superinfektionswoche»
Am 11. Januar warnte die Taskforce vor den Folgen der «Superinfektionswoche». Während nur sieben Tagen könnten sich 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung mit dem Coronavirus anstecken. Tausende würde ins Spital eingewiesen, 300 Patienten müssten gar neu auf der Intensivstation behandelt werden.
Den genauen Zeitpunkt konnte Taskforce-Präsidentin Tanja Stalder nicht nennen. Doch der Höhepunkt der Omikron-Welle sollte irgendwann im Januar anstehen.
Coronavirus: Taskforce-Horrorszenario bisher nicht eingetreten
Auf Nachfrage von Journalisten präzisierte Stadler die Prognose. Die Bandbreite des Modells liege zwischen 80 und 300 IPS-Patienten. Bei den Spitaleinweisungen gehe sie von 1000 bis 10'000 aus. Bei den Berechnungen seien die Wissenschaftler von einem unveränderten Verhalten der Bevölkerung ausgegangen.
Das Horrorszenario der Taskforce ist glücklicherweise bisher nicht eingetreten. Die Zahl der Hospitalisationen ist zuletzt zurückgegangen und liegt bei rund 600 pro Woche. Die Auslastung der IPS nimmt bei den Corona-Patienten ebenfalls ab.
Die Infektionen mit dem Coronavirus steigen hingegen weiterhin an. Der 7-Tagesschnitt liegt aktuell bei über 39'000 neuen bestätigten Fällen pro Tag. Bei einer Positivitätsrate der Corona-Tests von über 40 Prozent ist von einer enormen Dunkelziffer auszugehen. Doch von den prognostizierten 860'000 bis 2,5 Millionen Infektionen (10 bis 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung) dürften wir allerdings noch weit entfernt sein.
Heute treten die Vizepräsidenten der Taskforce, Urs Karrer und Jan-Egbert Sturm, am Point de Presse des BAG erneut vor die Medien.
Folgende Fachleute nehmen teil:
- Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit, Bundesamt für Gesundheit BAG
- Urs Karrer, Vizepräsident National COVID-19 Science Task Force und Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital Winterthur
- Jan-Egbert Sturm, Vizepräsident National COVID-19 Science Task Force und Professor an der ETH Zürich