Credit-Suisse-Debakel: Ist das nicht mehr «meine» Schweiz?
Droht wegen der neuen Monster-Bank der Untergang der Schweiz, wie wir sie kennen? Ja. Und Nein. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Untergang der Credit Suisse bereitet vielen grosse Sorgen.
- Der Untergang der Schweiz "wie wir sie kennen" wird beschworen.
- Was für eine Schweiz kennen die denn? Ein Kommentar.
Die «neue» UBS hat eine riesige Bilanzsumme, sowohl nominal als auch im Vergleich zur Schweiz. In der Rangliste der grössten Banken käme sie ungefähr auf Rang 16. Nur befinden sich die Banken vor ihr allesamt in Ländern mit zwischen 68 Millionen und 1,4 Milliarden Einwohnern. Die Banken hinter ihr übrigens auch.
Und das ist ein Problem: Die Schweiz selbst werde zum Risiko, sie werde abhängig, könne nicht mehr neutral bleiben, die viel beschworene Stabilität sei dahin. So raschelt es im Blätterwald: «Ende der souveränen Schweiz», titelt «Die Welt». «Werden jetzt keine Konsequenzen gezogen, ist der liberale Wirtschaftsstandort Schweiz in akuter Gefahr», analysiert «CH Media».
Die Schweiz geht (schon wieder) unter
Jetzt mal halblang: Natürlich ist eine Super-Bank für einen Kleinstaat ein ziemlicher Hosenlupf. Ganz zu schweigen von den unmittelbaren Konsequenzen für Angestellte, KMUs, Investoren, Behörden, Politiker und andere bedauernswerte Mitmenschen. Wird die Schweiz bald eine andere sein? Gewiss, aber damit haben wir bereits Übung.
Das zeigt ein Blick ins Medienarchiv: «Das ist nicht mehr meine Schweiz» hiess es zum Beispiel schon 2007, bei der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. 2014 sowohl wegen der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative als auch wegen der Ablehnung der Ecopop-Initiative. 2015 wegen dem Stellenabbau von Rieter in Winterthur und 2016 wegen dem «versteckt-heuchlerischen Kapitalismus». Natürlich 2021: Wegen den Corona-Massnahmen.
Wird die Schweiz 2024 eine schlechtere sein als, sagen wir, 2006, oder 1996, oder 1848? Teils, teils. Dass die Konzentration im Bankensektor den Untergang der Schweiz bedeutet, ist aber eher unwahrscheinlich. Immerhin ist die Schweizer Volkswirtschaft weltweit auf Rang 22 – und das nicht nur wegen des Finanzsektors.
Die weltweit viertgrösste Pharmafirma (Novartis) ist im bevölkerungsmässig hundertersten Land zuhause, die fünftgrösste (Roche) grad auch noch. Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern (Nestlé) ebenfalls, genauso wie der weltgrösste Rohstoffhändler (Glencore). Aber werden wir davon auch wirklich satt?
Wir sind die grössten – und die besten
Wir könnten noch lange so weitermachen. Die grössten Uhrenhersteller Swatch und Rolex werden nur von Apple geschlagen. Der grösste europäische Halbleiterhersteller (STMicro) und der grösste Baustoffhersteller der Welt (Holcim) haben ihren Sitz in der Schweiz. Der fünftgrösste Erstversicherer (Zurich), der zweitgrösste Rückversicherer (Swiss Re) und der grösste börsennotierten Industrie- und Personenversicherer (Chubb).
Doch das ist nicht wirklich relevant (wir haben ja gut reden, haben wir). Wir waren auch schon mal führend in der Textil-, der Turbinen- und der Oldtimer-Industrie, als diese noch nicht Oldtimer hiessen. Aber wir haben uns eben auch angepasst, als Oldtimer Oldtimer genannt wurden und St. Galler Spitzen nur noch für Spitzenverdiener erschwinglich wurden.
Vielleicht geht es ja irgendwann auch ohne Banken, wer weiss. Aber apropos Spitzen: Deshalb belegt die Schweiz ja auch regelmässig Spitzenplätze im Innovations-Ranking. Was wiederum auch zu Spitzenplätzen im Lebensqualitäts-Ranking führt. Oder zum Top-Resultat im Ranking, das schlicht und einfach «Best Countries in the World» heisst.
Gefährdet der Finanzplatz die Stabilität?
All dies braucht ja aber auch einen funktionierenden Bankensektor? Ja, braucht es, aber es braucht dazu keine stabile Monster-Bank wie die UBS – bis jetzt ging es ja auch ganz gut ohne. Droht ein allfälliger Kollaps also nicht die Stabilität, die Neutralität und den Wohlstand der Eidgenossenschaft zu gefährden?
Offenbar nicht, sagten die Wirtschaftsexperten, als sie noch nicht völlig aus dem Häuschen waren wegen des Credit-Suisse-Debakels. Gemäss Economiesuisse sind die Erfolgsfaktoren der Schweiz unter anderem die Infrastruktur, Bildung und Forschung, Schutz der Umwelt, Steuerpolitik und stabile und funktionierende Institutionen. Banken oder nur schon der Finanzplatz werden nicht erwähnt.
Die Berater und Wirtschaftsprüfer von Deloitte sehen das ähnlich: «Politische Stabilität und Arbeitsmentalität entscheidend für Schweizer Wettbewerbsfähigkeit», fassen sie ihre Studie zusammen. Auf nur gerade fünf Faktoren kürzt eine weitere Analyse die Schweizer Erfolgsgeschichte zusammen.
Dies sind: Weltoffenheit; Innovation, Bildung und Unternehmertum; Föderalismus und Subsidiarität; landschaftliche Vielfalt und Schönheit; zentrale Lage. Nichts von Banken. Und das muss stimmen, schliesslich hat es ein CIO einer Bank geschrieben. Und wem soll man in solchen Fragen schon trauen, wenn nicht dieser Bank: Der Credit Suisse von 2022.