Coronavirus: Kantone veranstalten zum Schulstart Massnahmen-Chaos

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Die Massnahmen gegen das Coronavirus an Schulen hat der Bundesrat weitgehend den Kantonen überlassen. Der Flickenteppich zum Schulstart irritiert Eltern.

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Primarschülerinnen halten Kindermasken auf einem Pausenplatz einer Schule, aufgenommen am Montag, 3. Januar 2022 in Zürich. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Kantone haben sehr unterschiedliche Vorgaben bei Maskenpflicht und Reihentests an Schulen.
  • Die gemeinsame Empfehlung von Taskforce und Kinderärzten ist nur bedingt hilfreich.

Viele Kantone haben noch im Dezember gehandelt oder Massnahmen für den Schulstart im neuen Jahr im Voraus festgelegt. Die Omikron-Variante sorgt für Tausende Ansteckungen täglich, insbesondere auch unter Kindern. Isolation, Quarantäne und ausfallende Schulstunden wegen kranken Lehrern sind die Folge. Obwohl der Omikron-Tsunami über die Schweiz als ganzes schwappt, gelten je nach Kanton ganz unterschiedliche Regeln für Schülerinnen und Schüler.

Vorpreschen und Zögern bei Maskenpflicht

Im Gegensatz zu allen anderen «Innenräumen mit mehr als einer Person» sind im Bereich der obligatorischen Schulen die Kantone zuständig. Der Bundesrat macht lediglich Empfehlungen: Repetitive Tests und, wo nicht schon geschehen, die Einführung der Maskenpflicht auch an tieferen Stufen. Eine solche gilt ab der ersten Klasse in den Kantonen Zug und Luzern bereits seit Anfang Dezember.

Maskenpflicht Schule Coronavirus Omikron
Die Kantone handhaben die Maskenpflicht an Schulen sehr unterschiedlich. - Nau.ch

Weitere Kantone folgen nun, andere legen die Grenze auf die zweite bis neunte Klasse. Regional setzt sich der Flickenteppich fort: In Kantonen mit lascheren Regeln haben einzelne Gemeinde auch tiefere Altersgrenzen für die Maskenpflicht. Woher diese unterschiedlichen Beurteilungen kommen, ist schwierig nachzuvollziehen, denn die meisten Kantone haben ähnliche Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen. Die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) und viele Kantone beriefen sich in der Vergangenheit explizit auf die Masken-kritische Haltung von «Pädiatrie Schweiz».

Schwer verständliche Experten-Empfehlung

Der Verband für Kinder- und Jugendmedizin hielt im September fest, Maskenobligatorien an Primarschulen seien zu hinterfragen. «Sie werden den Gesamtverlauf der Pandemie kaum relevant beeinflussen», so die Begründung. Am Silvester-Nachmittag dann die Kehrtwende in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Taskforce und der Schwesterorganisation Kinderärzte Schweiz.

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Die Testpraxis an den Schweizer Schulen ist sehr unterschiedlich nach den Sommerferien. (Archivbild) - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY

Im Wortlaut: «Insbesondere bei hoher Inzidenz sollte das Tragen von Masken auch in gut belüfteten Umgebungen in Betracht gezogen werden.» Fragt sich nur, ab wann eine Inzidenz als «hoch» gilt und Maskenpflichten verordnet oder aufgehoben werden müssten. Wäre zumindest die aktuelle Inzidenz hoch genug, immerhin die höchste je in der Schweiz registrierte?

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Schülerinnen der Klassen 4b und 4c der Kantonsschule Wiedikon hüpfen Masken tragend auf dem Trampolin während des Sportunterrichts, fotografiert am 18. März 2021 in Zürich. - Keystone

Bildungsdirektoren, Schulleiterinnen und die Schweiz im Allgemeinen könnten sonst ja wenig mit der gemeinsamen Stellungnahme anfangen. Auf Nachfrage weiss auch «Pädiatrie Schweiz» darauf aber keine Antwort und verweist für diese «epidemiologische Spezialfragen» auf die Taskforce. Bei «Kinderärzte Schweiz», dem Verband der Kinder- und Jugendärztinnen in der Praxis, sagt Geschäftsführer Daniel Brandl: «Eine Empfehlung zum Maskentragen aufgrund der momentan hohen Fallzahlen kann sinnvoll sein kann, dies muss jedoch situativ angesehen werden.»

