Drei Modelle zur Stabilisierung der zweiten Säule im Nationalrat
Der Nationalrat berät am heutigen Dienstag die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Ein wichtiger Knackpunkt ist die Kompensation für Übergangsgenerationen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Nationalrat führt eine stundenlange Debatte zur BVG-Reform.
- Differenzen gibt es bei der Frage, wie die Übergangsgenerationen entlöhnt werden sollen.
- Es zeigt sich in klarer politischer Graben zwischen links und rechts.
Der Nationalrat ist am Dienstag auf die Reform der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) eingetreten. Der im Sommer 2019 von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefundene Kompromiss dürfte einen schweren Stand haben.
Kernstücke der Vorlage sind die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent sowie die Anpassung der Bestimmungen an die Arbeitsformen der Gegenwart, insbesondere die vermehrte Teilzeitarbeit, Menschen mit Mehrfachjobs und Tiefverdiener.
Rentenalter für Frauen steigt auf 65 Jahre
Dass mit der neuen AHV-Reformvorlage das Frauen-Rentenalter von 64 auf 65 Jahre erhöht wird, steht bereits fest. Die Anhebung erfolgt in Schritten zu drei Monaten. Insgesamt wird bei Frauen von neun Jahrgängen, die von der Erhöhung des Rentenalters betroffen sind, das spätere Rentenalter beim Bezug der Rente und beim Vorbezug mit einem Zuschlag ausgeglichen. Dieser Zuschlag soll nach einem sozial gestaffelten Modell nach Einkommen ausgestaltet werden.
Der Nationalrat hat auch beschlossen, dass Renten künftig vom 63. Altersjahr an vorbezogen werden können. Der Bundesrat hatte die Altersgrenze 62 beantragt.
Zusatfinanzierung der AHV durch Mehrwertsteuer
Die AHV-Reform wird mit der Verfassungsänderung zur Erhöhung der Mehrwertsteuer verknüpft. Dabei wird die Mehrwertsteuer für die Zusatzfinanzierung der AHV erhöht. Der Normalsatz von heute 7,7 Prozent wird um 0,4 Prozentpunkte angehoben, die beiden tieferen Sätze um jeweils 0,1 Prozentpunkte erhöht und die Verfassung entsprechend angepasst.
Streitpunkte: Gewinn der Nationalbank und Ergänzungsleistungen
Offen ist noch, ob verhindert werden soll, dass die Rentenzuschläge dazu führen, dass allfällige Ergänzungsleistungen geschmälert werden. Der Nationalrat will dies, Ständerat sieht bislang hiervon ab.
Ob die Karenzfrist für die Hilflosenentschädigung von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt wird, ist ebenso offen. So möchte es der Nationalrat handhaben. Der Ständerat möchte beim geltenden Recht bleiben.
Zu reden gaben erneut die Gewinne der Nationalbank. Der Nationalrat beschloss bereits zweimal, dass die Gewinne aus den Negativzinsen für die Zusatzfinanzierung der AHV beansprucht werden sollen. Der Ständerat lehnt diese Finanzierungsquelle ab.
Graben zwischen links und rechts
Wie geht es weiter mit der AHV? Einig ist man sich, dass der Umwandlungssatz runter muss. Der Knackpunkt liegt bei den Übergangsgenerationen.
Zur Diskussion stehen drei Modelle. Eines davon ist die im Sommer 2019 ausgehandelte Kompromisslösung der Sozialpartner. Diese fand in der vorberatenden Kommission jedoch keine Mehrheit.
Das Eintreten auf die Reform war im Nationalrat unbestritten, gab aber viel zu reden. Denn in der Sache tat sich im Hinblick auf die nach der Eintretensdebatte angelaufen Detailberatung im Erstrat ein klarer politischer Graben auf zwischen links und rechts.
Die SP und die Grünen stellten sich deutlich hinter den Kompromiss-Vorschlag der Sozialpartner – SVP, Mitte, FDP und GLP geht dieser indes zu weit. Sie möchten eine massgeschneiderte Übergangslösung für die von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffenen Jahrgänge.
Ruth Humbel (Mitte) kritisert Gieskannen-Prinzip
Ruth Humbel (Mitte/AG) warnte gleich wie die Sprecherinnen und Sprecher der FDP und SVP davor, keine «Mini-AHV» in die BVG-Reform einzubauen. Wenn man mit der Giesskanne alle bediene, dann bremse das die systemfremde Umverteilung von den Arbeitenden zu den Rentnern nicht. Laut Melanie Mettler (GLP/BE) sind dies derzeit je nach Berechnung 4,5 bis 9 Milliarden Franken pro Jahr.
Aus dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit interpretierte Pierre-Yves Maillard (SP/VD) nicht weniger als eine Verachtung der Bürgerlichen für die Realität der Rentnerinnen und Rentner. «Viele denken heute ans Auswandern wegen der tiefen Renten.» Die heutige bürgerliche Generation sei die erste, die die Leistungen runterfahren wolle.
Grünen: «Hälfte der Neurentner muss mit 3500 Franken auskommen»
Für die Grünen ist die Mehrheitsvariante der Kommission ein «Pfusch», wie sich Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) ausdrückte. Die Hälfte der Neurentner müsse mit insgesamt 3500 Franken AHV und BVG auskommen. Der sozialpartnerschaftliche Kompromiss werde komplett aufgeschnürt und brächte keinen Mehrwert mehr. Der Kompromiss der Sozialpartner sei die einzige Variante, die vor dem Volk eine Chance habe, sagte Léonore Porchet (Grüne/VD).
Dieser führe eine allgemeine Rentenerhöhung für alle ein, wandte sich Regine Sauter (FDP/ZH) dagegen. Albert Rösti (SVP/BE) äusserte sein Unverständnis, dass man bereits in der ersten Lesung der Vorlage den Absturz der Reform verkünde. Das sei nicht sehr verantwortungsvoll. Die zur Debatte stehenden Modelle lägen gar nicht so weit auseinander, wie es scheine.