Coronavirus: SVP fordert Rücktritt von Alain Berset
Die Behörden korrigieren den R-Wert des Coronavirus stark nach unten. Für die SVP ein «Skandal». Sie fordert den Rücktritt von Gesundheitsminister Alain Berset.
Das Wichtigste in Kürze
- Die ETH hat sich beim vom BAG publizierten R-Wert des Coronavirus massiv verrechnet.
- Für die SVP ist dies «einer der grössten Skandale der Schweizer Geschichte».
- Fraktionschef Aeschi fordert den Rücktritt von Gesundheitsminister Alain Berset (SP).
Die Schweiz befindet sich wieder im Lockdown. Beizen, Bars und Geschäfte sind geschlossen, das Treffen von Freunden und Familienmitgliedern ist weitgehend verboten. Mit diesen strikten, bis Ende Februar befristeten Massnahmen, will der Bundesrat die Ausbreitung des Coronavirus bremsen.
Doch wie geht es im März weiter? Entscheidend dafür ist gemäss Behörden die Entwicklung der Fallzahlen und des Reproduktionswerts R. Und dieser bewegte sich am Mittwoch nicht in die von allen gewünschte Richtung.
Kurz vor der Medienkonferenz von Gesundheitsminister Alain Berset verkündete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstmals seit November einen R-Wert von über 1. Die von der ETH berechnete Zahl bildet das Infektionsgeschehen von vor 10 bis 13 Tagen ab.
«Satz von Bayes»: BAG-Mathys spricht von «Pseudo-Exaktheit»
Gemäss den ETH-Schätzungen (R=1,01) steckten demnach am 22. Januar 100 Infizierte weitere 101 Personen an. Das würde im Endeffekt zu einem exponentiellen Wachstum führen. Nur: Die Fallzahlen für die entsprechenden Tage zeigten bereits am Mittwoch deutlich nach unten.
Selbst Alain Berset höchstpersönlich («Das ist eine sehr gute Frage, aber sehr kompliziert») und BAG-Chef-Kommunikator Patrick Mathys («das ist Pseudo-Exaktheit») konnten sich die offensichtliche Diskrepanz im Schaufenster der Öffentlichkeit nicht erklären.
Die Covid-19-Taskforce des Bundes lieferte auf Anfrage von Nau.ch eine Erklärung zur Berechnungsgrundlage. Mit Verweisen auf den «Satz des Bayes» und den «gamma-verteiliten Prior» stifteten die Wissenschafter aber eher Verwirrung denn Klärung in der von den Massnahmen betroffenen Bevölkerung.
Auch deshalb hinterfragten Bürger wie auch Politiker den veröffentlichten R-Wert von 1,01. Und tatsächlich: Zwei Tage später wurde die matchentscheidende Zahl auf der Webseite des BAG für den 22. Januar still und leise auf 0,92 korrigiert. Das ist ein signifikanter Unterschied.
Weil der Bundesrat den R-Wert für seine Corona-Entscheide immer wieder als Killer-Argument anführte, sorgt das für heftige Diskussionen. In der Tat erklärte am Mittwoch auch Berset selbst, dass der Lockdown unter anderem aufgrund des hohen R-Werts wohl auch im März weitergehen werde.
SVP-Aeschi: «Alain Berset ist nicht mehr tragbar»
Die grösste Partei der Schweiz kocht deshalb vor Wut. «Was unsere Behörden - egal ob BAG oder ETH - im Moment kommunikativ abliefern ist einer der grössten Skandale der Schweizer Geschichte», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi.
Bundesrat Berset wolle «die Bevölkerung weiterhin zwingen, ihre Wohnungen nicht mehr verlassen zu dürfen.» Und das tue der Gesundheitsminister «aufgrund offensichtlich falsch berechneter Daten.»
Deshalb fordere die SVP nun den Rücktritt des SP-Bundesrats. «Der sozialdemokratische Gesundheitsminister ist unter diesen Umständen und nach unzähligen weiteren Fehlleistungen nicht mehr tragbar», sagt Aeschi zu Nau.ch.
Bereits vor einigen Wochen forderte die rechts-konservative Partei, Alain Berset das Corona-Dossier zu entziehen. Nun lässt der SVP-Fraktionschef den «Krieg» mit dem Chef des Innendepartements komplett eskalieren. Dabei handelt es sich gemäss Kenntnisstand von Nau.ch keineswegs um einen Sololauf des Fraktionschefs, sondern um eine abgesprochene Partei-Offensive.
Damit profiliert sich die SVP einmal mehr als einzige Partei des Landes, welche die Restriktionen aufgrund des Coronavirus konsequent ablehnt. Gleichzeitig kritisiert die Sünneli-Partei damit aber auch ihr eigenes Personal. Mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin stellt sie nämlich den aktuellen Bundespräsidenten.
SVP poltert trotz Machtfülle in Corona-Zeiten
Gleichzeitig sind 2021 sowohl die Präsidien von National- und Ständerat in SVP-Hand. Und in den grössten Kantonen des Landes zeichnet sie mit Natalie Rickli (Zürich) und Pierre-Alain Schnegg (Bern) für die lokale Corona-Politik verantwortlich.
Das scheint Aeschi offenbar sekundär. Für den Fraktionschef ist klar: «Wir brauchen nun einen konsequenten Schutz der Risikogruppen sowie rigorose Corona-Tests an unseren Grenzen.» So sei eine Öffnung des Gewerbes – «unter Einhaltung strikter und funktionierender Schutzkonzepten» – ab Ende Februar «problemlos» möglich. Genau das fordere die SVP schon lange.
Ob der Bundesrat auf die Forderungen der SVP eingeht, zeigt sich spätestens am 17. Februar. Dann will die Landesregierung erklären, ob der aktuelle Lockdown bis in den Frühling dauert. Gemäss den jüngsten Äusserungen von Alain Berset dürfte das der Fall sein.
Steigert Briten-Mutation des Coronavirus den R-Wert?
Die Begründung des Freiburgers: Obwohl die Fallzahlen des Coronavirus sinken, stellt die britische Mutation eine grosse Gefahr dar. Diese ist gemäss jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich ansteckender als die «herkömmliche» Corona-Variante.
Sollte sich das auch in der Schweiz bewahrheiten, werden die Fallzahlen in den nächsten Tagen und Wochen massiv ansteigen. Dies würde auch einen direkten Einfluss auf die Reproduktionszahl haben.
Der jüngste von ETH berechnete R-Wert beträgt 0,88 für den 26. Januar. Allerdings unterliegt er einem relativ grossen Fehlerbereich (oder wissenschaftlich gesagt: Konfidenzintervall).
Dieser lag am Mittwoch gemäss Bundesrat Berset zwischen 0,86 und 1,13. Sicher ist: Die Reproduktionszahl dürfte in den nächsten Tagen weiter zu reden geben.