Reihentests: Völlig gegensätzliche Haltungen der Kantone

Gut möglich, dass lokale Unterschiede in der Kritik an der Maskenpflicht für Kinder ebenfalls eine Rolle spielen. Der Verzicht auf Masken an Schulen muss aber nicht zwingend heissen, dass die epidemiologische Lage völlig anders beurteilt wird. So führen einige Kantone schon ab der ersten Klasse wöchentliche Reihentests durch, verzichten im Gegenzug aber auf Masken. Andere wiederum tun beides, dritte wollen von Reihentests überhaupt nichts wissen.

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Kantone setzen Reihentest als Ergänzung oder Ersatz der Maskenpflicht, teils auf freiwilliger Basis. Einige verzichten auch ganz auf Tests an Schulen. - Nau.ch

So lässt sich der zuständige St. Galler Regierungsrat Stefan Kölliker zitieren, Reihentests seien ein «unangebrachter Eingriff in das Schulleben». Der Kanton Genf verzichtet, weil «im Genfer Kontext systematische Tests in Schulen nicht möglich sind». Andere verzichten unfreiwillig: Der Aargau musste die Pooltests an Schulen abblasen, weil mit den vielen Nachtestungen die Laborkapazitäten nicht mehr ausreichen.

Genervte Eltern

Während im einen Kanton die Reihentests als Mittel zur Vermeidung von Quarantänen oder Maskenpflichten gefeiert werden, werden sie andernorts verteufelt. Sind maskenlose, ungetestete Teenies in Schulen genügend geschützt, wenn national im ÖV und beim Shopping eine Maskenpflicht nötig ist? Eltern reagieren irritiert, wenn Nachbarkantone die Massnahmen an Schulen unterschiedlich handhaben, und seien die Differenzen noch so minim.

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Twitter-User «Gandralph» nervt sich über die vergleichsweise kleinen Unterschiede, wie Basel-Stadt und Baselland Maskenpflicht und Reihentests an Schulen handhaben. - Screenshot Twitter

Betrachtet man die Nordostschweiz, wird die Irritation verständlich. Der Kanton St. Gallen hat eine Maskenpflicht ab der vierten Klasse und will von Reihentests nichts wissen. Die von ihm umzingelten beiden Appenzell sind, wir wissen es, anders, aber weiss dies auch das Coronavirus?

In Appenzell Ausserrhoden gilt Maskenpflicht ab Sekundarstufe, Reihentests werden auf allen Stufen gemacht. Innerrhoden kennt keine Maskenpflicht und auch keine Reihentests.

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Maskenpflicht und Reihentests im Vergleich in ausgewählten Kantonen und auf Bundesebene. Der Kanton Neuenburg testet nur bei lokalen Ausbrüchen, Luzern und Ausserrhoden ab der 1. Klasse. - Nau.ch

Nicht etwa, weil die Innerrhödler nicht wollten, sondern weil sie nicht können. Auf ein flächendeckenden Test-Obligatoriums an allen Schulen werde verzichtet, weil es zu einer Überlastung der Logistik und Labors führe. Also gleich wie der Aargau, ausser schon Anfang Dezember und mit vierzigmal weniger Einwohnern. Aber ganz und gar nicht gleich wie Ausserrhoden.

Reihentests und Maskenpflicht an Schulen: Was gilt?

Als Kanton alles richtig zu machen bei den Corona-Massnahmen an Schulen, scheint nicht einfach. Die Taskforce schafft auf Nachfrage etwas Klarheit, was die Experten uns mit ihrer gemeinsamen Stellungnahme sagen wollen. Mit der hohen Inzidenz und hohen Zirkulation könnten Masken dazu beitragen, die Ansteckungen in Schulen zu vermindern. «Somit ist aus wissenschaftlicher Sicht in der aktuellen Situation die Indikation für Masken gegeben.»

Braucht es landesweit einheitliche Regeln für Massnahmen wie Maskenpflicht und Reihentests an Schulen?

«Wie es auch in unseren Nachbarländern schon länger der Fall ist», merkt Daniel Brandl von «Kinderärzte Schweiz» an. Zuletzt habe Frankreich die Maskenpflicht im ÖV ab 6 Jahren eingeführt. Nicht nur die Kantone, auch der Bund wären also in der Pflicht.

Auch eine erhöhte Testfrequenz wird empfohlen von den drei Institutionen. Genauer wird es aber nicht: Auf fixe Werte bei Inzidenz oder Dauer einer Welle als Kriterium wollen sich die Epidemiologen der Taskforce nicht festlegen. Weitere Faktoren seien ebenfalls zu berücksichtigen, wie Eigenschaften des Virus, Immunität oder lokale Gegebenheiten. «Die Entscheide liegen im Ermessen der nationalen, kantonalen und lokalen Behörden», lies: Alle haben recht.

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