Darum geht's bei der grossen Vorsorgeschlacht im Bunde
Der Nationalrat hat am Mittwoch die von Bundesrat und Sozialpartnern vorgeschlagene Reform der zweiten Säule abgelehnt. Der Druck lastet nun auf dem Ständerat.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Parlament muss das Vorsorgesystem und die zweite Säule reformieren.
- Der Nationalrat stimmte aber gegen den Vorschlag der Sozialpartner und des Bundesrats.
- Nun lasten die Hoffnungen auf den Ständerat – oder auf dem Referendum.
Seit mehreren Jahrzehnten hat die Schweiz ihr Rentensystem nicht mehr aktualisiert. Das Parlament steht nun vor der Monster-Aufgabe, eine Reform der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge durchzubringen, kurz BVG.
Angefangen hat es mit einem Kompromiss zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, welchen der Bundesrat als Vorschlag dem Parlament eingereicht hat. Einerseits muss der Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent auf 6 Prozent gesenkt werden. Das heisst konkret: Rentnerinnen und Rentner erhalten künftig tiefere Renten, obwohl sie gleich viel einzahlen. Damit aber der Lebensstandard gleich hoch bleiben kann, wurden Kompensationsmassnahmen ausgehandelt.
Solidaritäts-Beitrag für höhere Renten
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) spricht von einem «solidarischen Rentenzuschlag». Dieser Zuschlag für alle Rentnerinnen und Rentner ist fix, nimmt aber im Fünf-Jahrestakt ab: Zuerst 200, dann 150, und schliesslich 100 Franken. Nach diesen 15 Jahren soll der Bundesrat die Höhe des Zuschlags für die nächsten Rentner-Generationen festlegen.
Finanziert würde dieser Zuschlag je zur Hälfte von Arbeitgebern und -nehmenden: Letztere würden 0,5 Prozent ihres Einkommens aufgeben, es wären aber nur Löhne bis 850'000 Franken betroffen. So soll vermieden werden, dass sehr hohe Einkommen zu viel abgeben müssten. Trotzdem würden die höheren Löhne «rund einen Drittel der Rentenzuschläge» bezahlen, schreibt der SGB.
Dieser Vorschlag wurde im Nationalrat von einer grossen Mehrheit abgelehnt. Die bürgerlichen Fraktionen der SVP, Mitte und FDP stimmten für den Kommissionsvorschlag: Dieser sieht vor, dass nach den 15 Jahren Zuschlag Schluss ist. Links-Grün bereitet sich deswegen schon jetzt auf ein Referendum vor.
Grüne: Für Junge und Frauen ein «Seich»
Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne) ist auch Präsidentin der Gewerkschaft VPOD. «Der Kommissionsvorschlag ist nicht wahnsinnig billiger, aber es profitieren nur zwischen 30 und 40 Prozent der Rentnerinnen und Rentner», wettert sie. Der Sozialpartnerkompromiss beziehungsweise der bundesrätliche Vorschlag sei die «einzig faire Rentenfinanzierung von Frauen und Geringverdienenden».
Frauen würden nämlich vom bestehenden System benachteiligt, sagt Prelicz-Huber: «Die zweite Säule ist auf die männliche Realität gestützt; fest angestellt, 100 Prozent-Pensum, immer mehr Lohn.» Das sei für viele Frauen, vor allem junge Frauen, ein «Seich», so die Zürcherin.
«Wir haben seit mehr als 30 Jahren keine Rentenerhöhung mehr gehabt. Und das heutige Pensionskassen-System geht nicht auf, es funktioniert nur für die Gutverdienenden.»
Auch deswegen habe das schon antizipierte Referendum reelle Chancen vor der Stimmbevölkerung: «Wir haben es noch nie so einfach gehabt, für das Anliegen zu argumentieren: Mehr arbeiten, mehr einzahlen, aber dann trotzdem weniger Rente.»
SVP lehnt Umverteilung ab
Auf der rechten Seite hatte der Sozialpartnerkompromiss nie eine Chance. Insbesondere die SVP will nichts von einer solidarischen Kompensation hören: Es sei reine Umverteilung, erklärt Therese Schläpfer, ebenfalls Zürcher Nationalrätin.
«Die Linken vermischen AHV und BVG», sagt sie. «Die zweite Säule ist etwas Persönliches, Obligatorisches. Da hat eine Umverteilung, die Linke anstreben, keinen Platz.»
Zudem würden Frauen nicht benachteiligt, hält Schläpfer fest: «Bei einer Scheidung wird die zweite Säule geteilt. Und wenn man nicht heiraten möchte, dann muss man sich selbst absichern, einen Vertrag abschliessen.» Die SVP-Politikerin pocht auf eine frühe Sensibilisierung der Frauen zum Thema zweite Säule in Schule und Ausbildung.
In der Mitte befindet sich die GLP, die einen eigenen Kompromiss ausgestaltet hatte. Dieser fand jedoch auch keine Mehrheit: «Ich bin enttäuscht», kommentiert Nationalrätin Melanie Mettler (BE). «Jetzt ist der Ständerat gefordert, eine breit abgestützte Vorlage zu gestalten.»
Die Ziele seien nach wie vor dieselben: Die Vorsorge zukunftstauglich machen, den «Gender Pension Gap» schliessen, handlungsfähig bleiben. «Der Handlungsdruck wird mit jedem Jahr grösser», so Mettler. Fest steht aber: Egal, wie die Reform am Schluss aussieht, die Stimmbevölkerung wird das letzte Wort haben.